Im Rausch der Ewigen Blumenkraft

Drogenumflort, aber auch sinnlich: "Inherent Vice - Natürliche Mängel" von Paul Thomas Anderson (deutscher Kinostart 12. Februar 2014)

von Marc Hairapetian

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Mit Spannung wurde der neue Film des in jungen Jahren als "Wunderkind" bezeichneten Paul Thomas Anderson erwartet: Bei der Adaption von Thomas Pynchons als unverfilmbar geltendem kriminalistischem Hippie-Roman "Inherent Vice" (2009) macht es der Regisseur sich und auch seinen Zuschauern nicht immer leicht. Seine ironisch gebrochene Verbeugung vor den späten 1960er Jahren begeistert aber durch seine detailversessene Ausstattung, die coolen Kostüme und den fantastischen Soundtrack.
 Thomas Pynchon, geboren am 8. Mai 1937 in Glen Clove auf Long Island, ist einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Postmoderne und zugleich das große Fragezeichen der US-amerikanischen Popkultur. Seit 1963 schottet er sich von der Öffentlichkeit ab und lässt sich nicht mehr fotografieren geschweige denn filmen. Der Vater eines Sohnes, den er zusammen mit seiner Frau und Agentin Melanie Jackson gezeugt hat, lebt vermutlich seit den 1990er Jahren in Manhattan. Sein unkonventioneller Schreibstil glänzt durch stilistische Virtuosität und enzyklopädisches Wissen, ist aber oftmals recht sperrig. "Inherent Vice" (zu Deutsch "Natürliche Mängel") gehört zu seinen weniger umfangreichen und eher leicht zu lesenden Büchern. Die "Handlung" ist dennoch verzwickt und verläuft nicht immer linear: Hauptfigur ist der bevorzugt barfuß laufende Privatdetektiv Larry "Doc" Sportello, der in Andersons Film vom mittlerweile recht verbraucht aussehenden Joaqin Phoenix verkörpert wird. Obwohl er inzwischen gleich zwei neue Freundinnen (Joanna Newsom und Reese Witherspoon) hat, trauert er seiner Ex Shasta (Katherine Waterston) nach. Eines Tages kreuzt sie wieder bei ihm auf und erzählt ihm eine unglaubwürdige Geschichte: Sie hat sich in den milliardenschweren Immobilienhai Michael Z. Wolfmann (Eric Roberts) verliebt, der von seiner Frau (Serena Scott Thomas) und ihrem Geliebten gekidnappt werden soll, um ihn dann in eine Heilanstalt abzuschieben. Doch wenig später ist "Mickey" Wolfmann tatsächlich spurlos verschwunden und einer seiner Leibwächter ermordet worden... Sportello ermittelt. Es beginnt eine abenteuerliche Jagd durch das nicht immer in "Love and Peace" schwelgende L. A., wobei unser Held wider Willen, dem zu allem Ärger noch sein verfeindeter ehemaliger Kollege Lt. Det. Christian "Bigfoot" Bjornsen (Josh Brolin) im Nacken sitzt, allerhand skurrilen Gestalten begegnet: Surfer, Abzocker, Prostituierte, ein verdeckt ermittelnder Saxofonspieler (Owen Wilson als bekiffte Jesus-Figur!), ein mordlustiger Kredithai, Anhänger der Black-Panther-Bewegung respektive Mitglieder der Arischen Bruderschaft und - nicht zu vergessen - eine geheimnisvolle Organisation namens Golden Fang (zu Deutsch: Goldener Fangzahn), die vermutlich hinter all den Verbrechen steckt, aber vielleicht auch nur ein paar Zahnärzten zur Steuerhinterziehung dient, geben sich ein munteres Stelldichein im Rausch der "Swinging Sixties". "Eternal Flower Power" rules (oder auf Deutsch "Ewige Blumenkraft" wie sie schon die selbsternannte "beste Band der Welt" Die Ärzte besangen)!
 Die Inhaltsbeschreibung klingt für Sie krude? Das ist die Geschichte in der Tat auch, doch Regisseur und Drehbuchautor Anderson schafft auch immer wieder inszenatorischen Raum für auf psychedelische Weise poetisch-hypnotische Momente. "Inherent Vice - Natürliche Mängel" ist Independent-Kino mit Stars, die dem Affen gehörig Zucker geben, um im nächsten Moment traumwandlerisch (und drogenumflort ) durch die aufwendig und liebevoll gestalten Sixties-Sets zu wandeln. Wie bei den Tarantino-Filmen ist der Blick in die durchaus enthusiastisch verehrte Vergangenheit dekonstruktivistisch. Ohne Ironie geht es nicht. Na ja, der Film, der nochmals ganz anders als alle vorhergehenden Anderson-Werke ("Boogie Nights", "Magnolia", "There Will Be Bood" oder "The Master") ist, soll auch eine Komödie sein, wobei dem Zuschauer bei manchen ekligen Wortspielen bzw. Dialogen das Lachen im Halse steckenbleibt. Wahrscheinlich um die Hauptzielgruppe der heute 16 bis 21jährigen zu erreichen, wird bei Anderson in den umgangssprachlich noch nicht so vulgären Endsechzigern des letzten Jahrhunderts mitunter wie heute gesprochen. Doch dann gibt es auch immer wieder sinnlich-hypnotische Szenen, die vom fantastischen Originalsoundtrack von Radiohead-Mitglied Jonny Greenwood untermalt werden. Es erklingen allerdings auch Perlen der 1960er Jahre wie das wundervolle Instrumental "Dreamin´On A Cloud", dass vom deutschstämmigen Bassisten Heinz Burt (1942 - 2000) der englischen Band The Tornados komponiert wurde. Beim mit zweieinhalb Stunden etwas zu lang geratenen atmosphärisch dichten Film bleibt die Frage offen, warum all die schönen Mädchen (vor allem die bezaubernde Hong Chau als gutherzige, bisexuelle und auf Bezahlung verzichtende Angestellte eines Massage-Salons) so auf den - um im Anderson-Pynchon-Slang zu bleiben - ziemlich "abgefuckt" aussehenden Joaquin Phoenix fliegen...

Marc Hairapetian am 29. Januar 2014 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de

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