Größere Ansicht anzeigenRüdiger Bahr und THE SPIRIT

"Wehe, wenn Ulbrich kommt!"

Interview mit Rüdiger Bahr zum "Aktion- und Musik-Schauspiel Winnetou" und dem ZDF-Adventsvierteiler "Lockruf des Goldes"

Von Marc Hairapetian

Drucken

Rüdiger Bahr, geboren am 19. Januar 1939 in Frankfurt an der Oder, ist der Typus Schauspieler, den es in der heutigen Film- und Fernsehlandschaft kaum noch gibt: gutaussehend, von männlicher, bärenstarker Natur, aber dennoch sensibel. So war er förmlich dafür prädestiniert, in der kongenialen vierteiligen Jack-London-Adaption "Lockruf des Goldes" (1975) - der seinerzeit teuersten europäischen TV-Produktion - den von Freund wie Feind "Burning Daylight" genannten Abenteurer Elam Harnish zu verkörpern. Auch mit Karl May hat er berufliche Berührungspunkte. 1982 gab er an der Seite von Pierre Brice den Old Shatterhand im "Aktion- und Musik-Schauspiel Winnetou", das als groß angelegte Tournee geplant war, über die zweite Aufführungsstadt allerdings nicht hinaus kam. Das trotz seiner inzwischen 79 Jahre immer noch jugendlich wirkende Multitalent, das als Schauspieler ("Der Kommissar", "Okay S.I.R."), Regisseur ("My Fair Lady"), Drehbuchautor ("Der schwarze Bumerang"), Hörspiel- ("Der Mäusesheriff") sowie Synchronsprecher (Al Bundy in der Sitcom "Eine schrecklich nette Familie") und sogar Intendant (Burgfestspiele Jagsthausen) tätig war, lebt mit seiner Frau Renate seit langem die eine Hälfte des Jahres in München und die andere auf der karibischen Insel South Andros (Bahamas). Beim Karl-May-Filmfest in Berlin gab er im Juli vergangenen Jahres gut gelaunt, aber auch äußerst reflektiert ein Interview.

Größere Ansicht anzeigenRüdiger Bahr im "Aktion- und Musik-Schauspiel Winnetou"

 Marc Hairapetian: Herr Bahr, das so genannte "Aktion- und Musik-Schauspiel Winnetou", bei dem Sie 1982 als Old Shatterhand an der Seite von Pierre Brice agierten, war als zweijährige Tournee durch ganz Deutschland geplant, doch schon bei der zweiten Station in Wuppertal war Schluss. Was war passiert?

 Rüdiger Bahr: Es war noch viel schlimmer, als Sie es sich überhaupt vorstellen können. Wir fingen immerhin recht vielversprechend in der Dortmunder Westfalenhalle an und hatten jeden Tag mindestens eine Vorstellung und vier Mal in der Woche sogar zwei Auftritte pro Tag. In unseren Verträgen stand, dass es das erste Geld am 31. des Monats geben würde, an dem wir anfingen. Wir wussten bereits nach zehn Tagen, dass wir nie Geld sehen würden. Nichts, null, weder für die Proben noch für die Aufführung. Pierre Brice und mich brachte es nicht an den Rand der Verzweiflung, aber die anderen Kollegen. Viele aus dem Team hatten bereits ihre Wohnungen vermietet und sich Wohnwagen gekauft, weil sie sich dachten: "Ich bin zwei Jahre auf Achse!" Und dann waren sie nach einem Monat wieder zu Hause - ohne einen Pfennig Geld.

 Marc Hairapetian: Der Produzent soll damals bankrottgegangen sein?

 Rüdiger Bahr: Ja, Gott sei Dank ist er bankrottgegangen! Er war Peter Stenzel, der Sohn meiner Agentin Ruth Killer, die im nächsten Jahr 98 wird. Pierre war neben Raimund Harmstorf, Karin Dor und Marika Rökk auch in dieser Agentur. Wir vertrauten ihr einfach, weil sie uns immer wieder sagte: "Das wird die größte Sensation!" Doch es musste schiefgehen, denn 40 Deutsche Mark pro Platz wurden allein für Kinder verlangt. Im Ruhrgebiet, wo wir angefangen hatten, konnte sich das niemand leisten.

 Marc Hairapetian: Es handelt sich hier nicht um ein "Westernmusical", wie Ralph Siegel fälschlicherweise in seiner Autobiografie schreibt. Nur die von Claudia Condor verkörperte Nscho-tschi singt - ganze drei Lieder. Sie und Pierre Brice, der ja bereits einige Schallplattenaufnahmen gemacht hatte, hingegen nicht. Warum wurde überhaupt gesungen?

 Rüdiger Bahr: Die wollten nichts anders als noch einen Gag draufsetzen. Nach dem Motto: "Das haben wir noch nicht gemacht!"

 Marc Hairapetian: Die instrumentalen "Winnetou"-Stücke Siegels, die als Playback bei Ihren Vorstellungen eingespielt wurden und die sich auch auf einer LP finden, sind hingegen kraftvoll und mitreißend. Wie stehen Sie inhaltlich zum "Aktion- und Musikschauspiel Winnetou"?

 Rüdiger Bahr: Bereits zu Anfang fand ich das Buch so unglaublich schlecht und mahnte die Produktion: Ihr hättet Euch doch unbedingt einen professionellen Schreiber nehmen sollen . Pierre und ich waren entsetzt. Die Dialoge konnte man so einfach nicht sprechen! Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem "Autor" Peter Bruno auch um den Sohn meiner Künstlervermittlerin handelte .

 Marc Hairapetian: Aber die Musik hat schon Siegel komponiert, nicht auch dieser gefakete Bruno?

Größere Ansicht anzeigenRüdiger Bahr in "Lockruf des Goldes"

 Rüdiger Bahr: Genau, das war der Siegel! (Gelächter.)

 Marc Hairapetian: Wenn Ihnen schon zu Anfang Schlimmes schwante, warum haben Sie den Vertrag überhaupt unterzeichnet?

 Rüdiger Bahr: Es hieß, mit Pierre Brice als Zugpferd kann es gar nicht schiefgehen. Das war auch die einzige Einschränkung im Vertrag: Sollte er aus irgendwelchen Gründen nicht mehr mitwirken, würde die Tournee abgebrochen. Schließlich wurde sie es, obwohl keiner von uns aussteigen wollte, auch er nicht.

 Marc Hairapetian: Haben Sie als Kind auch Karl May gelesen?

 Rüdiger Bahr: Logisch. Zwischen sechs und 16 prägte er mein Weltbild. Danach hörte es auf. Ab dann hat man sich für die Mädchen interessiert. Aber diese grüngoldenen Bände stehen immer noch bei mir.

 Marc Hairapetian: Die Film- und Hörspieladaptionen der 1960er-Jahre bis heute sind von religiösem Übereifer und rassistischen Vorurteilen Mays befreit. Können Sie mit denen auch etwas anfangen?

 Rüdiger Bahr: Die Bearbeitungen, die ich kenne, sind schöne Abenteuergeschichten, wobei ich zugeben muss, dass ich Karl May nicht so kritisch wie Sie gelesen habe. Aber natürlich ist er mit einigen Völkern sehr ungerecht umgegangen, während er andere, man denke an die Apachen, geradezu in den Himmel hebt.

 Marc Hairapetian: Ich habe gelesen, dass Sie schon 1969 im Gespräch für die Hauptrolle in den vierteiligen "Lederstrumpferzählungen" des ZDF waren. Wie kamen Sie als ganz junger Schauspieler in die engere Auswahl?

Größere Ansicht anzeigenRüdiger Bahr und Marc Hairapetian

 Rüdiger Bahr: Man hatte mich ins ZDF, wo man lange vor dem Computerzeitalter ein riesiges Archiv an Schauspielerfotos und -Lebensläufen hatte, bestellt, und da saß Walter Ulbrich, der legendäre Produzent und Drehbuchautor der Advents-Vierteiler, die damals echte Straßenfeger waren. Er sah mich kurz an und murmelte vor sich hin: "Ein bisschen jung, aber, hm. es wird, glaube ich, gehen". Das war Lederstrumpf! Doch irgendwie machten die koproduzierenden Franzosen nicht mit oder irgendwer, der sehr einflussreich war, wollte Hellmut Lange für den Part des Lederstrumpf. Ulbrich sagte dann zu mir: "Aber wir kommen zusammen. Ich finde etwas für dich!" Und da hat er sechs Jahre später Wort gehalten bei "Lockruf des Goldes".

 Marc Hairapetian: Hellmut Lange war für mich die Idealverkörperung von James Fenimore Coopers unsterblicher Figur. Den jungen Wildtöter hätten Sie sicher gut spielen können, aber den schon älteren Fallensteller aus den Romanen "Die Ansiedler" und "Die Prärie" hätte man Ihnen vielleicht nicht abgekauft.

 Rüdiger Bahr: Ich sah wirklich zu jung aus. Sie haben ja hier beim Karl-May-Fimfest die im Umlauf befindliche Autogrammkarte von mir gesehen. So sah ich mit über 40 noch aus. Das ist aber gar nicht so gut. Wenn sie einen 40-Jährigen gesucht haben und ich zum Vorsprechen gekommen bin, hieß es "Viel zu jung". Und wenn sie einen 20-Jährigen gesucht hatten und ich meinte, ich bin schon 35, sagte man; "Na, dann hat es keinen Sinn!" Andere freuen sich, wenn sie jünger aussehen. Für mich war es ein Fluch.

 Marc Hairapetian: Kommen wir auf den Höhepunkt Ihrer Karriere als Fernsehschauspieler zu sprechen: Im "Lockruf des Goldes" trugen Sie 1975 als Abenteurer Elam Harnish einen Bart, der Ihnen wirklich gutstand. Das weckte natürlich eine Assoziation zu Raimund Harmstorf als "Seewolf". War das eine Vorgabe von Ulbrich?

 Rüdiger Bahr: Ja. Für Ulbrich war ein Mann nur mit Bart ein Mann. Da gehörte er fast zum Islam! (lacht) Und ich tat damals etwas ganz Furchtbares: Nach dem letzten Drehtag, wo ich wusste, alle Muster sind durch, habe ich den Bart abgeschnitten. Na, was da los war! Dann kam die Presse und wollte ein Titelbild von mir machen! "Du hast ja keinen Bart mehr. Das geht alles gar nicht!" Da klebte mir die Fernsehzeitschrift Gong den Bart nach dem Bild, was sie von mir hatten. Ich wurde also mit künstlichem Bart fürs Cover fotografiert. Ich dachte mir: Ab jetzt bin ich wieder Privatperson. So etwas will ich nicht noch einmal machen.

 Marc Hairapetian: So meisterlich der Abenteuervierteiler nach Jack London von Wolfgang Staudte und Sergiu Nicolaescu, dem späteren Bad-Segeberg-Regisseur, auch inszeniert wurde, gab es damals doch einen großen Skandal, der von der Presse an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Ein Transportpferd soll für die Szene beim langen Marsch der schier nicht enden wollenden Menschenschlange zum Klondike getötet worden sein. Wie und warum ist das passiert?

Größere Ansicht anzeigenRüdiger Bahr und Marc Hairapetian

 Rüdiger Bahr: Es steht bei Jack London geschrieben, dass ein Pferd tot zusammenbricht und dass die Karawane über das tote Pferd hinweg weiterzieht. Das wollte Herr Ulbrich auch so haben. Das alles bekam ich erst hinterher mit. Wir drehten also den Klondike-Marsch, Arthur Brauss war auch mit dabei. Wir wurden da hochgefahren, wo man die Berggeschichten filmte. Auf einmal lautete die Anweisung: "Geht erst einmal ins Gasthaus, ihr seid noch lange nicht dran. Vielleicht am Nachmittag." Wir saßen da, langweilten uns, soffen einen, erzählten uns dumme Witze, und an dem Tag kamen wir gar nicht mehr dran. Am nächsten erfuhr ich, was zuvor wirklich passiert war. Und dann rief ich in München an, da war ich schon per du mit ihm, und sagte: "Walter, ich muss die Dreharbeiten abbrechen. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Die einzigen Tiere, an deren Tod ich schuld bin, sind die auf meiner Windschutzscheibe. Das geht nicht." Dann fielen drei Drehtage aus. Wir redeten und redeten und schließlich machte ich doch weiter mit der Bedingung, dass die Szene nicht gezeigt wurde.

 Marc Hairapetian: War Sergiu Nicolaescu, der schon bei "Der Seewolf" Staudtes Ko-Regisseur war und in der Schlussfolge den Piratenkapitän Raffy spielte, bei der Pferdeszene am Set oder war es Staudte?

 Rüdiger Bahr: Staudte war nicht am Set. Er war damals schon ein alter Herr. Er absolvierte die körperlich anstrengenden Märsche, die wir alle machen mussten, nicht mit. Da hat Nicolaescu Regie geführt.

 Marc Hairapetian: Vor allem die einige Minuten längere Urfassung von "Lockruf des Goldes" hat es in sich. Die Musik von Hans Posegga, die mit ihrem synthetischen, stapfenden Rhythmus die Goldsucher symbolisiert, während das von Georg Rötzer gespielteTrompetensolo mit Echoeffekt den "Lockruf" intoniert, zieht einen auf hypnotische Weise ins abenteuerliche Geschehen. Kann man bei aller formalen Qualität, die den Mehrteiler auszeichnete, sagen, dass man als Schauspieler bei dieser Produktion auch an seine körperlichen Grenzen ging?

 Rüdiger Bahr: Absolut! Ich war damals genauso verrückt wie der Nicolaescu. Der hat dem Kameramann die Kamera weggerissen und die gefährlichen Sachen selbst gedreht. Ich habe, blöd wie ich damals gewesen bin, die ganzen Stunts wie das Balancieren über die Schlucht auch ohne Double gemacht. Dabei war es gar nicht nötig. Wir hatten hervorragende Stuntmen. Die rumänischen Kaskadeure galten damals als die besten der Welt. Doch ich hatte diesen merkwürdigen Ehrgeiz. - Noch ein Satz zum Soundtrack von Hänschen Posegga: Der war natürlich fantastisch. Fast noch besser als beim "Seewolf". Mit minimalen Mitteln erreichte er maximale Wirkung!

 Marc Hairapetian: Man hat den Eindruck, dass bei einem männlichen Hauptdarsteller das Gesicht nicht mehr so wichtig ist. Was zählt, ist der Körper. Haben Sei damals eigentlich ein Vorabtraining absolviert?

 Rüdiger Bahr: Nein, ich war in der Firma Tele München. Ich hatte mein eigenes Büro, denn Ulbrich wollte, dass ich mich richtig vorbereite, aber nicht körperlich. Ich sollte etwas am Drehbuch mitschreiben, aber alles lief unter seinem Namen. Ich kannte jedes Wort des gesamten Drehbuchs, nicht nur meine Szenen. Das Körperliche hatte ich damals nicht nötig, weil ich in dieser Hinsicht gut ausgestattet war. Ich komme ja aus der Reiterei, bin mit Pferden aufgewachsen, deshalb verstand ich mich auch mit Pierre Brice so gut. Bei Pferden waren wir ein Herz und eine Seele.

Größere Ansicht anzeigenRüdiger Bahr und Marc Hairapetian

 Marc Hairapetian: Wie beim "Seewolf" besteht "Lockruf des Goldes" aus einem Konglomerat verschiedener Jack-London-Romane und -Kurzgeschichten. Hier sind die Erzählungen der Figur "Burning Daylight", Geburtsname Elam Harnish, mit denen von "Alaska-Kid", "Kid und Co." vermengt. Konnten Sie sich mit der Figur des Elam Harnish, die das Leben als Spiel betrachtet, identifizieren?

 Rüdiger Bahr: Ja, das konnte ich schon. Seinen Koffer mit seinem von korrupten Bankern mit der Pistole zurückgeforderten Millionenvermögen nach dem Verlust durch waghalsige Börsenmanöver, zu denen sie ihn verleitet haben, lässt er im dritten Teil "Der wilde Mann vom Yukon" irgendwo stehen, und alles ist weg - er ist trotzdem fröhlich. Der Weg war das Ziel!

 Marc Hairapetian: Besonders berührend ist die letzte Episode "Vierauge", bei der Elam und die von der im letzten Jahr verstorbenen Christine Kaufmann gespielte weiße Häuptlingstochter Labiskwee vor ihrem aufgebrachten Vater fliehen und sich auf eine an körperlichen wie seelischen Torturen reiche Irrfahrt begeben, die alles in den Schatten stellt, was Elam bisher ertragen hat.

 Rüdiger Bahr: Es war aber auch bei den Dreharbeiten eine Art "struggle of life". Sie müssen sich vorstellen: Wir waren in Rumänien zur Zeit von Nicolae Ceau?escu. Wir konnten uns nicht einfach waschen, wenn wir vorher im Dreck lagen, weil die Duschen im Hotel nicht funktionierten. Wir mussten zu irgendeiner Kaserne fahren, wo sich Soldaten befanden, und duschten uns dort. Oder Sie bestellten eine Flasche Wasser und da schwammen Fliegen drin - in der geschlossenen Flasche! Solche Dinge passierten ununterbrochen. Wir drehten ja nur selten im Studio Bukarest. Fast alles spielte draußen - in der Wildnis des geografischen Dreiecks Schwarzmeer-Karpaten-Eisernes-Tor. Durch diese Umstände konnte sich keiner ein Stargehabe leisten. Es ging darum: Kriege ich etwas zu essen? Wie weit müssen wir noch laufen? Außerdem war Christine ein Vollprofi. Das sind immer die, die am leichtesten zu handeln sind. Sie sind schwierig im Privatleben, aber in der Arbeit perfekt.

 Marc Hairapetian: Welche Szenen hat Wolfgang Staudte, dem Regieass Stanley Kubrick in einem Brief bescheinigte, dass seine deutsche Synchronfassung von "Uhrwerk Orange" besser wäre als das Original, gefilmt?

 Rüdiger Bahr: Die ganzen Hüttenszenen im verschneiten Winter, das hat natürlich Staudte gemacht. Alles, was intim war, stammte von ihm. Der Mann war genial! Ich hatte die gesamten Drehorte mit dem Nicolaescu vom Auto aus vorab angeguckt. Und als Staudte zum ersten Mal da war, sagte er nur: "Die Kamera steht hier. Wir kommen von da und ihr nehmt die und die Objektive." Es war perfekt! Er war ein leiser Regisseur mit einer starken Persönlichkeit.

 Marc Hairapetian: Und was für ein Mann war der "Vater der Adventsvierteiler", Walter Ulbrich?

 Rüdiger Bahr: Können Sie sich noch an den US-amerikanischen Schauspieler Burt Ives aus "Die Katze auf dem heißen Blechdach" erinnern? So sah er auch aus! Schön beieinander, weißer Bart, weiße Haare, mit Brille, die einem immer anblitzte. Er war übrigens ganz fotoscheu. Ich kam sehr gut mit ihm aus, aber er war der Schrecken all seiner Mitarbeiter von der Tele München, weil er sehr jähzornig sein konnte, wenn Vollmond war. Das ist kein Witz! Er litt dann wie ein Tier, wollte sich das aber selbst nicht zugeben. "Oh, Vollmond! Wehe, wenn Ulbrich kommt!", wurde zum geflügelten Wort in seiner Firma.

 Marc Hairapetian: Warum war er "nur" Produzent und Drehbuchautor, aber nie Regisseur?

 Rüdiger Bahr: Er war sehr selbstkritisch. Er sagte sich: "Da gibt es bessere! Aber es gibt keinen besseren als Produzenten und als Entdecker von Stoffen und die Zusammenstellung von verschiedenen Stoffen!" Er hat sich dann nach dem ebenfalls von Wolfgang Staudte inszenierten Jack-London-TV-Film "Das verschollene Inkagold", dem inoffiziellen fünften Teil von "Lockruf des Goldes", mit Vadim Glowna und Ruby Manila, 1979 aus dem Geschäft zurückgezogen und die Tele München an Dr. Herbert Kloiber und Fritz Buttenstedt verkauft.

 Marc Hairapetian: Warum?

 Rüdiger Bahr: Obwohl die Zusammenarbeit mit ihm beim ZDF ungemein erfolgreich verlief, sagten sie ihm: "Wir wollen wirklich mal etwas anders machen", nicht immer historische Stoffe. "Dann nicht mit mir, wenn ihr das nicht wollt!", bellte er sie an und beendete die Kooperation. Er war vermutlich auch enttäuscht darüber, dass das ZDF sein Wunschprojekt, eine vierteilige Adaption von "Die 40 Tage des Musa Dagh", Franz Werfels erschütterndem Epos über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915, als "unverfilmbar" ablehnte.

 Marc Hairapetian: Das war bisher gar nicht bekannt.

 Rüdiger Bahr: Er sagte mir: "Das ist mir sooo wichtig!" Wie Werfel wollte er den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts der Vergessenheit entreißen und bat mich zur Zeit von "Lockruf des Goldes", also Mitte der 1970er-Jahre, den Roman und andere Quellen zu dem Völkermord auf seine Verfilmbarkeit zu prüfen. Damit wir uns richtig verstehen: Ich sollte nicht für seine Majestät das Drehbuch schreiben, sondern nur unterstützend wirken. Schade, dass daraus nichts geworden ist.

 Marc Hairapetian: Warum sind Ihrer Ansicht nach so epische, qualitativ wertvolle, aber nichtsdestotrotz spannende Abenteuervierteiler im Fernsehen nicht mehr möglich?

 Rüdiger Bahr: Man hat damals von der Zuschauerseite anders reagiert und sich noch Zeit genommen. Die Leute haben sich noch auf einen Stoff einlassen können. Der normale junge Mensch sieht heute Netflix, und länger als drei Minuten kann er sich nicht mehr konzentrieren.

 Marc Hairapetian: Sie waren an vielen Theatern engagiert und sogar Intendant bei den Burgfestspielen in Jagsthausen, wo sie sich besonders für das Musical eingesetzt haben. Bis vor fünf Jahren gaben Sie noch den Professor Higgins im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz. Haben Sie eigentlich viele Schauspielerfreunde?

 Rüdiger Bahr: Nein. Meine Freunde sind meist aus anderen Branchen wie Ärzte oder Anwälte. Ich kenne Schauspieler nur, also, ich meine privat und nicht in der Arbeit, arrogant und hochnäsig. Sie reden stets von sich selbst. So will ich nie werden! Glauben Sie es oder nicht. Sie sitzen mit einem Schauspieler zusammen und sagen, meine Frau war beim Arzt im Krankenhaus wegen ihres gebrochenen Armes, und dann sagt der zu mir: "Ich habe auch einen Arzt gespielt." Sie kommen immer nur auf ihre eigenen Projekte zu sprechen. Und das langweilt mich.

Marc Hairapetian führte das Gespräch mit Rüdiger Bahr am 30. Juli 2017 im Berliner Hollywood Media Hotel für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com und Karl May & Co.

Die Fotos von Rüdiger Bahr und Marc Hairapetian machte Robert Wässer für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

Video-Playlist "Lockruf des Goldes":
Videos auf dem Youtube abspielen