„Die Romantik ist weg“

Pierre Brice über Winnetou und Old Shatterhand, Romantik und Karl Mays Besserwisserei

von Marc Hairapetian

 

Drucken

Marc Hairapetian: Sie haben sich viel Zeit gelassen, eine Autobiografie zu schreiben. Haben Sie den Gedanken daran lange mit sich herum getragen? Oder ist der Verlag an Sie herangetreten?

Pierre Brice: Nein, überhaupt nicht. Ich bin im Herbst - oder besser gesagt im Winter meines Lebens. Ich bin 75 und habe gedacht, es ist Zeit, meine Memoiren zu schreiben, bevor jemand anders meine Biografie schreibt, ohne zu wissen, wer ich bin. Das ist mein wahres Leben. Das meiste davon ist in Deutschland, wo man mich hauptsächlich mit Winnetou identifiziert, nicht bekannt.

MaHa: Wie lange hat der Prozess des Niederschreibens denn gedauert?

Brice: Ich habe dafür neun bis zehn Monate gebraucht. Ich habe in Französisch geschrieben, ganz allein, ohne Ghostwriter. Natürlich musste ich, wenn ich über den zweiten Weltkrieg erzählte, zur Dokumentation greifen, weil man da natürlich keinen Fehler machen sollte. Die Daten und Fakten müssen einfach stimmen. An den Rest habe ich mich erinnert.

MaHa : Sie haben geschrieben, dass Sie ein recht guter Schüler waren. Sind Sie trotz der Winnetou-Reihe als Schauspieler nicht so ehrgeizig gewesen? Sie verzichteten unter anderem in Hollywood auf einen Siebenjahresvertrag.

Brice: Vor Winnetou habe ich in Rom 15 Filme gemacht. Nach Winnetou habe ich auch wieder in Italien und natürlich Frankreich gedreht. Während der Winnetou-Welle hatte ich wenig Möglichkeiten, andere Rollen zu spielen. Erstens war die Zeit einfach nicht da, zweitens glaubten seinerzeit viele Produzenten und Regisseure, ich hätte einen Exklusivvertrag mit Horst Wendtland – dem war aber nicht so. Schade wegen einiger verpasster Möglichkeiten, aber die Idee elf Karl-May-Filme mit Erfolg zu machen, war für mich eine durchaus befriedigende Erfahrung.

MaHa: Der „Schatz im Silbersee“ unter Harald Reinls Regie war 1962 ihr erster Karl-May-Film. Das Drehbuch hatte Ihnen anfangs wohl nicht sonderlich gefallen?

Brice: Non! Ich war damals frisch verliebt und wollte auf einer Yacht Urlaub mit meiner damaligen Freundin machen. Doch meine Agentin in Paris insistierte: „Ich schicke Dir das Buch.“ Ich fand es nicht interessant, einen Indianer zu spielen, vor allem, weil ich daran dachte, wie sie in den Hollywood-Filmen der 1940er und 1950er Jahre dargestellt wurden. Die Hauptrolle hatte zudem ein Weißer. Meine Freundin meinte aber zu mir: „Wenn Du die Chance hast, in einem anderen Land Karriere zu machen, nimm die Rolle an. Ich werde Dich dann dort besuchen.“ Das war ein Grund „ja“ zu sagen – und es wurde ein Erfolg.

MaHa: In einem der Winnetou-Filme sagen Sie den genial simplen Satz „Es ist besser gutes zu tun als böses.“ Kann man es darauf reduzieren? Ist das die Philosophie von Karl May – und ist das auch Ihr Credo?

Brice: Es ist in jedem Fall besser ein Guter zu sein, als ein Böser, aber einen Bösen zu spielen ist manchmal interessanter. Vor Winnetou habe ich zwei oder drei Mal einen Finsterling gespielt. Eine untypische Rolle hatte ich in „Die Puppe des Gangsters“ als ein Polizist, der sich in ein von Sophia Loren verkörpertes Gangsterliebchen im Rita-Hayworth-Look verguckt hat. Der Film war sehr lustig - und es machte Spaß an der Seite von Sofia und Marcello, der den Bandenboss mimte, einen ambivalenten Charakter zu spielen, der alles andere als ein Held war.

MaHa: Warum haben Sie 1959 eigentlich nicht den Hollywood-Vertrag unterzeichnet?

Brice: Ich habe „nein“ gesagt, weil ich damals in Rom sehr beschäftigt war und noch andere Filme zu drehen hatte. Fast hätte ich in Fellinis „La dolce vita“ mitgewirkt. Ich wusste außerdem sehr wohl, dass es manchmal regelrecht gefährlich ist, einen Siebenjahresvertrag in Amerika zu machen. Man kann Erfolg haben, man kann aber auch trotz der guten Bezahlung anderweitig nicht arbeiten und ganz schnell vergessen sein. Danach ist der Schauspieler dann kaputt.

MaHa: Gab es nach den Winnetou-Filmen und dem Karl-May-losen Western „Die Hölle von Manitoba“ weitere gemeinsame Projekte mit Lex Barker?

Brice: Ja, ein sehr schönes sogar. Einen Monat vor seinem Tod ist er zu mir nach Cannes gekommen. Ich hatte damals das Angebot, einen Film über den Beginn des Indochina-Kriegs zu machen. Und so fragte ich ihn, ob er bereit wäre, eine zentrale Rolle als amerikanischer Journalist zu spielen. Er war sofort einverstanden. Leider starb kurz darauf der japanische Koproduzent. Und dann auch Lex... Damit war das Projekt auch tot.

MaHa: Im Indochinakrieg mussten sie als Soldat drei Menschen töten. Belastet Sie das noch immer?

Brice: Sehr sogar. Ich erinnere mich nachts oft an diesen furchtbaren Momente, wo ich mein Leben riskiert und in einem Fall sogar wirklich geglaubt habe: „In ein paar Minuten werde ich sterben.“ Das Schicksal wollte, dass ich die Möglichkeit habe, länger leben zu dürfen. Vielleicht hat es auch eine spezielle Bedeutung, dass ich als Winnetou später Pazifismus und Nächstenliebe propagieren konnte.

MaHa: Neben Ihnen und Lex Barker war auch Martin Boettchers Musik einer der Hauptstars der Winnetou-Filme.

Brice: Ich glaube, dass die Melodien von Boettcher einen gewaltigen Anteil am Erfolg der Winnetou-Filme hatten. Wenn ich noch heute diese Musik höre, bekomme ich Gänsehaut.

MaHa: Der Anfang 1998 ausgestrahlte ZDF-Film „Winnetous Rückkehr“ kam bei Presse und Publikum hingegen weitgehend schlecht an...

Brice: Ich war auch nicht zufrieden, weil der Regisseur nicht in der Lage war, solch einen Film zu inszenieren. Die wichtige Szene, warum Winnetou zurückkommt, wurde überhaupt nicht gedreht. Ich hatte das Drehbuch geschrieben, und die Produzentin Renate Ziegler wollte den Film unbedingt mit mir machen. Sie fand mein Skript sehr schön. Trotzdem nahm das ZDF einen anderen Autor, um mein Buch zu korrigieren. Das Resultat war, dass ich mein Skript nicht mehr erkannt habe. Er hat insgesamt vier Versionen geschrieben, dann ist er bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Das ZDF engagierte einen zweiten Autor, mit dem ich auch nicht sehr zufrieden war, aber nachdem ich fünf Mal „nein“ gesagt hatte, sagte ich schließlich doch noch „ja“. Ich war einfach müde, „nein“ zu sagen - ein großer Fehler von mir.

MaHa: Die Adaptionen sind meist besser als der pure Karl May, bei dem es doch häufig von religiösen Übereifer und rassistischen Ressentiments wimmelt. In dem Band „Auf fremden Pfaden“ schreibt May beispielsweise: „Wenn Du zehn Schurken in einem Raum hast, kannst Du sicher sein, dass sechs bis sieben davon Armenier sind. Das schlimmste daran ist, das sie Christen sind.“

Brice: Sie haben recht. In der Adaption spricht man weniger – und das ist gut, denn Karl May spricht viel. Er schreibt zu viele Details, die nicht sehr wichtig und interessant für den Leser sind. Old Shatterhand hat im Original etwas von einem Wichtigtuer und wird vom „Indianertöter“ auch „Mister Besserwisser“ genannt. Ständig will er Weiß und Rot, Freund und Feind zum Christentum bekehren – nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. So hat ihn natürlich mein Freund Lex Barker nie gespielt. Winnetou redet zum Glück allgemein wenig.

MaHa: Sie sind in den alten Winnetou-Filmen immer synchronisiert worden. Waren Sie damit zufrieden?

Brice: Christian Wolff hat seine Sache sehr gut gemacht. Die anderen Sprecher haben mir nicht so gefallen. Es war allerdings vollkommen richtig, dass ich damals synchronisiert wurde. Ich konnte noch kein Wort deutsch. So sprengte ich einmal nach einer Regieanweisung auf dem Pferd reitend im vollen Galopp in die Szenerie hinein. „Nein, nein, Pierre, was machst Du?“, schrie mich Regisseur Reinl auf französisch an. Ich entgegnete perplex: „Du hast doch `Winnetou!´ gesagt.“ „Unsinn, Pierre, ich habe `Bitte Ton!´ gerufen.“ Das war für mich einerlei. Wir haben einen Teil in Englisch gedreht; es herrschte oftmals ein babylonisches Sprachengewirr am Set. Die jugoslawischen Schauspieler sprachen ihre Rollen in ihren Heimatsprachen, die Deutschen deutsch. Rik Battaglia redete italienisch und ich französisch oder englisch.

MaHa: Würden Sie einen Qualitätsunterschied dingbar machen zwischen den Karl-May-Produktionen von Horst Wendtland und denen von Arthur Brauner? Was war Ihnen näher?

Brice: Es war ein Unterschied. Brauner holte für „Old Shatterhand“ dem amerikanischen Regisseur Hugo Fregonese. Man merkte sofort den Unterschied. Der Stil ist schneller. Als Amerikaner hatte er nicht die Romantik von Karl May. Trotzdem fand ich „Old Shatterhand“ einen guten Film.

MaHa: Was ist denn Ihr liebster Film, in dem Sie mitgespielt haben?

Brice: „Winnetou II“ ist sehr schön. Die Szene in der Tropfsteinhöhle ist meine allerliebste, wenn Karin Dor mir aus weiter Entfernung zuruft „Was sagt Winnetous Herz“ und ich antworte „Ribanna“. „Winnetou III“ war auch sehr interessant und vor allem in technischer Hinsicht am besten gemacht.

MaHa: Nach der Szene in der Tropfsteinhöhle habe ich meine inzwischen fünfjährige Tochter Ribana genannt.

Brice: Das ist das schönste Kompliment, das Sie Karin Dor und mir machen konnten.

MaHa: Stimmt es, dass Ihre deutsche Frau Hella, Ihnen als junges Mädchen einen Winnetou-Fanbrief geschrieben hat?

Brice: Ja, sie schrieb mir mit ihren Schwestern im gebrochenen Englisch: „Dear Pierre, we have seen all your films. We were exhausted.” Sie schrieb “exhausted” statt “excited”. Ich habe ihr nie geantwortet. Als wir uns Jahre später zufällig kennen lernten, war sie nicht mehr an Winnetou, sondern Pierre Brice interessiert...

MaHa: Ihre erste Freundin war im zweiten Weltkrieg auch eine Deutsche?

Brice: Ja, obwohl sie im besetzten Frankreich „nur“ eine Übersetzerin war, trug sie einen Uniformrock. Unsere Liebe musste geheim bleiben. Ich hatte immer ein Faible für blonde deutsche Frauen, doch seit meiner Hochzeit gibt es nur noch Hella für mich.

MaHa: Deutschland ist Ihre zweite Heimat geworden.

Brice: Ich hab schon im Zweiten Weltkrieg zwischen Deutschen und Nazis unterschieden. Die Deutschen waren nicht für die Gräuel verantwortlich, sondern die Nazis. Das empfand auch de Gaulle so, der als erstes Staatsoberhaupt nach dem Krieg Deutschland besuchte und mit Adenauer das Fundament für ein geeintes Europa legte.

MaHa: Haben Sie auch selbst schauspielerische Vorbilder, wo Sie für viele Generationen ein Vorbild sind?

Brice: Mein Idol im Film war Jean Gabin. Als Schauspieler nach dem Krieg ist Belmondo für mich fantastisch im Film und Theater.

MaHa: Haben Sie weitere darstellerische Pläne?

Brice: Winnetou werde ich nie mehr spielen; das steht fest. Ich habe meinen Beruf mit Theater angefangen und mich intensiv mit Dostojewski, Tolstoi und Tschechow beschäftigt. In den letzten Jahren stand ich vermehrt auf deutschen Bühnen. Fürs nächste Jahr habe ich Boulevard-Pläne mit Auftrittsmöglichkeiten in Düsseldorf, Hamburg und München.

MaHa : Wie beurteilen Sie eigentlich die Indianerfilme der letzten Jahren, die nach Ihnen gefolgt sind?

Brice: „Der mit dem Wolf tanzt“ war wirklich toll. Das Drehbuch und Costner waren erstklassig. Man zeigte hier, wie die Indianer wirklich gelebt haben. Das wollte ich auch in „Winnetous Rückkehr“ veranschaulichen, aber leider ist es mir nicht ganz gelungen.

MaHa: Fühlen Sie sich denn inzwischen selbst manchmal auch wie ein halber Indianer?

Brice: Das ist ein bisschen übertrieben. Ich finde, dass wir, die wir im Okzident leben, viel von den Indianern lernen können, weil sie vielleicht die einzigen Menschen waren (und sind), die sich in großer Harmonie mit der Natur befanden bzw. befinden. Zur Zeit zerstören wir die Natur und die Natur revanchiert sich dafür.

MaHa: Gäbe es denn heute noch eine Möglichkeit für einen Winnetou-Film jenseits von „Der Schuh des Manitu“?

Brice: Ich will diesen Titel nicht hören. Das war absolut flach, einfach Schwachsinn. Ich glaube, wir sind noch nicht bereit für einen neuen Winnetou-Film. Die Romantik ist heute weg. Wir müssen noch ein paar Jahre warten, bis sie zurück kommt. Ich habe einfach genug von diesen amerikanischen Filmen, wo man Revolver und Maschinengewehre sieht. Wir brauchen wieder romantische Filme, die pur sind und tiefe Gefühle zeigen können.

Das Interview führte Marc Hairapetian.

Pierre Brice meets the SPIRIT (Foto: V. Huebner)