Wong Kar-Wai

Reaktion statt Aktion, Leben statt Kunst

Interview mit Wong Kar-Wai zu seinem neusten Film „2046“


Von Marc Hairapetian

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Der 1958 in Shanghai geborene Wong Kar-Wai ist als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent der auteur des neuen Hongkong-Kinos. Der filmische Experte in Sachen tragischer Liebe hegt eine Vorliebe für die 1960er Jahre. Nach dem großen Erfolg von „In the Mood for Love“ hat er mit „2046“ nun einen Science fiction gedreht, der allerdings vorderrangig in der Vergangenheit spielt...

Marc Hairapetian: Kann man „2046“, der im Science-fiction-Gewand daherkommt, als Fortsetzung von „In the Mood for Love“ bezeichnen?

Wong Kar-Wai: Nein, obwohl es stilistische Gemeinsamkeiten gibt. „2046“ ist ein Film, der aus mehreren – zeitlichen wie inhaltlichen - Blöcken zusammengesetzt ist. „In the Mood for Love“ war eine eher lineare Geschichte.

MaHa: Trotz seiner Zukunftsepisoden spielt „2046“ vorderrangig in den 1960er Jahren. Was fasziniert Sie so an dieser Epoche?

Wong Kar-Wai: Zuerst einmal bin ich in dieser Zeit aufgewachsen. Ich bin in Shanghai geboren und als Fünfjähriger 1963 nach Hongkong gekommen. Das war eine total neue Erfahrung für mich. Fernöstliche und westliche Lebenskultur waren Gegensätze, die mich magisch anzogen. Es war eine äußerst kreative Epoche. Filme, Musik, Mode der 1960er Jahre beschritten neue Wege, trauten sich mehr, hatten aber im Unterschied zu den 1970er Jahren noch einen klassischen Look.

MaHa: Also eine Art stilvolle Kulturrevolution?

Wong Kar-Wai: Genau, auch wenn die wirkliche Kulturrevolution in der Volksrepublik China stattfand. Hongkong war ja eine britische Kolonie, die mit angloamerikanischen Kulturgütern überschwemmt wurde. Als Kind hat man nur den Hauch einer Ahnung, was die wirklichen gesellschaftspolitischen Probleme betrifft. Hongkong in den 1960er Jahren war für mich ein nicht enden wollender Urlaub. Bedenken Sie, dass man als sehr junger Mensch ein ganz anderes Zeitgefühl hat.

MaHa: Sind Sie ein Nostalgiker?

Wong Kar-Wai: Durchaus. Kindheit und Jugend prägen uns wie keine anderen Zeitabschnitte. Die Kraft der Erinnerung ist eine wundervolle Macht, die Ursehnsüchte in uns weckt. Doch wir neigen auch dazu die Vergangenheit zu verklären. In der Erinnerung wird alles perfekt, was vielleicht gar nicht besser war. Dennoch kann ich mich diesen Rückbetrachtungen nicht entziehen.

MaHa: Es gibt einen anderen berühmten Film mit einer Nummer, der mehr als nur ein Science fiction ist: „2001 – Odyssee im Weltraum“. Sehen Sie eine Gemeinsamkeit, weil „2046“ auch ein gigantischer Trip in die Seele des Menschen ist?

 Wong Kar-Wai: „2001“ ist eine Odyssee von der Vergangenheit in die Zukunft, bei mir verschwimmen die Zeitebenen. „2001“ stellt die entscheidenden Fragen des Menschseins: „Woher komme ich?“ und „Wohin gehe ich?“ Mein Film handelt von einem Schriftsteller der immer tiefer in seine amourösen Fantasien eintaucht, weil er zur wirklichen Liebe nicht fähig ist.

MaHa: Ihre Schauspieler kannten nicht das komplette Skript und wussten nicht, was mit den von ihnen verkörperten Figuren am nächsten Drehtag passieren würde. Ist „2046“, den sie jahrelang akribisch vorbereiteten, so geworden wie sie ihn ursprünglich planten?

 Wong Kar-Wai: Ein Film wird nie ganz so, wie man ihn sich vorstellt, aber ich bin zufrieden. Es stimmt, die Schauspieler wussten am Ende eines Drehtags nicht, in welche Richtung sich die Geschichte weiterentwickeln würde. Guten Schauspielern kann man dies zumuten. Das Überraschungsmoment interessiert mich. Ich möchte nah am wirklichen Leben bleiben und nicht „nur“ Kunst produzieren: Wir wissen doch alle nicht, was uns am nächsten Tag tatsächlich erwartet.

MaHa: In „2046“ hat der Schriftsteller eine Schreibblockade. Kennen Sie dieses Problem auch als auteur, der die Drehbücher seiner Filme schreibt?

Wong-Kar Wai: Nein, die lange Produktionszeit hat nichts mit einer Blockade in meinem Kopf zu tun. In den letzten Jahren hat sich die Filmindustrie in Hongkong gewaltig verändert. Trotz bemerkenswerter Filme erlitt der asiatische Markt einen Kollaps. Die Finanzierung ist nicht immer gewährleistet, man ist förmlich gezwungen mit anderen Ländern zu kooperieren. Doch durch die Koproduktionen mit Frankreich oder Italien ergeben sich auch neue Chancen. Der weltweite Vertrieb asiatischer Filme wird besser. Als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur habe ich also einen Haufen Verantwortung. Doch meine Kreativität wird dadurch nicht behindert.

MaHa: Warum wählten Sie verschiedene Komponisten für den Soundtrack von „2046“?

 Wong-Kar Wai: Wir haben in „2046“ zwei Hauptkomponisten. Zum einen Shigeru Umebayashi, der bereits den Score für „In the Mood for Love“ schrieb, und Peer Raben, dessen Musiken ich schon bei den Filmen Fassbinders bewunderte. Die Wahl der Filmmusik ist auch ein Tribut an meine eigenen Lieblingsregisseure: Truffaut, Kieslowski und Fassbinder.

MaHa: Einer von Truffauts schönsten Filmen ist „Der Mann, der die Frauen liebte“. Sind sie der Regisseur, der die Frauen liebt?

Wong Kar-Wai: Ja, natürlich! Truffaut und ich, sind nicht nur die Regisseure, die die Frauen über alle Maßen lieben, sondern auch die Verehrung, die wir ihnen entgegenbringen, ins Zentrum fast all unserer Filme stellen.

MaHa: Truffauts Alter Ego war in vielen Filmen Jean-Piere Leaud. Ist Tony Leung, der Hauptdarsteller aus „In the Mood for Love“ und „2046“, das Ihrige?

 Wong Kar-Wai: Soweit würde ich nicht gehen. Tony ist viel flexibler als ich.

MaHa: Für Eisenstein war die Form alles, für Chaplin der Inhalt. Was ist für Sie bei einem Film wichtiger?

Wong Kar-Wai: „Was“ und „wie“ sind für mich untrennbar miteinander verbunden. An sich denke ich aber nicht sehr viel darüber nach, wie ein Film aussehen sollte. Wichtig ist, dass er physisch wird.

MaHa: „2046“ ist kein reiner Science-fiction-Film...

Wong Kar-Wai: Die Zukunft des Films ist für den von Tony Leung verkörperten Schriftsteller genauso eine Flucht aus dem Alltag wie das sich treiben lassen in die Vergangenheit. Letztere kann er aber nicht mehr beeinflussen. Er will glücklich sein, vergessen in der Zukunft, aber das gelingt ihm nicht, denn was wirklich zählt ist die Gegenwart. Vor allem in der Liebe.

MaHa: Sie sagten einmal, Liebe ist eine Frage des Timings.

Wong Kar-Wai: Richtig, gerade in der heutigen, hektischer Zeit. Vieles bedeutsame wird einem erst bewusst, wenn es schon vorbei ist. Schreiben ist für den Schriftsteller in „2046“ auch eine Art Selbsttherapie, die letztlich scheitert. Er will aus seinem inneren Monolog in den Dialog treten, schafft es aber nicht und hält wieder einen Monolog, indem er uns, den Zuschauern, die Geschichte aus dem Off erzählt.

MaHa: Ihre Protagonisten scheinen äußerlich häufig sehr kontrolliert. Ist dies ein elementarer Wesenszug der fernöstlichen Mentalität?

 Wong Kar-Wai: Ich denke, dass die asiatischen Menschen weniger kontrolliert, als eher passiv sind. Ich bin kein Regisseur des „clear go“, der Filme nach dem Motto „I want to be a champion!“ dreht. Mehr als die Aktion interessiert mich die Reaktion.

MaHa: Nach dem Kinostart in Hongkong, lief „2046“ auch in China an. Gibt es Unterschiede in der Publikumsreaktion?

 Wong Kar-Wai: In China mögen es die Leute, über den Film im Anschluss zu diskutieren, Das liegt daran, dass sie es lange nicht durften. In Hongkong möchten sie wie in den USA in erster Linie unterhalten werden. Die futuristische Eröffnungssequenz und der teilweise freizügige Umgang mit Erotik, der vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen wären, haben die Chinesen überrascht. Doch es hat ihnen beides gefallen. (lacht)

Das Interview führte Marc Hairapetian.