Größere Ansicht anzeigen
Red carpet pic of TAIKA & THE SPIRIT by CHRISTOPH VOY for SPIRIT - A SMILE IN THE STORM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com
)

"Hitler ist nicht cool"

Taika Waititi über "Jojo Rabbit" und die vier Hitler der Swinging Sixties

Von Marc Hairapetian

Drucken

Größere Ansicht anzeigenTAIKA & THE SPIRIT at Soho House Berlin, January 22, 2020, photo by Spirit Hairapetian for SPIRIT - A SMILE IN THE STORM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com)

Taika Waititi ist ein Tausendsassa: Der am 16. August 1975 im neuseeländischen Wellington geborene Filmregisseur, Drehbuchautor, Schauspieler, Maler und Comedian hat wie David Bowie eine zeitlang in Berlin gelebt - und so erklingt auch am Ende seines neuesten Geniestreichs "Jojo Rabbit" dessen Song "Helden". Anlässlich der Deutsch-land-Premiere traf sich Marc Hairapetian mit dem Film-Hitler und zweifachen Vater im Soho House zum Gespräch.

 Marc Hairapetian: "Jojo Rabbit" über einen zehnjährigen Jungen, dessen bester imaginärer Freund der von dir verkör-perte Adolf (Hitler) ist, den er erst nach und nach durchschaut, kann man mit Fug und Recht als Meisterwerk bezeichnen: Erst ist dein Film sehr lustig, dann wird er grotesk, auf einmal rührt er ei-nen und am Ende weint man. Dein Vater ist Maori, Deine Mutter hat russisch-jüdische Wurzeln. War letzteres auch eine Motivation für dich, den Film zu drehen?

 Taika Waititi: Es war keine direkte Motivation für mich, hat mir aber persönliche Kraft gegeben, dieses Projekt bis zur Realisierung durchzuziehen. Ich komme aus zwei verschiedenen Kulturen, die sich - natürlich unfreiwillig - den Ruf erworben haben, Überlebenskünstler zu sein.

Größere Ansicht anzeigen"Jojo Rabbit": Taika Waititi and Roman Griffin Davies in action (photo: Disney)

 Marc Hairapetian: Während der für den Golden Globe als "Bester Hauptdarsteller - Komödie/Musical" nominierte Ro-man Griffin Davis die Titelfigur als naiv-unschuldigen Htlerjungen Johannes "Jojo" Betzler spielt, erinnert Thomasin McKenzie als jüdisches Mädchen Elsa Korr, die von Jojos Mutter Rosie alias Scarlett Johansson im Haus versteckt wird, an Anne Frank. War das beabsichtigt?

 Taika Waititi: Ich denke, sie ist Anne Frank, aber als kluger und sympathischer Haustyrann. Sie sollte nämlich nicht zu viel Opfer sein und wenn, dann nur ein Opfer der Umstände, das viel Stärke und Verlan-gen hat, zu überleben. Sie manipuliert den kleinen Jungen, dem von den Nazis eingetrichtert wurde, dass Juden Monster sind, geschickt. Für sie repräsentiert er den "Feind", den sie für sich einneh-men muss, um zu überleben. Sie sollte bewusst kein perfekter Charakter sein und wie er ebenfalls Frustrationen haben. Dass sie später Freunde werden, sich sogar wie Bruder und Schwester lieben, hätten sie selbst am wenigsten für möglich gehalten.

 Marc Hairapetian: Wie hast du die Geschichte überhaupt entwickelt?

 Taika Waititi: Meine Mutter las zuerst das Buch "Caging Skies" von Christine Leunens - und danach gab sie es mir. Es ist sehr gut, aber ganz anders als "Jojo Rabbit". Es gab keine Witze darin. Ich dachte, dass ich ein so ernstes Thema, filmisch anders angehen müsste, satirischer, witziger, so wie einst Stan-ley Kubrick den seriösen Roman "Red Alert" von Peter George in die Weltuntergangskomödie "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" umwandelte.

 Marc Hairapetian: Hattest manchmal Alpträume, Hitler zu spielen?

 Taika Waititi: Nein, da ich ja kein bisschen wie Hitler aussehe. Ich bin zwar braun, aber nur von der Hautfarbe, Ich denke, Brad Pitt hätte sicherlich mehr Alpträume, wenn er Hitler spielen müsste. Aber es war peinlich, im Hitler-Kostüm als Regisseur vor der Kamera zu stehen. Das ist nicht cool. Er sieht aus wie ein Clown. Wenn ich nicht gleich selbst wieder eine Szene hatte, zog ich immer schnell die Ja-cke aus und nahm auch den Schnurrbart ab.

 Marc Hairapetian: Was waren deine filmischen Einflüsse?

 Taika Waititi: Vor allem Monty Python. Ich sage das nicht nur, weil am Tag unseres heutigen Interviews leider Terry Jones verstorben ist.

 Marc Hairapetian: Hitler haben unter anderem Bruno Ganz und Anthony Hopkins gespielt. Der für mich "beste", weil authentisch größenwahnsinnigste Hitler der Filmgeschichte ist allerdings Burgtheater-Mime Albin Skoda aus G. W. Pabsts aufwühlenden Endzeit-Drama "Der letzte Akt" von 1954, indem der von Oskar Werner verkörperte, idealistische Ritterkreuzträger Hauptmann Wüst vergeblich versucht, den Führer von der Überschwemmung der U-Bahn-Tunnel abzubringen. Seine Sterbeszene liess sich, Marlon Brando 24 Mal hintereinander vorführen.

 Taika Waititi: Wow! Diesen Film muss ich unbedingt noch sehen. Ansonsten habe ich mir die anderen Hitler-"Referenzen" angeschaut, musste sie aber wieder ausblenden, um meinen eigenen Weg zu gehen. Mein Ansatz war es, Adolf aus der Sicht eines Zehnjährigen zu zeigen, also als Teen-Hitler, der für das Kind eine Art Star ist. Er ist zwar latent gefährlich, aber auch extrem lächerlich.

 Marc Hairapetian: Jojo durchlebt im Lauf des Films eine Katharsis.

 Taika Waititi: Richtig, zuerst unterliegt er dem Gruppenzwang der Hitler-Jugend, ist aber dort schnell ein Außen-seiter, weil er zu weich ist - und im Wortsinn keinem Häschen etwas zuleide tun kann. Er wird dann von Elsa geschickt manipuliert. Zuerst denkt er nicht für sich selbst, lernt es dann aber. Wir wollten keinen historisch genauen, politisch korrekten Film, der dadurch zudem eine Stunde länger gewor-den wäre, über das Ende des Kriegs 1945 in Deutschland machen, sondern einen "zeitgenössi-schen" Film über die Nazi-Ära. Bei uns spricht niemand wie früher, auch die Musik von Klassik bis Pop ist aus anderen Zeiten. Dadurch dachten wir, könnten wir die heutige Jugend für die grausa-men Geschehnisse von damals interessieren.

 Marc Hairapetian: Dein Film hat sechs Oscar-Nominierungen erhalten (Taika Waititi konnte eine der begehrten Trophäen für das "Beste adaptierte Drehbuch" schließlich ergattern - die Redaktion). Macht dich das stolz?

 Taika Waititi: Ich würde lügen, wenn ich jetzt "nein" sage. Die Nominierungen für die harte Arbeit sind fantastisch, aber das sollte nie der hauptsächliche Grund sein, Filme zu drehen. Kürzlich sagte Comedy-Genie Mel Brooks, der 1968 selbst die Showbiz-Satire "Frühling für Hitler" gedreht hatte, öffentlich, dass "Jojo Rabbit" ein verdammt wichtiger Film wäre, den sich alle ansehen sollten. Dieses Lob ist für mich besser als alle Oscar-Nominierungen.

 Marc Hairapetian: Wie bist du die auf die grandiose, kontrapunktische Idee gekommen, Jojo in der Eröffnungsse-quenz mit zum Hitlergruß ausgestrecktem Arm durch die Straßen seiner fiktiven deutschen Klein-stadt, die sich in Wirklichkeit in der Tschechischen Republik befindet, ziehen zu lassen, während The Beatles au Deutsch "Komm, gib mir deine Hand" singen?

 Taika Waititi: The Beatles waren doch die vier Hitler der Swinging Sixties! (lacht) Im Ernst: Sie waren die Pop-Idole ihrer Zeit, die die Massen in Ekstase versetzten. Und Hitler verursachte unter den Leuten ebenfalls Aufregung und Hysterie. Da lag es nahe von Jojo auf alte Doku-Aufnahmen mit durch die Straßen ziehenden Nazi-Anhängern umzuschneiden, während The Beatles dazu schmettern.

 Marc Hairapetian: Stimmt es, dass du den nächsten Teil der Horror-Reihe "Saw" produzieren wirst?

 Taika Waititi: Bingo, der Kandidat hat die volle Punktzahl erreicht!

 Marc Hairapetian: Aber bei "Star Wars" wirst du nicht Regie führen, nachdem Du schon 2017 "Thor: Tag der Ent-scheidung" entstaubt hast?

 Taika Waititi: Ich bin über das Interesse geschmeichelt, aber solange die Drehbücher weiterhin so schlecht sind, lasse ich es lieber sein.

 Marc Hairapetian: "Boy", "Wo die wilden Menschen jagen" und nun "Jojo Rabbit": Sind Kinder das zentrale Thema dei-ner Filme?

 Taika Waititi: Kann man so sehen: Kinder als Zeugen ihrer Zeit, die lernen zu kämpfen und Verantwortung zu übernehmen, um zu überleben. Barack Obama hat einmal gesagt: "Kein Kind ist böse geboren" - stimmt, mit Ausnahme von Damien aus "Das Omen".

Das Interview mit Taika Waititi führte Marc Hairapetian am 22. Januar 2020 im Berliner Soho House für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

Interview