„Mit intaktem Humor lässt sich jedes Elend meistern“

Désirée Nick über Träume und Illusionen, Promis, Presse und Publikum, ihr neues Buch und Kinderausbeutung

Von Marc Hairapetian

Seit ihrer Krönung als „Dschungel-Königin“ ist die schrille Satirikerin Désirée Nick weit über die Grenzen von Berlin bekannt geworden. Nun hat die spitzzüngige Känguruhoden-Esserin auch ein Buch geschrieben; trotz persönlicher Sichtweise ist es keine Autobiografie, sondern ein Ratgeber geworden, indem sie gewohnt unverblümt die Frage aufgreift „Gibt es ein Leben nach 40?“ (Lübbe Verlag)? Auch im Interview teilt die allein erziehende Mutter, die davon träumt eines Tages Bundespräsidentin zu werden, kräftig aus.

MaHa: „Gibt es ein Leben nach 40?“ Die Frage beantworten sie in Ihrem Buch mit einem ausführlichen „ja“

Désirée Nick: Na, ich wollte ja ein dickes Buch schreiben. Da konnte ich nicht schreiben: „nein“. Punkt.

MaHa: Wie lange haben Sie dafür gebraucht?

Nick: Kann ich ihnen nicht sagen, weil ich es nicht mehr überblicken kann. Es entspringt ja der „Bild“-Kolumne „Sex and the City“, die sich dort über ein Jahr großer Beliebtheit erfreute. Aber ich empfand es trotzdem immer als großes Manko, das man bei den Fragestellungen, die man als Frau hat, die Gedanken in eine Maske von 100 Zeilen pressen muss. Mir ist dann immer noch so viel eingefallen - und das muss ich Ihnen als Journalist nicht sagen -, da war einfach meine Lust das zu vertiefen. Ich wollte mich mit dem Buch schön breit treten, weil es ein unerschöpfliches Thema ist.

MaHa: Verbindet Sie eine Art Hassliebe mit der „Bild“-Zeitung?

Nick: Überhaupt nicht – nur Liebe, keinerlei Hass. Handwerklich ist das ein ganz toll gemachtes Blatt. Die wissen wie man Schlagzeilen macht. Wie die „Bild“-Zeitung mich bisher dargestellt hat, ist zwar nicht vollständig, aber man kann nicht sagen, dass das was drinsteht nicht stimmt. Ich bin nur einmal juristisch gegen eine Zeitung vorgegangen und das war die Süddeutsche Zeitung, die als seriöses Aushängeschild gilt, die haben die größte Scheiße geschrieben, die überhaupt jemand über mich zu Papier gebracht hat. Das kommt wenn eine völlig humorlose, spröde Journalistin durch mein Gegenüber mit ihren eigenen Frustrationen konfrontiert wird. Sie hat sich da in einer Art an mir abgearbeitet, die jeglichen Rahmen gesprengt und ein Zerrbild meiner übrig gelassen hat, was ich verwerflich fand. Über die „Bild“-Zeitung hingegen lache ich mich Tag für Tag tot.

MaHa: Würden Sie Ihr Buch als Ratgeber definieren?

Nick: Im satirischen Sinn. Es ist ein Ratgeber für solche Frauen, bei denen das Ikea-Billigregal unter der Abteilung „Selbsthilfebücher“ zusammen zu brechen droht. Es ist gleichzeitig auch eine Satire auf Selbsthilfebücher. Und teilt wahrscheinlich mehr mit als all jene. Ich selbst habe auch eine Million Selbsthilfebücher gelesen. Und habe hinter mir, was viele unbeholfene junge Mädels noch vor sich haben. Ich bin über einem langen Leidensweg bei mir angekommen und habe ja das Wissen zu diesem Standardwerk der Selbsthilfeliteratur unter vollstem körperlichen Einsatz und größten persönlichen Risiken direkt von Mutter Natur erworben und möchte das nicht umsonst getan haben. Man kann ein Wegweiser sein in diesem Dschungel der Gefühle und Illusionen, der Partnersuche und der Lebensführung, ob als Single, ob geschieden, ob frisch verliebt, oder ob als Alleinerziehende. Was man aus diesem Buch mit Sicherheit lernen kann ist, wie man nur mit einer kleinen Verschiebung der Betrachtungsweise seines eigenen Lebens die Dinge schon ändern kann, selbst wenn alles so bleibt wie es ist. Mit intaktem Humor lässt sich jedes Elend meistern.

MaHa: Haben Sie auch das Konkurrenzprodukt von ihrer Dschungel-Gegenspielerin Dolly Buster gelesen?

Nick: Dolly Buster hat noch nie ein Buch geschrieben – sie bezahlt Leute dafür. Die Bücher für Dolly Buster schreibt Volker Ludewig. Das ist ihr Ghostwriter, er betreut auch das Plattenlabel von Georgette Dee. Das weiß ich, weil er vor vielen Jahren mal mein Manager war. Das Buster-Buch hat keinerlei Eloquenz, keinerlei Satire. Was ich dem Leser dagegen biete, ist eine Welt! Ich hole die Leute da ab, wo sie gerade sind und entführe sie in eine Welt der Absurdität, in eine Welt mit Distanz zu sich selber, die Dinge neu zu überdenken. Es ist so, wie wenn man im Wald steht und dich jemand fragt: Wie findest du denn diesen Wald? Eigentlich müsste man von einem Flugzeug als Außenstehender heruntergucken und kann dann sagen wie dieser Wald nun ist. Das kann man nur von einer Sicht auf die Dinge und nicht, wenn man mitten drin steckt. Das hilft dem Leser auch, bespiegelt durch mich – ich arbeite ja jede unliebsame Lage ab, in die man als moderner Mensch nur kommen kann.

MaHa: Sind Sie ein moderner Mensch?

Nick: Ich bin ein konservativer, traditioneller, altmodischer Mensch, interpretiere mich aber sehr zeitgemäß, weil ich viel zu sehr in der Realität und mit beiden Beinen auf dem Boden bin, um in einer Traumwelt zu leben. Ich bin darauf angewiesen, dass ich nicht den Kopf in den Sand stecke, denn als Satirikerin mache ich ja nicht die Ereignisse, ich kommentiere sie nur. Mein ganzer Witz wird ja nur gespeist, aus dem, was ich sehe und was unsere Gegenwart darstellt. Mich sollen ja ganz viel Leute verstehen und nicht nur eine Unterkategorie von einer Minorität

MaHa: Machen nicht gerade Subkultur und Minderheiten ihr Stammpublikum aus?

Nick: Das ist ein völliges Ammenmärchen. Ich war ein Schwulenstar vor zwölf Jahren.

Im BKA-Zelt oder der Bar jeder Vernunft sitzen zehn Prozent Schwule und der Rest besteht aus Intellektuellen, Akademikern, einem intelligenten, jungen aufgeschlossenen Publikum, aber auch aus Muttis mit Blümchenkleid und Tasche auf dem Bauch. (ereifert sich) Ich habe das beste Publikum, das ein Mensch sich nur wünschen kann – und deswegen haben mich sieben Millionen Leute im Dschungel gewohnt – äh - gewählt. Ich weiß immer, für wen ich tätig bin. Hätte ich mich nur spezifiziert, orientiert und entwickelt anhand eines extremen Szenepublikums, hätte ich niemals eine Massenkompatibilität entwickeln können. Was Sie jetzt sagen, betrifft Cora Frost, die finde ich, hat ein ganz spezielles Publikum. Es gibt ja in Berlin allerhand so Leute, aber damit würde man mir wahrlich nicht gerecht werden. Ich wäre nie geworden, was ich bin, ohne schwules Publikum, aber ich habe gerade das beste Publikum durch seine Mischung. Ein Publikum muss polarisierend sein. Wenn neben ausgeflippten Schwulen spießbürgerliche Ehepaare sitzen - das will ich haben, damit kann ich arbeiten. Da kann ich die verheiraten Spießerfamilien gegen die Schwulen in ihren bourgeoisen Fantasien ausspielen - und umgekehrt. Wissen Sie, was ich ablehne? Jegliche Form eines homogenen Publikums. Nichts ist tödlicher. Nur 100% Schwule ist genauso langweilig wie 55jährige Ehepaare oder nur kreischende 14jährige Teenies. Alles scheiße! Weil dann 100 % der Leute über 100 % der Pointen lachen. Und beim Rest lacht gar keiner.

MaHa: Und wie ist es also Ihnen genehm?

Nick: Das beste ist, wenn bei der Pointe 20% lachen, bei einer anderen Thematik, lachen andere 20%, dann verstehen die Spießer nicht Insider-Schwulensachen, da lachen aber die 20% Schwule, die drin sitzen – und so lacht immer irgend jemand. Es muss immer wer über irgendetwas lachen können und dadurch schaukelt es sich hoch. So reißen diese Leute diejenigen mit, die über gar nichts lachen. Das ist mein Stil von Vorstellung!

MaHa: Wie nahe sind Sie am Publikum?

Nick: Ich habe nie meine Werke - oh Bücher oder Showprogramme - für Kritiker geschrieben, ich mache alles für diese abstrakte Masse Publikum. Für diese Leute, die so ganz anders sind als ich und sich mir dennoch so nah fühlen. Das ist für mich ein ganz großes Phänomen. Ich finde sehr schön, dass ich vielen Menschen etwas zu geben habe, deswegen habe ich das auch als Sternstunde für mich persönlich betrachtet, das sieben Millionen Menschen, die ich nicht kenne, mich gewählt haben, obwohl ich mich nicht Liebkind gemacht habe. Es gibt Dinge, die vermag eben nur das Fernsehen – das muss man ganz klar sagen. Für alle anderen, die es nicht wahr haben wollen, gibt es das wunderbare luxuriöse Geschenk der Fernbedienung. Das ist Demokratie: Wie ich den Fernseher anmache, kann ich ihn auch ausmachen.

MaHa: Haben Sie sich eigentlich „Die Burg“, das Gegenstück zum „Dschungelcamp“ angesehen?

Nick: Ich sehe mir keine billigen Kopien an.

MaHa: Laurence Olivier hat einmal gesagt, er möchte dem Publikum die Illusion vermitteln. Oskar Werner wollte den Traum schenken. Was ist ihnen näher?

Nick: Illusion und Traum bedingen sich ja gegenseitig. Illusion ist wacher Traum. Beim Traum schläfst Du. Illusion ist, wenn eine Frau die goldene Hochzeit gefeiert hat und fragt: „War mein Mann immer treu?“ Der Traum hat mehr die Chance, dass er als Kapitel in sich zur Seite gestellt wird und durch einen nächsten Traum ersetzt wird. Träume sind ja eine ganz große Kraft. Durch Träume und Illusionen finden wir das Ventil, welches sich unser Unterbewusstsein schafft, denn der Traum und die Illusion sind oftmals viel wahrer als was die Leute reden.

MaHa: Fühlen Sie sich manchmal missverstanden?

Nick: Ich verweise auf diese fürchterlich Hassjournalisten, die ihren eigenen Frust an anderen Menschen abarbeiten müssen, und unken: Die Nick kann ruhig mal in den Dschungel gehen... Diese ganzen Schweine schreiben nicht darüber, wenn ich bei der Volksbühne im Prater absahne und in einem ernsten Stück spiele. Glauben Sie, das hat einmal in der Zeitung gestanden? Das interessiert doch keine Sau! Ist doch zu langweilig...

MaHa Boulevardzeitungen und Feuilletons gehobener Blätter sind auch manchmal eingefahren und bedienen Klischees.

Nick: Diese ganzen Leute, die meinen, mir irgendetwas aufdrücken zu müssen, die kann ich nur auffordern meine monatlichen Kosten inklusive Schulgeld und Miete zu übernehmen, dafür möchte ich sie dann auch gerne mit Freikarten einladen in meine Sternstunden der avantgardistischen Hochkultur bei René Pollisch. Wissen Sie, was der größte Witz ist? Das die Leute, die am schlechtesten über mich schreiben, nie mit mir gesprochen haben. Einer der mit mir gesprochen hat, hat noch nie schlecht über mich geschrieben, weil der etwas von meiner Wahrheit sieht, die durchdringt. Mit der Frau, die sie sich als Hassobjekt auserkoren haben. Wie feige, wie mies! Daher bin ich jedem Journalisten dankbar, der überhaupt mit mir redet. Es sind immer die Guten, die gucken einem wenigstens in die Augen. Die beschissenen sind die, die den ganzen Abend neben einem stehen, einen wahrnehmen, ignorieren und am nächsten Tag eine erfundene Scheiße schreiben.

MaHa: Sie teilen selbst kräftig aus? Nach welchen Kriterien gehen Sie dabei vor?

Nick: Désirée Nick werde ich sein, wenn Leute sich auf den Schlips getreten fühlen, weil sie bei mir nicht dran kommen. Ich finde, es ist ein Ritterschlag, wenn ich mir jemanden vorknöpfe, der soviel Kontur hat, dass er der Rede wert ist und nicht in dem Sumpf undefinierbarer Weichgespültheit untergeht. Anouschka Renzi kann mir immer noch dankbar sein, was ich für eine unentgeltliche PR-Arbeit für sie geleistet habe.

MaHa: Gibt es für Sie überhaupt Grenzen?

Nick: Ich würde niemals das machen, was viele unserer schönen und wohlhabenden Promis, vornehmlich aus der Modelbrache, tun: Die verkaufen ja alle ihre Kinder an den Ottokatalog. Sie hängen sich mit denen vor die Kamera, das finde ich absolut ekelhaft und es sollte eigentlich verboten werden. Eltern haben zwar die Verantwortung, aber es geht um die Würde des Kindes, das sich nicht wehren kann. Diese Leute, ich nenne die Namen Verona Feldbusch und Claudia Schiffer. Heidi Klum geht auch in die Richtung. Sie wird nur schwanger, damit sie eine Erklärung für ihre Birkenstock-Schuhe hat. Diese Leute instrumentalisieren ihre Kinder. Wenn jetzt eine Harz-4 gebeutelte, allein stehende Frau aus Mahrzahn, die an Hausfrauenkrediten zu Grunde geht, ihre Familie damit retten will, ist das noch in Ordnung, aber wenn eine Frau, die mit einem Imperium ausgesorgt hat, ihre eigenen Kinder an die Medien verkauft, ist es das allerletzte. Da keimt in mir nackte Verachtung auf.

Das Interview führte Marc Hairapetian am 26. Januar 2005 im Hotel Adlon.