Winnetous Erben im Tal des Todes
Das harte, aber humanistische Western-Meisterwerk "Feinde - Hostiles"erscheint am 12. Oktober 2018 auf DVD Blu-ray , 4K UHD und VoD.
von Marc Hairapetian
Winnetous Erben im Tal des Todes
Das harte, aber humanistische Western-Meisterwerk "Feinde - Hostiles"erscheint am 12. Oktober 2018 auf DVD Blu-ray , 4K UHD und VoD.
von Marc Hairapetian
Der Völkermord an den Ureinwohnern des nordamerikanischen Kontinents ist im "Land der sogenannten unbegrenzten Möglichkeiten", das sich gerade in diesen Tagen einmal mehr als "Land der begrenzten Unmöglichkeiten" entpuppt, immer noch ein Tabuthema. Nur eine Handvoll Leinwandepen wie Ralph Nelsons stilbildendes Meisterwerk "Soldier Blue" ("Das Wiegenlied vom Totschlag", 1970), dass das historisch verbürgte Sand-Creek-Massaker der US-Kavallerie an einem die weiße Fahne hissenden Cheyenne-Stamm im Jahr 1864 in Bildern von bisher nie gesehener Grausamkeit offenlegte und lange als "härtester Film der Welt" galt, flüchtete sich nicht in Schönfärberei der Missetaten. Nun hat der ehemalige Schauspieler und jetzige Regisseur und Drehbuchtor Scott Cooper ("Crazy Heart", "Auge um Auge", "Black Mass") nach einer Idee des 1999 verstorbenen Donald Stewart ("Vermißt") mit "Feinde - Hostiles" einen melancholischen, aber kraftvollen Western mit Starbesetzung inszeniert, den das Fachblatt "Entertainment Weekly" zu Recht als Besten seit Clint Eastwoods "Erbarmungslos" (1992) bezeichnet. Der Gedanke ist verführerisch: Wäre Karl May heute noch am Leben, würde er vielleicht einen Roman im Stil von "Feinde - Hostiles" schreiben, werden in dem Film doch die zwei Themen vertieft, die ihm vor allem in seinem Spätwerk wie "Winnetou. IV. Band" (1908, beim Karl-May-Verlag als "Winnetous Erben" im Programm) besonders am Herzen lagen: Frieden und Aussöhnung.
1892, Fort Berringer, New Mexico: Der hochdekorierte Kriegsveteran Captain Joe Blocker (Christian Bale) steht kurz vor seiner Pensionierung. Sein Vorgesetzter Colonel Biggs (Stephen Lang) erteilt ihm einen letzten, hochbrisanten Auftrag: Er soll den seit sieben Jahren inhaftierten, todkranken Cheyenne-Häuptling Yellow Hawk (Wes Studi) und seine Angehörigen (u.a. Q'orianka Kilcher) mit einem kleinen Trupp von Soldaten durch feindliches Gebiet in seine Heimat ins Tal der Bären nach Montana geleiten - als Symbol der Versöhnung. Nur widerwillig fügt er sich der Order, schließlich hat er zuvor viele seiner Kameraden in Auseinandersetzungen mit den Indianern verloren, selbst aber auch brutal gemordet. Unterwegs nimmt die Gruppe die Witwe Rosalie Quaid (Rosamund Pike) auf, deren komplette Familie von Komantschen niedergemetzelt wurde. Doch der Bluthunger der mit den Cheyenne verfeindeten Krieger ist noch nicht gestillt. Nur wenn die aus weißen Aufsehern und in Ketten gelegten Roten bestehende Zwangsgemeinschaft ihre gegenseitigen Ressentiments überwindet, hat sie eine Chance gegen die Attacken ihrer Gegner.
Christian Bale setzt sich wie schon zuvor in Terry Georges aufwühlendem Epos über den türkischen Völkermord an den Armeniern, "The Promise - Die Erinnerung bleibt" (2016), wo er einen über den Genozid berichtenden Fotoreporter verkörperte, erneut in äußerst komplexer Manier mit einem der dunkelsten Kapitel der vermeintlich zivilisierten Menschheit auseinander. Die Katharsis seiner Figur, die sich schrittweise vom Indianerhasser zum Fürsprecher ihrer Angelegenheiten wandelt, ist neben seinen Taten auch in seiner Mimik ablesbar. Er ist in Anlehnung an seine Vorbilder Oskar Werner und Marlon Brando ein echter Charakterdarsteller geworden, der sogar Gedankengänge "sichtbar" machen kann. Indem er seinem Gegenüber aufmerksam zuhört, spielt sich etwas in seinem Antlitz ab, dass aufregender als alle Action-Szenen ist. Bei "Feinde - Hostiles" trifft er auf alte Bekannte, mit denen er schon in Terrence Malicks "The New World" zusammen vor der Kamera stand: den würdevoll agierenden Wes Studi (Magua 1992 in Michael Manns "Der letzte Mohikaner", im wirklichen Leben Vietnam-Veteran) und die bezaubernde Q'orianka Kilcher (war ursprünglich 2016 auch für den RTL-Dreiteiler "Winnetou - Der Mythos lebt" als Nscho-tschi vorgesehen, der Produktion aber zu teuer, weswegen man Iazua Larios besetzte), deren gebrochenes Pocahontas-Herz er einst auf sanft-geduldige Art reparierte. Diesmal nähert er sich in Dingen der Liebe allerdings in dem vom japanischen Kameramann Masanobu Takuyanagi wundervoll an Originalschauplätzen in New Mexico, Colorado, und Arizona gefilmten meditativen Western Rosamunde Pike an. Sehr berührend ist vor allem die unerwartet romantische Schlusseinstellung in einer ansonsten von Tränen und Blut getränkten Welt geraten. Diese Konstellation erinnert entfernt sogar an Karl Mays frühe Abenteuererzählung "Old Firehand" (1875), bevor sie abgemildert in "Winnetou II" (1893) ihren erotischen Reiz verlor, da Ellen, die von Old Shatterhand begehrte Tochter Firehands, unverständlicher Weise in den Sohn Harry umgewandelt wurde. Mays Novelle ist viel grausamer (und auch stilistisch besser geschrieben) als "Winnetou II": Hier ist der humanistisch gesinnte Häuptling der Mescalero-Apachen noch mehr der edle Wilde, der nicht davor zurückschreckt, seine Gegner ohne Gewissensbisse zu skalpieren. Bei einer Neuverfilmung von "Old Firehand" wären jedenfalls Christian Bale in der Titelrolle und Wes Studi, der sich in "Feinde - Hostiles" quasi von Parranoh zu einer Art älterer Winnetou wandelt, eine absolute Traumbesetzung.
Marc Hairapetian am 13. September 2018 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com.