Kinski über Kinski

Interview mit Nikolai Kinski, geboren am 30. Juli 1976 in Paris als Nanhoi Nikolai Kinski, über die Gedichte seines Vaters, den eigenen Weg und die Wahrung der privaten Sphäre.

Von Marc Hairapetian

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Hairapetian: Du hast die CD “Kinski spricht Kinski" aufgenommen, gehst damit auf Tour. Deutsch ist nicht deine Muttersprache. Ist es dadurch schwerer für dich, die Gedichte aus deines Vaters Werk “Fieber - Tagebuch eines Aussätzigen" zu interpretieren?

Nikolai Kinski: Zunächst scheint es viel schwieriger zu sein. Da ist ja nicht nur die Fremdsprache. Auch die eruptiven und sehr assoziativen Bilder in der Lyrik meines Vaters wirken auf den ersten Blick eher unverständlich. Dennoch glaube ich, dass gerade diese Rahmenbedingungen es mir sehr viel leichter gemacht haben. Ich war gezwungen, mich mit dem, was mein Vater sagen wollte, viel tiefer zu beschäftigen, um es überhaupt zu verstehen. Dafür ist der Aufwand unbeschreiblich. Wenn ich in dieses Projekt nicht hereingerutscht wäre, ich glaube nicht, dass ich mir die Arbeit freiwillig angetan hätte.

Hairapetian: Was meinst du mit „hereingerutscht“?

Nikolai Kinski: Na ja, das war eigentlich gar nicht meine Idee. Als „Fieber“ letzten Herbst als Taschenbuch released wurde, hat der Suhrkamp Verlag mich gebeten, auf der Buchmesse zu lesen. Die Aufgabe habe ich völlig unterschätzt. Ich legte mir ein paar Gedichte zurecht und habe versucht, sie fehlerfrei und mit den richtigen Betonungen zu lesen. Die Zuhörer waren, glaube ich, sogar zufrieden, jedenfalls haben sie geklatscht. Aber ich konnte das so nicht stehen lassen. Noch während der Lesung hatten sich mir weitere Inhalte eröffnet, ich hatte noch nicht verinnerlicht, was ich las. Hinzu kam ein noch viel schwerwiegenderes Problem: Ich merkte einen Abstand, der die Direktheit der Gedanken meines Vaters abschwächte. Das „Lesen“ selbst bremste die Wucht, machte mittelbar, was beim Schreiben unmittelbar gemeint war. Nun saß ich in der Falle: Ich wollte das alles verstehen und auswendig vortragen, also war ich gezwungen, mir die Arbeit zu machen.

Hairapetian: Wie beurteilst du die literarische Qualität der Texte und Gedichte deines Vaters?

Nikolai Kinski: Ich bin kein Literaturkritiker, habe aber für meinen Teil sehr viel Tiefe gefunden. Der eigentliche Reiz ist aber ein biographischer. Mein Vater schreibt in Ich-Form und stellt seine Person und damalige Situation als „aussätziger“, 25-jähriger Künstler in den Mittelpunkt. Da ist also eine allseits bekannte Legende, die uns posthum einlädt, ihr jugendliches Herz nackt und pulsierend zu beobachten. Er liefert uns somit nicht nur ein Sittenbild der frühen Fifties, sondern sich mit all seinen Ängsten und Nöten schonungslos aus. Und er weiß noch nicht einmal, dass alle nun seine Anfänge mit seiner sehr öffentlich gelebten Biographie vergleichen können. Ich glaube nicht, dass man erst sein Sohn sein muss, um diesen Reiz zu empfinden.

Hairapetian: Wie gehst du mit der Todessehnsucht deines Vaters um, die sich in den Gedichten manifestiert?

Nikolai Kinski: Ich habe Dir ja vorhin von der ersten Lesung in Frankfurt erzählt. Davor habe ich das noch gar nicht richtig begriffen gehabt, das nur als Literatur behandelt. Die Todessehnsucht ist einer dieser Widerhaken, die sich dann beim Lesen in meinen Kopf gebohrt haben. Als ich begriffen hatte, dass ich es nicht mit abstrakter Lyrik, sondern mit seinem höchstpersönlichen Abgesang zu tun hatte, war ich sehr betroffen. Die Gedichte sind wie ein Strudel, der meinen Vater unaufhaltsam nach unten zieht. Er sehnt sich nach dem Tod und wenn er schreibt: „Ich richte mich auf - ganz steil - wie es Bäume tun, wenn sie wissen, dass es Zeit zum Sterben ist. Ich muss weg von hier!“, dann geht das wahrscheinlich nicht nur mir durch Mark und Bein. Bei mir kommt allerdings hinzu, dass solche Gedanken mir auch noch den Boden unter den Füßen wegziehen. Wo wäre ich denn, wenn er damals nicht mit einem Stift, sondern einem Messer gespielt hätte?

Hairapetian: Dein Vater war ein begnadeter Rezitator. Hast du all seine Sprechplatten gehört, die großteils auf CDs wiederveröffentlicht wurden? Welche gefällt dir am besten? Und warum?

Nikolai Kinski: Soviel ich weiß, sind sogar alle inzwischen auf CD erhältlich. Mir persönlich gefallen die späten Aufnahmen am besten, vor allem Nietzsche und Dostojewskij. Da hatte er sich von seinen Vorbildern endlich befreit und den Mut gefunden, zu sich zu stehen. Vieles davor spiegelt die Vortragserwartung seiner Zeit wieder, technisch sicherlich hervorragend erfüllt, aber eben nicht unbedingt zeitlos. In meiner Muttersprache würde man seinen Schiller oder Villon, das rollende „r“, die gepresste Stimme wahrscheinlich als „dated“ bezeichnen. Dafür ist bspw. „An den Mistral“ von Nietzsche von zeitloser Schönheit und Könnerschaft.

Hairapetian: Ist es ein harter Spagat, ihn stimmlich nicht zu imitieren, aber ihm doch gerecht werden zu wollen?

Nikolai Kinski: Überhaupt nicht, im Gegenteil. Seinen Vortrag oder seine Stimme zu imitieren war nie eine Versuchung. Das wäre etwas für Comedians oder Parodisten. Mir geht es darum, die Stimmungen des Autors ernst zu nehmen und glaubhaft mit meinen Mitteln ins Heute zu transportieren.

Hairapetian: Als was siehst du “Kinski spricht Kinski"? Als Hommage an Deinen Vater?

Nikolai Kinski: Das ist so ein großes Wort, soweit möchte ich gar nicht gehen. Das Publikum soll die Gelegenheit haben, die Gedichte einmal nicht lesen zu müssen, sondern so direkt und offen ins Herz geschleudert zu bekommen, wie ich glaube, dass mein Vater sie empfunden hat.

Hairapetian: Gib mir Demut für vor dem großen Schoß", heißt es in einem der Gedichte. Braucht man die als Künstler?

Nikolai Kinski: Braucht man als Mensch Demut? Das muss schon jeder für sich entscheiden. Aber da du gerade davon sprichst, es gibt bei „Kinski spricht Kinski“ nicht nur dieses Zitat, sondern auch einen ganzen Text mit dem Titel „Demut“. Dabei handelt es sich mehr um eine Fabel oder ein Märchen als um ein Gedicht. Der Text ist sehr schön und vermittelt Demut als den Willen zu Lernen, Begreifen und Weitergeben. So verstanden, könnte Demut natürlich sehr viel mit dem Beruf eines Schauspielers zu tun haben.

Hairapetian: Mit heiligem Ernst las dein Vater auch aus dem Neuen Testament. War er religiös?

Nikolai Kinski: Auch das ist so eine Überraschung, die man in den Gedichten finden kann. Die Art, wie er sich mit der Kirche anlegt, versucht, sich von religiösen Geboten zu befreien, zeigt einen Klaus Kinski, der das bekannte Klischee sprengt. In „Tagebuch“ z.B. steigert er seinen Mangel an Geborgenheit zu der Frage: „Warum hab nicht auch ich ein Loch unter dem Himmel?“. Die Suche nach einer Zuflucht bleibt ergebnislos, denn, so endet das Gedicht, „Kirchen sind wie Automaten“.

Hairapetian: In wie weit kannst du Spontanes bei der Lesetour zulassen? Wirst Du jedes Mal den Programmablauf starr einhalten oder variieren?

Nikolai Kinski: Der Ablauf, den ich mir aus den Gedichten gebastelt habe, funktioniert für mich wie ein Monolog. Ich brauche z.B. die Überschriften gar nicht zu sprechen. Da gibt es also keinen Spielraum für Improvisationen oder Interaktionen. Das wäre völlig fehl am Platz. „Kinski spricht Kinski“ ist der Monolog eines Mannes, dessen „linker Fuß schon nicht mehr auf der Scheibe ist.“ Da siegt zwangsläufig schonungslose Direktheit über spielerische Variation.

Hairapetian: Ist es einfacher als Sohn eines berühmten Schauspielers, sich selbst schauspielerisch durchzusetzen - oder gar schwerer?

Nikolai Kinski: Das kann ich nicht beurteilen, da fehlt mir der Vergleich. In Kalifornien, wo mein Vater nicht sehr bekannt ist, bin ich auch ohne berühmten Vater recht weit gekommen. Und ich bin bis heute, denkt man an „Klimt“ oder „Aeon Flux“, im internationalen Film viel gefragter als im deutschen. Ob das an meiner Sprache, mangelndem Talent oder dem berühmten Vater liegt, kann ich dir wirklich nicht sagen.

Hairapetian: Als Kind standest du in “Kinski Paganini" mit deinem Vater vor der Kamera. Welche Erinnerungen hast du an dieses Projekt, das deinem Vater sehr am Herzen lag? Wie hast du die Dreharbeiten erlebt?

Nikolai Kinski: Das war damals sehr intensiv. Dann habe ich den Fehler gemacht, zu oft dieselben Fragen darüber zu beantworten. Nun ist meine Erinnerung versaut durch die Langeweile der ewig gleichen, permanent reproduzierten Sätze. Ich habe sie befleckt. Das mache ich heute nicht mehr.

Hairapetian: Warum schreibst du dich jetzt mit “k" und nicht mit “c" wie früher?

Nikolai Kinski: In meinem Pass stand „Nikolai“ immer mit einem „k“. Das mit dem „c“ war ein PR-Gag meines Vaters, er wollte Film und echtes Leben enger verflechten und Paganinis Vornamen schreibt man eben mit „c“. Ich glaube, ich hatte Glück, nicht plötzlich „Niccolo“ zu heißen. Debora Caprioglio z. B. nannte er einfach um in „Debora Kinski“.

Hairapetian: Willst du das kulturelle Erbe Deines Vaters antreten? Ist er dein Vorbild?

Nikolai Kinski: Das musste ja kommen! Nein. Ich vergleiche mich nicht mit ihm, das kann die Presse viel besser als ich. Ich respektiere seine Unvergleichlichkeit und gehe lieber meinen eigenen Weg.

Hairapetian: Was macht das Phänomen Kinski aus? Warum verehren ihn heute so viele Jugendliche, die ihn gar nicht mehr persönlich erlebt haben?

Nikolai Kinski: Das hat garantiert mit seiner Kompromisslosigkeit zu tun. Die kann man schon in den Gedichten finden. Er war hier wahrscheinlich der Letzte, der Gottschalk gesagt hat, dass er seine Fragen nicht versteht. Ich glaube, man respektiert, dass er sich treu geblieben ist.

Hairapetian: Wie hast du deinen Vater privat, als Sohn und im Zusammensein mit deiner Mutter erlebt?

Nikolai Kinski: Bitte habe Verständnis, aber ich spreche in der Öffentlichkeit nicht über mein Privatleben.

Hairapetian: Warum?

Nikolai Kinski: Ein gutes Beispiel habe ich Dir vorhin schon zum Thema „Paganini“ geliefert. Außerdem möchte ich als „public person“ nicht meinen letzten Rückzugsraum verlieren. Die moderne Tendenz – oder sollte ich lieber Standard sagen? –, berufliche Projekte über das Privatleben der Schauspieler zu promoten, finde ich widerlich und sehr respektlos gegenüber dem eigenen Beruf.

Hairapetian: Hast du schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht?

Nikolai Kinski: Der permanente Wunsch, mich öffentlich in private Zusammenhänge zu stellen, nervt schon sehr. Manchmal glaube ich, mein Geschmack, meine Interessen, Neigungen, Hobbies etc. sind für die Presse interessanter als meine Arbeit. Die aber ist und bleibt der einzige Grund, warum ich mich in die Öffentlichkeit stelle. Bei mir kommt noch erschwerend der Hintergrund dazu, dass sich viele Journalisten nicht auf ein Interview mit mir, sondern mit meinem Vater vorbereiten. Ich soll für ihn Fragen beantworten oder ihn erklären und fühle mich an manchen Tagen schon fast wie der „Elefantenmensch“, wie eine Jahrmarktattraktion. Ich glaube aber nicht, dass man mich absichtlich verletzen will. Die haben es einfach nicht besser gelernt.

Hairapetian: Du hast in “Klimt" neben John Malkovich und Veronica Ferres den Maler Egon Schiele verkörpert. Hast du Angst, jetzt auf das Klischee vom sensibel-schrägen Künstler festgelegt zu werden?

Nikolai Kinski: Nein, überhaupt nicht. Ich spiele sehr gerne historische Persönlichkeiten. Während meines Gastspieles am Bochumer Schauspielhaus in Schnitzlers „Der einsame Weg“ bin ich neulich sogar zwischen zwei Auftritten für ein paar Tage nach Ungarn geflogen, um in „Clara“ von Helma Sanders-Brahms mitzuwirken. Der Film handelt von Clara Schumann - und ich spiele den jungen Robert Schumann.

Hairapetian: Was möchtest du dem Publikum mit deiner Kunst vermitteln? Was sind deine Ziele und Pläne für die Zukunft? Was willst du als Schauspieler erreichen?

Nikolai Kinski: Die glaubwürdige Wiedergabe fremder Rollen. Das reicht mir schon.


Das Interview führte Marc Hairapetian am 26. August 2007.
Foto von Nikolai Kinski & Marc Hairapetian von Peter Geyer.