Will Eisner

„Der wirkliche Feind ist das Leben, nicht die Leute“

Der SPIRIT ist tot, es lebe der SPIRIT: Ein letztes Interview mit dem legendären Comic-Zeichner Will Eisner (1917 – 2005)

von Marc Hairapetian

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Er war unbestreitbar einer der größten Comiczeichner. Will Eisner, der Sohn österreichischer Emigranten, revolutionierte geradezu in den USA mittels graphischer Brillanz und der Aufhebung des „Gesetzes“ der Perspektive dieses lange Zeit unterschätztes Medium. Seine Figur des Detektiven Denny Colt alias THE SPIRIT wird in nahezu jeder Comic-Abhandlung als „Meisterwerk“ bezeichnet – und dies , obwohl er die meist sieben bis achtseitigen Stories „nur“ von 1940 bis 1951 zeichnete. Danach widmete sich der bis zum Schluss aktive Eisner, der sich nur ungern wiederholte, vermehrt der „graphic novel“, wobei ihm „Ein Vertrag mit Gott“, „Lifeforce“ und das „City People Notebook“ große internationale Anerkennung bescherten.

Marc Hairapetian: Mr. Eisner, denken Sie, dass Sie einen großen Einfluss auf andere Zeichner haben?

Will Eisner: Es ist schwer, diese Frage zu beantworten. Ich wünschte, es glauben zu können. Aber dies müssen die anderen Comic-Zeichner entscheiden. Es ist schwer zu erklären. Was meinen Sie mit Einfluss?

MaHa: Sehen Sie sich als Vorbild für andere Comic-Zeichner?

Eisner: Der erste in diesen Bereich muss Vorbild sein, und schließlich werden andere nachfolgen. So glaube ich es von mir schon , da ich schon lange in diesem Genre tätig bin. Was kann sich ein Künstler anderes wünschen, als dass sein Werk andere beeinflusst hat. Es ist alles, was du anderen hinterlassen kannst.

MaHa: Ist die von Ihnen geschaffene Figur des Detektivs Denny Colt, der als SPIRIT gegen die Unterwelt kämpft, ein sympathischer Verlierer?

Eisner: Ich habe in ihm nie einen Verlierer gesehen. Ich sehe ihn als Verbrechensbekämpfer aus der Mittelklasse.

MaHa: Warum Mittelklasse?

Eisner: Weil er seinen Beruf ausübt, um damit Geld zu verdienen und Ruhm zu ernten. Ich habe den SPIRIT nie als Superstar gesehen.

MaHa: Er ist nicht SUPERMAN...

Eisner: Der SPIRIT ist im klassischen Sinne eine menschliche Figur wie die Detektive SAM SPADE und PHILLIP MARLOWE. Aber die ganze Idee, die sich dahinter verbirgt ist sehr einfach. Der SPIRIT ist ein selbsternannter Verbrechensbekämpfer, keiner hat ihn dazu aufgefordert, einer zu werden. (lacht..)

MaHa: Irgendwann haben Sie ihn aufgegeben und nicht mehr daran gearbeitet.

Eisner: 1951 habe ich aufgehört den SPIRIT zu zeichnen. Ich habe zu dieser Zeit einen Verlag aufgebaut, der Comics den Menschen näher bringen sollte. Sie müssen dazu meine Psyche verstehen. Ich bin eigentlich nur daran interessiert, neue Dinge kennen zulernen. Ich habe schon immer an das Medium geglaubt. Ich meine, dass dieses Medium mehr umfasst, als nur Superstar-Geschichten und Micky Mäuse. Ich hatte nicht das Bestreben, dass andere Cartoonisten in jener Zeit besaßen, mich von Comics zu lösen, um Maler oder Schriftsteller zu werden. Ich weiß, dass ich in meinem Metier mein ganzes Leben arbeiten werde. So versuchte ich , alles aus mir herauszuholen. Da dieses Medium einen Anspruch hat, aber eigentlich keiner so recht etwas dafür tut, damit es ernst genommen wird, sah ich eine Möglichkeit für mich und tat etwas dafür! Somit habe ich mich in über 20 Jahren nach dem SPIRIT darauf konzentriert, diese Verlagsgesellschaft aufzubauen. Ich bin in Schulen gegangen und habe Comics als ein Lehrmittel genutzt - auch für das Verteidigungs- und Arbeitsministerium; so habe ich dort mögliche Nachteile und Fehler aufgezeigt. Heute unterrichte ich immer noch über das Medium Comic, über das ich auch ein Buch geschrieben hatte. 1974/75 verkaufte ich dann meine Verlagsgesellschaft. Auf diesem Gebiet hatte ich etwas getan, aber da gab es noch etwas anderes. Ich habe dann das Medium für literarische Zwecke genutzt: Ich verfasste ein Werk, das sich enthaft damit beschäftigt. Ich glaube, zu der Zeit war ich der erste, der dies tun konnte. Ich hoffte, dass andere folgen würden und fühlte mich wie jemand, der eine „Tollboth“ eröffnet hat (Tollbooth ist ein Häuschen, in dem Strassenbenutzungsgebühren bezahlt werden – der Interviewer) Ich eröffne dies in einem offenen Feld und warte darauf, dass dort eine Straße gebaut wird...

Ich habe immer nach einem anderen Publikum gesucht - einer Zielgruppe, die sich von der unterscheidet, mit der sich die anderen Comic-Herausgeber zufrieden geben. Gerade deswegen habe ich den SPIRIT gemacht. Und aufgehört habe ich nicht nur, weil ich niemand fand, der ihn weiterführen konnte. Eine Tatsache, die ich sehr bedaure. Es gibt viele Comics, die nicht sehr mit der Persönlichkeit des Zeichners verbunden sind. Es wäre einfach, Micky Mouse zeichnen zu lassen. Es gibt aber Comics, die kann kein anderer weiterführen, z.B. „Blondie“.

Ich muss Ihnen ein Geheimnis anvertrauen: Ich hätte mir mich niemals dabei vorstellen können, einen täglichen Strip zu zeichnen. Diese Vorstellung allein, die selbe kleine Figur in vier kleinen Bildern tagtäglich zeichnen zu müssen, verschafft mir Platzangst! Das ist etwa so, als wolle man versuchen, ein Symphonieorchester in einer Telephonzelle zu dirigieren.

MaHa: Welche der SPIRIT-Episode ist für Sie persönlich die beste?

Eisner: Ich denke, die Episode über GERHARD SCHNABEL, den fliegenden Mann. In dieser Episode habe ich eine Kursänderung in den SPIRIT-Stories vorgenommen und mir den Luxus erlaubt, eine philosophische Aussage zumachen: Jeder Mensch begeht wenigstens einmal im Leben eine Heldentat, aber niemand erfährt je davon. Ich halte es für traurig, aber so ist das Leben. Außerdem war diese Story für mich bedeutsam, weil der SPIRIT in ihr nicht hätte auftreten müssen - ich hätte auch ohne ihn auskommen können.

MaHa: Der SPIRIT hat immer einen tragischen Moment.

Eisner: Lassen Sie uns lieber sagen, dass er ernste Momente hatte - auch im Humor liegt die Tragödie. Ich habe das gesagt, was ich wirklich denke: Am Ende der Geschichte sagt dieser Mann, der von dem anderen getötet werden sollte, der jedoch zu alt ist, um es zu tun, und deshalb stirbt, zu eben diesem Mann: „Das Leben ist ein riskantes Geschäft!“ Ich denke, der wirkliche Feind ist das Leben, nicht die Leute.“

MaHa: Warum sind die Frauen in Ihren Comics so hart und materiell?

Eisner: Oh, sie sind es nicht! Sie sind eben sehr fähige Frauen. Ich habe mich immer zu mehr zu solchen Frauen hingezogen gefühlt, als zu den passiven, hilflosen. Jeder Mann hat da andere Vorlieben. Die Frauen , die ich zeichnete, waren fähig und hatten ihre eigene Persönlichkeit. Sie waren deshalb nicht unbedingt hart; ELLEN DAWN war in einer sanften Art und Weise hart. Ich sage ihnen eines: Viele Frauen sehen sanft und zart aus und sind jedoch in Wirklichkeit innerlich hart.

MaHa: Warum gab es Ihrer Meinung nach in den 1960ern und -70ern die SPIRIT-Revivals?

Eisner: Ich glaube, es waren grundlegende Stories über menschliche Beziehungen. Geschichten über Superhelden werden nicht überleben, weil sie sich immer nur mit einem bestimmten Moment beschäftigen; z.B. wie wir den Weltraum erobern oder die Invasion von Außerirdischen. Der Kampf zwischen zwei Menschen in einer Stadt wird in Erinnerung bleiben. Aus dem gleichen Grund lesen wir immer noch die SHERLOCK-HOLMES- oder CHARLES-DICKENS-Stories, selbst wenn die Szene altmodisch wirkt.

MaHa: Warum arbeiteten Sie für ein Army-Magazin?

Eisner: Gute Frage! Weder bin ich, noch war ich, noch habe ich jemals vorgehabt, ein Händler des Todes zu sein. Als ich die Comics für militärische Zwecke gebrauchte, habe ich als Lehrer gearbeitet. Es gab während des Krieges zwei Arten von Comics: Ich habe sie als Lehrmittel benutzt, um ihnen zu zeigen, wie sie im Ernstfall überleben können. Es gab auch welche, die zu Propagandazwecken gebraucht wurden: „Hasse, gehe los und töte!“ Ich habe so was abgelehnt, aber was ich tat, konnte ich mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich war mit Anweisungen und dem Retten von Menschenleben beschäftigt. Ich war auf den Kriegsfeldern von Vietnam und Korea und habe mit Leuten gesprochen. Für einen Soldaten ist seine Ausrüstung eine Sache der Verteidigung! Die meisten - es sei denn, dass sie in der Führungsspitze sitzen - denken wirklich nicht ans Töten, sondern ans Überleben. Jeder, der dort war, weiß, wovon ich rede. Etwa 90% der Vietnamsoldaten - bis auf einen kleinen Teil, der aus Angst oder aus Terror tötete- wollte da raus und nach Hause. Und so eine nicht funktionierende Ausrüstung flößt einem Angst ein. Sie ist das einzige, was zwischen dir und der Kugel steht. Ich tat etwas, weswegen ich mich nicht zu schämen brauche. Ich würde es wieder tun. Ich habe zudem bewiesen, dass dieses Medium als Lehrmittel geeignet war. Niemand hatte es vor mir versucht.

MaHa: Kennen Sie viele europäische Zeichner? Wie denken Sie über die Szene in Europa?

Eisner: Ich kenne viele. Seit den 1960er Jahren hat Europa eine wunderbare Szene für Comics. Sie haben die internationale Comiclandschaft sehr beeinflusst. Der europäische Zeichner hat einen erheblichen Teil dazu beigetragen, dass das Medium sich als solches etablieren konnte, das es von Erwachsenen gelesen wurde. Während meiner ersten Europa-Reise in den frühen Sechzigern, war ich erstaunt, dass Comicbook-Künstler zu den sogenannten „echten“ Künstlern gehörten, anders als in Amerika, wo wir einer anderen Dimension angehörten und dies auch glaubten, weil Comic-Books schon immer als unterste Stufe der Leiter angesehen waren. Die Cartoonisten für den NEW YORKER und solche Magazine gehörten schon der „Aristokratie“ an. Danach kam der „daily strip“ Zeichner, und ganz, ganz unten erst kam der Comic-Book-Zeichner.

In Europa haben die einzelnen Nationen eine Art eigenes Milieu innerhalb ihrer eigenen kulturellen Grenzen geschaffen und dabei Material produziert, das dafür gedacht war, von Erwachsenen gelesen zu werden; jede Nation hat einen anderen Beitrag geleistet. Die Spanier haben umfassende Kunst geleistet, ebenso viele Italiener, auch die Belgier, die jedoch das ganze eher verstärkt haben. Die Szene verändert sich, in jedem Bereich, ob es nun Musik-, Film- oder Comic-Art ist; es spielen sich mehrere Bewegungen zur selben Zeit ab.

Es verlangt kein Genie, um Bewegungen zu erkennen; man braucht bloß zurückzutreten und sie zu erkennen und sensibel der Sache gegenüber zu stehen. Man muss optimistisch sein. Ich selbst bin ein unheilbarer Optimist, selbst wenn es oft nicht danach aussieht.

MaHa: Die Comic-Gemeinde sieht Sie als eine Art Revolutionär. Sehen Sie sich auch so?

Eisner: Das ehrt mich sehr. Aber obwohl ich als einer der ersten mit optischen Verzerrungen, kniffligen Perspektiven und einem expressionistischen Einschlag im Comicbereich arbeitete, macht das alles noch keine Revolution aus, wenn die gesellschaftspolitische Zielsetzung fehlt. Das Comic-Medium war für mich immer auch eine Art des Protestes – ebenso wie es z. B. später der Punk war. Als es mit den Comics losging, war die primäre Absicht junge, heranwachsende Männer von zehn bis 14 Jahren von ihrer Reifung zu versichern: Sie werden zu Männern, wissen aber noch nicht, was es bedeutet. Dafür dienten die „super heroes“. Dieses Genre habe ich mit dem SPIRIT zumindest relativiert. Ich muss Ihnen jedoch sagen, dass man bei einer Analyse des Comic-Geschäftes nicht zu einem umfassenden Ergebnis kommen kann, da es ständigen Veränderungen unterliegt. Die größte Veränderung dieser Kunstform ging mit ihrer sozialen Revolte in den 1960er und 1970er Jahren, als ich bereits längst etabliert war, daher – ich war vielleicht nur ihr Vorläufer: Zum ersten Mal wurde es nicht nur für Hamburger Illustrationen genutzt, sondern von Leuten gemacht, die ein ernsthaftes Anliegen hatten. Leute, die zu einer anderen Zeit Handzettel geschrieben hätten. Als ich jung und ein Teil radikaler Strömungen war, haben wir brutale Flugblattcartoons gezeichnet und sie Leuten auf der 14th Street in die Hand gedrückt, in der Hoffnung, damit die Welt ändern zu können. Und plötzlich kamen diese Leute und bedienten sich des Mediums bei ihrem Aufschrei für die politische Revolte. Das Interessante dabei war, dass es nicht leicht für Sie war, sich gegen etablierte Situationen durchzusetzen. Es gab keine Bastille, die man hätte übersteigen können – der Feind war nicht klar definiert. Es ist wie mit dem Problem der Teenager in den letzten Jahrzehnten, das darin lag und liegt, dass sich ihre Eltern untereinander einig waren bzw. sind. Doch: Wie kann man schon mit „verstehenden Eltern“ zurechtkommen?

Marc Hairapetian ist Herausgeber des Film-, Theater-, Musik-, Literatur- und Hörspielmagazins SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM, dessen Titel auch eine Hommage an Will Eisners SPIRIT ist. Das erste Treffen der beiden SPIRITs fand 1989 in Hannover statt, als Eisner die Filmdokumentation „Comic Book Confidential“ vorstellte. Es sollten weitere Gespräche folgen – das letzte im September 2004.