„Born to be Wilder“

Das letzte Interview mit Regisseur und Drehbuchautor Billy Wilder


Von Marc Hairapetian

Kurz vor seinem Tod sprach der bereits von schwerer Krankheit gezeichnete Hollywood-Legende Billy Wilder mit Marc Hairapetian über seine Karriere und die Zukunft der Traumfabrik. Von seiner Schlagfertigkeit hatte der 95jährige allerdings nichts verloren, der das Interview mit folgendem „Erlaß“ einleitete:

Billy Wilder: Ich beantworte Ihnen alle Fragen, außer den beiden folgenden: „Hatten Sie ein Verhältnis mit Marilyn Monroe?“ Und: „War Errol Flynn ein Nazi?“ Ach ja, auch bitte keine Fragen nach Madonna.
Marc Hairapetian: Herr Wilder, ich möchte Sie nicht über Marilyn Monroe befragen, aber mich würde interessieren, ob sie gerne mit Montgomery Clift zusammengearbeitet hätten? Er war doch zuerst in „Sunset Boulevard“ vorgesehen, aber seinen Part übernahm schließlich William Holden.
Wilder: Ich habe nie mit Montgomery Clift zusammengearbeitet; in der Tat war aber das Script von „Sunset Boulevard“ bereits geschrieben mit der vertraglichen Zusage von Clift, einem sehr gut aussehenden, wunderbaren New Yorker Schauspieler. Wir dachten ein New Yorker Schauspieler wird sich nicht scheuen, in einem Film zu spielen, indem er ein Verhätnis hat mit einer Frau, die zweimal so alt ist wie er. Doch es wurde dann eine heikle Geschichte: Zwei oder drei Tage bevor wir anfingen zu drehen, kam seine Agentin und sagte: „Herr Montgomery Clift kann mit diesem Film nicht seine Hollywood-Karriere anfangen, weil er dann als Gigolo festgelegt ist“. Wir mussten uns dann blitzschnell bei Paramount nach einem Ersatz umsehen. Der junge Darsteller William Holden kam gerade von der Armee, und ich dachte mir, vielleicht packt er es an der Seite von Gloria Swanson. Ich gab ihm an einem Freitag um 15 Uhr das Script zu lesen - und er war um 16.45 Uhr wieder bei mir zurück! Das Nichtzustandekommen der Zusammenarbeit ist meine einzige Geschichte über Montgomery Clift. Ich habe häufig gehört, dass es sehr schwer war, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er hatte - wie viele New Yorker - eine Antipathie gegen Hollywood. Dort fühlte er sich nicht wohl. Schade, denn er wäre ein großer Star geworden. Traurig auch, dass er so früh gestorben ist.
Hair: Ein Punkt, der in fast allen Billy-Wilder-Biographien fast gänzlich ausgeklammert worden ist, ist die Auswahl der Filmmusik. Wie wichtig ist Ihnen ist Ihnen der Soundtrack und welchen Score halten Sie für den gelungensten?
Wilder: Ich habe sehr häufig mit Franz Waxmann zusammengearbeitet. Am meisten bewunderte ich seine Musik für „Stalag 17“, eine Tragikomödie, die in einem deutschen Gefangenenlager während des II. Weltkriegs spielt. Der Score hielt perfekt die Balance zwischen Ernst und absurdem Humor. Bei „Sunset Boulevard“ ärgerte sich Waxmann über mich, weil ich Richard-Strauß-Schellack-Platten vom Grammophon spielte, um Gloria Swanson besser zu motivieren. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn ich seine eigene Musik aufgelegt hätte! Auch Miklos Rosza, mit dem ich eng befreundet war, schätze ich sehr. Vor allem seine Musik zu „The Private Life of Sherlock Holmes“ mag ich immer wieder gern hören. Seien wir doch ehrlich, was wäre ein gelungener Film ohne die Verwendung von pointierter oder charakteristischer Musik?
Hair: Welche Regisseure der jüngeren Generation gefallen Ihnen?
Wilder: Ich halte Steven Spielberg für einen hervorragenden Mann, weil er es immer wieder schafft, enormen Erfolg ohne Stars zu haben. In „Jaws“ war der Star ein Gummimonster, in „E. T.“ ein Zwerg, der 300 Dollar die Woche bekam, und in „A. I.: Artificial Intelligence“ gar ein Teddybär. Spielberg versucht immer etwas neues zu machen. Davor drücken sich aber die meisten Regisseure in Hollywood. Ich halte seine postume Kubrick-Hommage „A. I.“ für den unterschätztesten Film der letzten Jahre - er ist seiner Zeit weit voraus und stellt elementare Fragen wie „Was macht den Mensch zum Menschen?“ oder „Können Roboter Gefühle haben?“. Den leider zu früh verstorbenen Kubrick bewundere ich sehr. Er war ein wirklicher Künstler, dagegen bin ich nur ein Entertainer. Die erste Stunde von „Full Metal Jacket“ ist das Beste, was ich in den letzten 15 Jahren gesehen habe.
Hair: Sie haben häufig gesagt, dass Sie Hollywood und das Studiosystem nicht mögen. Mit Kritik sparten Sie nie und mussten auch solche immer wieder selbst einstecken. Von manchen Produzenten wurden sie gar gemieden. Dennoch schafften Sie es über viele Jahre mit dem System zu arbeiten, respektive, dass durchzusetzen, was Ihnen vorschwebte. Wie kam es dazu? Hatten Sie ein solches standing, dass Ihnen niemand ans Zeug flicken konnte?
Wilder: Gegenfrage: Was glauben Sie, ist das Studiosystem?
Hair: Ich meine die alte Vertragsbindung: Billy Wilder hat z. B. einen Vetrag mit der Paramount über vier Filme und bekommt diverse Drehbücher vorgelegt, aus denen er auswählen muss. James Stewart hat das sehr gemocht, andere hätten lieber eigene Stoffe vorgeschlagen. Viele Regisseure und Schauspieler sind aber ausgebrochen, da sie sich nicht fest binden wollten.
Wilder: Das ist eine sehr ernste Frage. Im Prinzip gibt es solche Verträge über drei, fünf oder sieben Jahre nicht mehr, weil die ja immer wieder platzen können. Es stimmt, dass am Anfang meiner Karriere die Leute sagten: „Wir möchten, dass du das drehst“, und ich habe es gemacht. Nach einiger Zeit wollte ich das nicht mehr und sagte: „Ich kann das nicht. Es ist nicht mein Milieu.“ Wenn man seriös war, kam es gleich zu einem Prozeß wie bei Olivia de Havilland, die mit Warner Brothers einen Vertrag über sieben Jahre hatte. Es kam ein Film, indem sie nicht spielen wollte, und dann haben Warner Brothers geklagt - und verloren, weil sie dachten Olivia de Havilland wäre ihre Sklavin! In der damaligen Zeit waren die Bosse von MGM, Warner oder auch Paramount kleine Bosnier aus Herzegowina, die sich gegenseitig bekämpften. Wenn es glimpflich lief, ging man sich aus dem Weg, doch traf man sich zufällig im selben Restaurant flogen die Fetzen.
Hair: Und flogen in Ihrer Karriere auch schon die Fetzen?
Wilder: Aber sicher. Nur eine Ankedote am Rande: Eines Tages traf ich zufällig die Tochter von Louis B. Mayer von MGM, dem damals mächtigsten Studioboss. Ich wollte ihr erzählen, dass ich ich einen Film über die russische Besatzung in Deutschland plante, doch sie ließ mich nicht ausreden: „Sie sind doch der Gangster von Warner Brothers! Mein Vater hat mir verboten, mit Ihnen je zu sprechen.“
Hair: Wie beurteilen Sie die Zukunft Hollywoods? Hat sich das System wirklich so stark verändert?
Wilder: Heute sieht man alles nicht mehr so verbissen. Ich war bei United Artist und bei Paramount unter Vertrag. Bei Paramount waren in den 50er Jahren allein 108 Schriftsteller unter Vertrag, die jeden Donnerstag elf Seiten abtippen mussten... Früher hatte ein Studio einen Clarke Gable oder einen Spencer Tracy fest unter Vertrag. Heute dreht ein Sylvester Stallone auch einmal drei Filme hintereinander für eine Verleihfirma, aber dies ist nicht sein Haus, in das er jeden Wochentag früh morgens zum Arbeiten geht. Die Agenten kaufen inzwischen für die sogenannten Top-Schauspieler das Script, die sich dann sogar den Regisseur aussuchen können, wie das z.B. bei Dustin Hoffman oder Tom Cruise häufig der Fall ist. Ein Teufelskreis! Es stört mich auch, dass sich die Japaner jetzt so in Hollywood eingekauft haben. Der künstlerische Erfolg zählt doch nicht mehr, sondern nur der Umsatz an der Kasse. Vorher war es eine Versklaverei der Schauspieler, jetzt ist es in Misch-Masch, wo zehn Stars 20-30 Millionen Dollar pro Film locker verdienen können. Die Produktionskosten werden immer höher getrieben nach dem Motto: Der dritte Teil von „Home Alone“ („Kevin allein zu Haus“) kostet 190 Millionen Dollar, kalkulieren wir also bei der nächsten Fortsetzung mit 390 Millionen Dollar, weil das Kind mehr verlangt...
Hair: Ihr letzter Kinofilm „Buddy, Buddy“ liegt 20 Jahre zurück. Vor acht Jahren planten Sie eine Komödie mit Julia Roberts in der Hauptrolle. Warum kam das Projekt nichtzustande?
Wilder: Um es kurz zu machen: Seit ich das erste Mal Ende der 60er Jahre die Rockgruppe Steppenwolf hörte, nahm ich Ihren wohl berühmtesten Song pesönlich und hängte noch eine Silbe ran: „Born to be Wilder“. Doch nun ist Löwe von einst alt und zahnlos geworden. Ich habe einfach nicht mehr die Energie, einen kompletten Film zu leiten.
Hair: Obwohl Sie seit fast einen Dreivierteljahrhundert in den USA leben, hört man das Wienerische aus Ihrer Art zu sprechen stets heraus. Fühlen Sie sich noch als Österreicher?
Wilder: Ich fühle mich als austrophiler Amerikaner, auch wenn ich verständlicher Weise mit der derzeitigen Politik in Österreich nicht einverstanden bin. Kulturell ist mir Wien allerdings immer eine zweite Heimat gewesen, vor allem was Literatur, Theater und Musik betrifft. Noch immer kaufe ich bei Granola, einem kleinen Geschäft direkt an der Pestsäule meine Lieblingsplatten: Früher als Schellackscheiben, heute als CD. Letztes Jahr wurde ich ja zum Ehrenbürger von Wien ernannt - und ich bin froh, dass sie mir diesen Titel nicht erst nach meinem Ableben verleihen wollen. Das ist nämlich typisch Wienerisch: Erst nach seinem Tod wird man verehrt, geliebt und gefeiert. Zu Lebzeiten läßt das der Neid wohl nicht zu. Der Empfang, der mir zu Ehren gegeben wurde, war allerdings wirklich sehr herzlich. Ich hoffe, es lag nicht daran, dass ich im Rollstuhl in den Saal geschoben wurde.

Das Interview führte Marc Hairapetian