Marc Hairapetian: Haben Sie sich zur Vorbereitung von „Blueprint“
den Film „Meine liebe Rabenmutter“ mit Faye Dunaway, die die Rolle
der Joan Crawford verkörperte, angesehen? Sie spielen ebenfalls eine
Mutter, die - unabhängig von dem Klon-Hintergrund ,- ihre Tochter ganz
nach ihren Vorstellungen formen will.
Franka Potente: Obwohl ich den Film kenne, habe ihn mir aber nicht extra für
„Blueprint“ noch einmal angesehen. Es gibt ja einige Filme über
den ewigen Mutter-Tochter-Konflikt. Allerdings muss ich auch zugeben, dass
der Klon-Aspekt allein nicht der Grund war, die Doppelrolle anzunehmen. Klonen
kann ich ja auch nicht darstellen, sondern nur Ambivalenzen in der Beziehung
zwischen den beiden Frauen.
MaHa: Auch wenn Sie für Ihre Darstellung(en) der Klon-Aspekt nicht sonderlich
interessiert hat, drängt sich die Frage auf, wie Sie zu dieser Thematik
stehen. Ist es ein Eingriff in die Schöpfung?
Potente: Es ist nicht so, dass mich das Thema grundsätzlich nicht interessiert,
aber es ist nicht interessant für mich in der Arbeit. Ich kann nur zwei
Menschen zeigen, die eine große Schnittmenge haben, die aber in Wirklichkeit
ganz unterschiedlich sind. Ich habe mir beim Drehen immer ein Schaubild vorgestellt:
Iris und Siri sind wie ein Mensch mit zwei Köpfen, der sich irgendwann
zerreißt. Die Mutter ist zwar das Original, doch ich wollte sie künstlicher
als die Kopie herstellen. Jemand, der sich bis zum Exzess stilisiert und als
Kunstfigur gefällt, also eine völlig egomanisch-narzißtische
Person. Sie meint, sie muss ein Ebenbild klonen, weil sie sieht, dass sie
selber langsam verfällt. Bei der Tochter habe ich mir gedacht, als sie
erfährt und damit leben muss, dass sie geklont wurde: Das ist so, als
ob Dir jemand eine unglaubliche Neuigkeit überbringt und sagt „Du
bist zwar unheilbar krank, aber mach was daraus!“ Das Ganze wirft so
viele verwirrende Fragen auf und beantwortet letztendlich auch, was zerrissen
in einem war. Siri fällt dadurch in ein tiefes schwarzes Loch, weil sie
ihrer einzigen Bezugsperson, die sie jemals gehabt hat, nicht mehr vertrauen
kann. Sie stellt die ganze Welt in Frage, und da taucht zunächst eine
reine Klon-Debatte nicht auf. Man kann es ja nur von innen beleuchten: Wenn
man selbst ein Klon ist, muss man damit erst einmal klar kommen. Um jetzt
auf diese Thematik zu kommen: Ich habe wie wohl die meisten Menschen, schon
als Reflex die natürliche Reaktion moralisch-ethisch zu sagen: Nein,
finde ich pervers und widernatürlich; aber wenn man auf bestimmte Aspekte
wie mögliche Heilung von Krankheiten anspielt, ist es wiederum gar nicht
so einfach. Ich persönlich habe allerdings das Vertrauen nicht, dass
man es trennen kann. Selbst wenn man ethische Ausschüsse bildet, die
die Klon-Technologie kontrollieren sollen, und Parameter festlegt, wie weit
man gehen kann, bleibt bei mir das mulmige Gefühl, dass dies in Wahrheit
nur ein Deckmantel ist, um es doch zu tun. Wenn ich bestimmte Tiere oder Organe
klonen kann, um jemand zu heilen, wie weit ist dann der Weg um komplett am
Reißbrett entworfene Menschen künstlich zu kreieren? Die Einschätzung,
was in diesem Fall erlaubt ist, fällt sogar Professoren und anderen Spezialisten
schwer. Es ist eine völlig neue Dimensionen, wo man überhaupt keine
Ahnung hat, wohin es führt, wenn man diese oder jene Tür öffnet.
MaHa: Hinter „Blueprint“ steckt auch die Frage, ob es richtig
ist, dass man sich durch seine Kinder reproduzieren will.
Potente: Das denke ich. Auch als Schauspielerin geht es für mich um die
Frage, wo kann ich mich in Ansätzen identifizieren? Um Projektion geht
es doch immer: als Eltern mit Kindern, in jeder Liebesbeziehung, in jeder
Freundschaft. Wenn man Iris fragen würde, würde sie immer sagen:
„Ich liebe dieses Kind! Ich liebe dieses Kind!“ Und wir sagen
doch auch: Wir lieben unseren Partner. Wir lieben unseren Hund. Aber vielleicht
haben wir den Hund auch nur, weil wir sonst allein wären. Vielleicht
stehen wir gar nicht auf Tiere und müssen niesen, wenn es rumläuft.
Was ich damit sagen will: Es gibt bewusstes und unbewusstes. Es ist nur menschlich,
zu projizieren, auch aus Egoismus. Davon hat Iris sehr viel – sie ist
total überhöht. Ich glaube trotzdem, dass sie eine Entwicklung durchmacht.
Das nämlich, was gegen ihren Plan verläuft, also das, was bei Siri
eigentlich aus der Art schlägt, vermisst sie am Ende auch bei sich selbst.
MaHa: Verhält es sich also zwischen Iris und Siri wie bei Doctor Doolittle`s
„Stoßmichziehdich“?
Potente: Sicher. Und dafür muss man wahrscheinlich noch nicht mal geklont
sein, um so etwas zu erleben...! Es ist ja auch eine Hassliebe zwischen den
beiden – und sie sind trotzdem Mutter und Tochter, auch wenn es nicht
auf natürlichem Weg zustande kam.
MaHa: Sie standen für „Blueprint“ nicht nur in Kanada vor
der Kamera, sondern auch in Münster nicht unweit von Ihrem Elternhaus.
Kommen da noch mehr Erinnerungen aus der Kindheit hoch, als wenn man in andere
Rollen an anderen Drehorten schlüpft?
Potente: Wenn ich arbeite, arbeite ich wirklich, d.h., ich bin in dieser Beziehung
total asozial, weil ich kaum noch etwas anderes leisten kann. Das war hier
natürlich doppelt so viel als sonst. Nichts desto trotz hatte ich diesmal
Vater, Mutter, Tante und Oma am Set, weil sie nicht weit entfernt wohnten.
Meine Mutter hat sich auch nicht davon abbringen lassen, meine Wäsche
zu waschen. Es war mir alles sehr vertraut – bis zu den Leuten aus Münster,
die bei der Produktion mitwirkten. Dafür bin ich natürlich offen,
aber ansonsten ist man schon sehr im Film drin. Bei aller Liebe war es manchmal
allerdings wirklich ein bisschen zuviel. Ich habe es nach Hause in Dülmen
auch nur einmal geschafft. Für mich hieß es am Wochenende a) einmal
richtig auszuschlafen, um den Kopf frei zu kriegen und b)
mit dem Pianisten zu üben. Ich konnte einfach nicht vollkonzentriert
über die Gebrechen der Bekannten reden und gleichzeitig noch Kaffee machen,
aber das wird von einer guten Tochter natürlich immer ein bisschen erwartet.
MaHa: Sind Sie denn immer eine „gute Tochter“ gewesen?
Potente: Ich habe wie mein Bruder immer auch ein bisschen rebelliert, so wie
man rebellieren kann, doch wir waren immer moderat. Es gibt ja Teenager, die
nicht mehr zur Schule gehen, sich einen Knopf an die Backe nähen und
Drogen wie wild nehmen. Ich habe manchmal schon retrospektiv gesagt: Ihr könnt
so froh sein, dass ihr uns als Kinder hattet. Ich glaube, meine Eltern hatten
nie wirklich Probleme mit uns, obwohl natürlich auch manchmal die Fetzen
flogen und mein Vater mit mir eine Woche nicht redete, als ich mit 18 Jahren
mein erstes Tattou hatte. Er wollte es übrigens auch nicht sehen... Ich
fand es immer scheiße, wenn mir vorgeschrieben wurde, was ich anzuziehen
hatte. Mein Vater war ja in einer Kleinstadt Leiter einer Hauptschule, und
wenn dann die Tochter in einer zerfetzten Jeans herumlief, dann dachten die
Honoratioren der Stadt, dies wäre ein großes Problem. Und das fand
ich halt ein Problem. Mir gefiel auch nicht, dass mein Vater Mercedes fuhr.
Den Wagen wollte ich eine zeitlang nicht betreten. Das war für mich mit
16 ein kapitalistisches Statussymbol – und das fand ich uncool. Ich
hörte lieber Punkmusik von den Goldenen Zitronen oder Independentpop
von Phillip Boa and the Voodooclub. Halt alles mögliche Krachzeug. Insgesamt
verlief meine Kindheit und Jugend also total harmlos.
MaHa: In Kanada wiederum haben Sie jenseits der Zivilisation gedreht. Gab
es nennenswerte Zwischenfälle?.
Potente: Nicht wirklich. Wir haben in Kanada auf Vancouver Island gedreht
und das hatte ungefähr die Atmosphäre von Astrid Lindgrens „Ferien
auf Saltrokan“. Totale Wildnis. Da gab es einen kleinen Tante-Emma-Laden
und ansonsten einen Haufen Bären und im Wasser Wale und Lachse. Ich habe
zusammen mit fünf Teammitgliedern in einem riesigen Holzhaus gewohnt.
Die Kanadier schließen die Türen nicht ab, doch es hat uns kein
Raubtier besucht. Dafür übernahm ich diverse Haushaltsaufgaben,
machte Frühstück und dergleichen, während mir die Maskenbildnerin
halb verschlafen die Perücke aufsetzte. Da möchte ich unbedingt
noch einmal privat hin.
MaHa: Seit einigen Jahren wagen Sie den Spagat zwischen deutscher Karriere
und Hollywood-Angeboten. Gibt es für Sie generelle Unterschiede in der
Arbeit?
Potente: Als Spagat nehme ich es gar nicht wahr. Das eine hat sich aus dem
anderen ergeben. Die Möglichkeit in Amerika zu arbeiten, kam ganz klar
durch „Lola rennt“ zustande und ist immer noch limitiert. Da lese
ich, was ich lesen kann. Und was sich dann ergibt, und was ich mag, das mache
ich dann – genauso wie bei einem deutschen Drehbuch. Ich finde es bei
englischsprachigen Produktionen immer gut, wenn ich nicht meinen Akzent wegradieren
muss. Einfach aus dem Grund, weil ich meine, dass ich dann besser spiele.
MaHa: Stimmt es, dass Sie vertraglich dazu verpflichtet sind, an der Fortsetzung
von „Bourne Identity“ mitzuwirken?
Potente: Ja, aber ich hätte es auch freiwillig getan. Und bin sehr froh
darüber, dies ehrlich sagen zu können. Paul Greengrass ist jetzt
unser neuer Regisseur. Ich begebe mich freiwillig nach Indien, hätte
aber im Zweifelsfall auch keine Wahl gehabt.
MaHa: Sie sollen in diesem Film, kaum das man Sie gesehen hat, sehr schnell
Ihr Kinoleben aushauchen...
Potente: Darüber darf ich leider noch nicht sprechen, aber es gibt eine
Romanvorlage, in der man es nachlesen kann. Ich selbst habe die Vorlage nicht
zuende gelesen, weil ich sie ein bisschen reaktionär fand..
MaHa: Sie sagen „reaktionär“. Ist Ihnen das dann egal bei
der Auswahl eines Rollenangebots?
Potente: Die Romanvorlage wurde in den 1980er Jahren geschrieben. Das war
eine andere Zeit. Das Drehbuch macht nur Anleihen. Bei uns werden Frauen nicht
an den Haaren gezogen. Das Original sprühte in der Tat noch vor dunkelstem
Machoverhalten.
MaHa: Sie gelten als perfektionistisch. Haben Sie wirklich für „Blueprint“
Klavierspielen gelernt?
Ich hatte ein halbes Jahr Klavierunterricht, wobei mir meine Geigen-Vorkenntnisse
recht nützlich waren. Irgendwann mussten wir natürlich faken. Kleine
Teile von Musikstücken konnte ich im Film tatsächlich selbst vortragen,
doch der Großteil wurde natürlich eingespielt. So beherrschte ich
die exakten Gesten, war aber nach Anfangserfolgen, etwas enttäuscht,
dass ich ad hoc keinen Mozart oder Bach auf dem Flügel spielen konnte.
Somit bin ich wieder lieber zur Geige zurückgekehrt.
MaHa: Inwieweit haben Sie sich im Zusammenhang mit der Mutter-Tochter-Doppelrolle
auch mit einem eigenen Kinderwunsch auseinandergesetzt?
Potente: Grundsätzlich möchte ich auf jeden Fall Kinder haben, aber
so etwas machst Du schließlich nicht alleine. Wenn man - wie ich - derzeit
ein bisschen heimatlos ist, auch wenn es bald wieder geografisch eine gibt,
hat man andere Gedanken. Ich habe erst seit einigen Monaten einen neuen Freund
und da denkt man über so etwas noch nicht nach. Ein Kind zu zeugen bzw.
zu bekommen, ist vielleicht das größte Wunder der Evolution. Es
aufwachsen zu sehen, wirft neue Perspektiven aufs eigene Leben. Und das, ohne
Drogen zu nehmen! (lacht) Irgendwann würde ich das gerne mitnehmen. Vor
allem der Teil der Entwicklung des Kindes bis zum fünften Lebensjahr.
Das ist wohl wirklich ein doppeltes Geschenk an die Eltern, die sich an diesen
Abschnitt ihrer eigenen Kindheit meist nur diffus erinnern können und
ihn dann noch mal durchleben dürfen.
MaHa: Haben Sie eigentlich Angst vor einem eventuellen Karriereknick?
Potente: Ich könnte mir vorstellen, bevor irgendetwas knickt, knicke
ich lieber selber. Obwohl ich meinen Beruf liebe, denke ich, ich könnte
irgendwann auch noch etwas anderes machen. Ich habe gerade ein Jahr Auszeit
genommen, zwar in Amerika, konnte aber wieder ein quasi normales Leben führen.
Wichtig ist mir, mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Mit zunehmenden Alter
versuche ich, ständig mehr über mich herauszufinden.
MaHa: Was möchten Sie denn gerne herausfinden?
Potente: Auch wenn sich das jetzt total prätentiös anhören
mag: Ich möchte intensiv leben, aufmerksam sein, sowohl Ruhe und Gelassenheit
lernen, als auch als auch frei zu sein in Beziehungen, in der Liebe und im
Denken. Ich finde analytisches Denken gut, beschäftige mich seit Jahren
damit, ob ich nun lese, schreibe oder fotografiere. Dem neben oder Hand in
Hand mit meinem derzeitigen Beruf nachzugehen, möchte ich nicht missen.
Es gibt so vieles zu erleben, es muss nicht nur das eine sein.
MaHa: Lenkt Sie der ganze PR-Rummel um Ihre Person manchmal nicht von Ihrer
eigentlichen Zielsetzung ab?
Potente: Er verführt manchmal dazu. Ich habe oftmals ein Respektsproblem
mit der Branche, in der ich selbst drin stecke. Je älter ich werde, je
mehr ich mache, desto mehr Ambivalenzen tun sich mir auf, die ich immer schwieriger
finde. Das geht Ihnen als Journalist sicher nicht anders. Bei diesem ganzen
Überbau von Publicity, der sich um meine eigenen Filme oder gar meine
Person dreht, denke ich häufig: Jetzt mal Butter bei die Fische. Das
interessiert doch nicht wirklich. Bin ich nicht selbst schon Bestandteil eines
Systems, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob ich wirklich alles mitmachen
muss?
MaHa: Sie haben mal gesagt, dass „Blueprint“-Regisseur Rolf Schübel
Ihnen viel Freiheit gelassen hat. Lassen Sie sich als Schauspielerin auch
mal gerne führen?
Potente: Selbstverständlich, das ist mir sogar lieber. In der Hinsicht
bin ich ganz konservativ. Es geht zwischen Schauspieler und Regisseur darum,
gemeinsame Schnittmengen zu erarbeiten, aber auch Unterschiede zu erkennen,
die die Kooperation nicht behindern dürfen. Ich brauche immer jemand
der von außen draufsieht, mit dem ich über die Rolle diskutieren
kann. Manche Regisseure sind nicht immer vor Ort – und da wird es für
mich problematisch.
MaHa: Sie wirken sehr selbstbestimmt, scheinen auch im richtigen Augenblick
loslassen zu können.
Potente: Bei den Entscheidungen, die ich treffe, verhält es sich wie
mit dem Kubik –Würfel. Ich versuche solange zu probieren, bis die
Teilchen richtig zusammen passen. Analytisches Denken - und daraus unumstößliche
Entscheidungen zu treffen - ist etwas weibliches. Diese These erlaube ich
mir einfach mal aufzustellen. Frauen sind Brüter. Wir können auf
verschiedenen Leveln denken, weil wir es genetisch müssen. Potentiell
sind wir ja zwei. Ich sage nicht, dass Männer dumm sind, im Gegenteil,
von Tom Tykwer habe ich beispielsweise viel über Perspektivwechsel gelernt,
ich glaube nur, dass bei Frauen in einem bestimmten Alter diese Gabe besonders
ausgeprägt ist. Ich habe gesehen, dass Männer unter Druck anders
funktionieren. Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, dann ist sie getroffen,
aber ich habe es mir sehr genau überlegt.
Das Gespräch führte Marc Hairapetian.