Größere Ansicht anzeigenTHE SPIRIT aka Marc Hairapetian und Hans Zimmer (Berlin, 21. Dezember 2015, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

"Ich arbeite nicht, ich spiele!"

Interview mit Filmkomponist Hans Zimmer

Von Marc Hairapetian

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Er duzt einen freundlich und gibt einem das Gefühl, dass man sich schon jahrelang kennt. Beim Sprechen wechselt er ständig vom Deutschen ins Englische und wieder zurück. Kein Wunder ist Hans Zimmer doch am 12. September 1957 in Frankfurt am Main geboren. Den inoffiziellen Titel erfolgreichster Filmkomponist unserer Zeit macht er sich mit Ennio Morricone und John Williams streitig. Der Musiker kam nach seiner Punk- und New-Wave-Phase (so wirkte er 1979 am Modular-Synthesizer in dem Videoclip des Buggles-Hits "Video Killed the Radio Star" mit) über den Umweg England in die USA, wo er bald darauf Soundtrack-Geschichte schreiben sollte: Die Scores zu "Rain Main" (1988), Rendezvous mit einem Engel" (1997), "Besser geht´s nicht" (1998), "Der Prinz von Ägypten" (1999). "Der schmale Grat" (1999), "Gladiator" (2001), "Sherlock Holmes" (2010),"Inception" (2011) und "Interstellar" (2015) wurden allesamt oscarnominiert. Für "Der König der Löwen" erhielt er 1995 die begehrte Trophäe. Im Gespräch outet Hans Zimmer Regie-Genie Terrence Malick als Heavy-Metal-Fan, verrät einiges über neue Projekte und freut sich auf seine bevorstehende Europatournee.

Größere Ansicht anzeigen Hans Zimmer (Zoo Palast Berlin, 21. Dezember 2015, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

 Marc Hairapetian: Woher rührt Ihre große Leidenschaft für Perkussionsinstrumente? Sie setzten afrikanische Rhythmen ja sogar in der Superman-Verfilmung "Man of Steel" ein.

 Hans Zimmer: Ich komme vom Rock 'n' Roll und wollte herausfinden wie man das Schlagzeug im Film unterbringen kann. Aber Drums im Film funktionieren irgendwie nicht so richtig, also musste ich ein bisschen etwas Neues erfinden. Ich meine, dass meine "afrikanischen Rhythmen" eigentlich keine richtigen afrikanischen Rhythmen sind, sondern südamerikanische. Musik ist eine Weltsprache. Ich bin beileibe kein Musikhistoriker, ich "erfinde". Und am Ende des Tages ist es auch ein Job. Als ich den Score zu "Last Samurai" über die Aufstände im Kaiserreich Japan zwischen 1868 und 1877 machen sollte, wusste ich erst nicht wie. Nach Wochen sagte mir eine innere Stimme in meinem Kopf, vielleicht war es auch das Machtwort des Produzenten: "Deine Aufgabe ist es, Dir etwas auszudenken, etwas zu erfinden!" Also liess ich meiner Inspiration einfach freien Lauf. Japaner fragten mich später: Woher weisst Du soviel über japanische Musik?" Zur Zeit von "Im Glanz der Sonne" traf ich 1992 zufällig den südafrikanischen Musiker Lebo M. in einer Autowaschanlage in Los Angeles, wo er arbeitete. Ich holte immer meinen kompositorischen Rat zuerst bei ihm ein. Er brachte auch den afrikanischen Chor in meinem Soundtrack zu "Der König der Löwen" unter.

 Marc Hairapetian: Sie sprechen davon, Ihr Job sei es, etwas zu erfinden. Stimmt es, dass Sie als Kind beim Klavierspiel, das Instrument manipulierten, um einen neuen Klang hervorzubringen?

 Hans Zimmer: Das ist richtig. Manipulieren ist zu schwach ausgedrückt: Ich zerstörte ein hervorragendes Piano! Bauten Sie nicht manchmal auch ihr Spielzeug auseinander und zerlegten es in seine Einzelteile, als Sie ein Kind waren? Es ist doch die Neugierde, was in ihm steckt - und so verhielt es sich auch mit dem Piano. Mein erster Synthesizer war der monophone analoge EMS VCS 3 aus dem Jahr 1969, zwar tragbar, aber ohne Keyboard und enorm kompliziert, weil auch kein Instruktionsplan dabei war. Ich habe all mein damaliges Geld investiert, um es überhaupt benutzbar zu machen. Das war mir eine gute Lehre: Mach, das es funktioniert! Und so verhält es sich bei mir auch mit den Soundtracks, wenn der Film nur ein geringes Budget hat. Bei "12 Years a Slave", der auf einem Vier-Noten-Thema für Violine und Cello basiert, hatten wir nur vier Musiker und es funktionierte im Film sehr gut.

 Marc Hairapetian: Muss man sich beim Komponieren auch eine gewisse kindliche Neugierde bewahren?

 Hans Zimmer: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich habe den Verdacht, dass ich nie wirklich arbeite, sondern nur spiele - wie ein große Kind. Als du Ennio Morricone zum Gespräch trafst, hast du mir geschildert, dass er sehr akademisch-korrekt wirkt. Aber ich weiß, dass tief in seinem Inneren ein Mann steckt, der weiß, wie man zu spielen hat. Er ist ein musikalischer Revolutionär, vor allem, wenn man seine Western-Scores betrachtet beziehungsweise hört. Er ist der Meister darin, Instrumente zu zweckentfremden.

 Marc Hairapetian: Morricone ist Ihr großes Vorbild. Haben Sie ihn auch schon persönlich getroffen?

 Hans Zimmer: Ja, Ennio und ich waren einmal zusammen in Bonn. Wir gingen zusammen zum Beethoven-Haus und fühlten uns wohl beide nur noch einen Zentimeter groß, weil Beethoven doch der Meister der Meister ist. Ennio hat Demut vor der Kunst; er will ihr dienen. Und darum geht es eigentlich wirklich. Das war ein grandioser Tag für mich, mit dem Meister der Filmmusik den Meister der Klassik "zu besuchen". Ich werde diesen Tag nie vergessen.

 Marc Hairapetian: Bei Ihrer Europa-Tournee, die im April startet, erwarten Ihre Anhänger natürlich alle ihre "Hits". Gibt es Stücke, die als Soundtrack gut funktionierten, aber live sehr schwer zu spielen sind?

 Hans Zimmer: In der Tat. Da ist ein sehr populäres musikalisches Thema in "Gladiator", bei dem alle denken, dass ist das Hauptthema. Für meine Tournee habe ich es gecancelt und meine Musiker beknieten mich dann förmlich: "Lass es drin! Es erklingt sogar bei Hockeyspielen!" Also musste ich eine Lösung finden, es zu orchestrieren. Es gibt ein tolles deutsches Wort: "verschlimmbessern". Ich muss nur aufpassen, dass ich so eingängige Stücke live nicht verschlimmbessere. Das Thema von "Illuminati" ist eigentlich von der Struktur her ein Rock 'n' Roll-Track - und so klingt es auch auf der Bühne am besten. Genauso wie "Fluch der Karibik".

 Marc Hairapetian: Wie hat Sie der britische Veranstalter Harvey Goldsmith dazu überredet, zu touren?

 Hans Zimmer: Ich habe eine Menge Freunde, die bei dem "Original" Live Aid am 13. Juli 1985 anlässlich der damals akuten Hungersnot in Afrika spielten. Und Harvey war Bob Geldorfs "Performing Arts Promoter". Eigentlich ging bei der Organisation des Mammut-Konzerts im Vorfeld alles schief. Der Einzige, der alles zusammenhielt war Harvey Goldsmith. Das hat mir imponiert. Nachdem ich vor fünf Jahren "Kung Fu Panda 2" schrieb, hatten die Leute von Dreamworks die Idee, meine Musik in einem Londoner Park live aufzuführen. Harvey Goldsmith war der Veranstalter. Am Tag vor dem Konzert regnete es in Strömen. Harvey sagte seelenruhig: "Keine Sorge. Morgen wird das Wetter wunderschön!" Wir führten also tags darauf die Show auf. Es regnete nur noch leicht. Das Wetter verbesserte sich von Stück zu Stück. Tausende Leute waren glücklich. Harvey ist im positiven Sinne ein Zocker, der enorme Risiken in Kauf nimmt. Er hat sogar Led Zeppelin wieder zusammengebracht. Jimmy Page brach sich dann kurz vor dem Reunion-Konzert die Hand. Harvey musste vor die Leute treten und sagen: "Wir müssen das Konzert verschieben". Dafür braucht man Nerven aus Stahl. Er ist in Wirklichkeit der "Man of Steele". Das alles hat mich überzeugt, nach einzelnen Auftritten endlich eine Tournee zu machen.

 Marc Hairapetian: Im Gegensatz zu früheren Filmmusik-Konzerten werden bei Ihnen keine Bilder aus den Kinoepen im Hintergrund eingespielt. Warum?

 Hans Zimmer: Die Bilder haben doch die Besucher ohnehin im Kopf. Hier soll die Musik für sich sprechen. Wenn Ex-The-Smiths-Mitglied Johnny Marr auf der Bühne steht und die Gitarre bei "Inception" spielt, bedarf es auch keiner Filmbilder mehr. Für ihn habe ich den sehr elektronischen Score zu Christopher Nolans Science-Fction-Film in erster Linie geschrieben. Es gibt ohnehin auf der Bühne genug zu sehen: 20 Musiker und 70 Chorsänger- und Sängerinnen.

 Marc Hairapetian: Und Sie an den Keyboards!

 Hans Zimmer: Das lasse ich mir natürlich nicht nehmen, obwohl ich mich bewusst nicht in den Vordergrund drängen will.

 Marc Hairapetian: Einen Ihrer besten Scores schrieben Sie zu Terrence Malicks außergewöhnlichem Antikriegsfilm "Der schmale Grat". Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem genialen Regisseur, der wie einst Stanley Kubrick ein ausgeprägtes Musikverständnis hat?

 Hans Zimmer: Es kam dazu, weil wir uns einfach schon vorher gekannt haben. Terry hatte sich 20 Jahre nach "In der Glut des Südens" entschlossen, wieder einen Film zu machen. Er brauchte ein Büro und ist einfach bei uns ins Tonstudio eingezogen! Er mochte es, dass wir dort Dinge ausprobieren und umsetzen, und eben nicht nur grübeln. Was kaum einer weiß, weil er diese Musik selten in seinen Filmen einsetzt: Er ist ein großer Rock-'n'-Roll-Fan und liebt Heavy Metal! Wir sprachen ein Jahr über das Konzept der Musik, auch über die Stücke, die nicht von mir in "Der schmale Grat" waren wie die sanft dahinfließenden Klangströme des estnischen Komponisten Arvo Pärt. Er wollte auch Teile aus Richard Wagners "Das Rheingold" verwenden - und ich war größenwahnsinnig genug, um ihm zu sagen: "Das kann ich noch besser machen!" Es war sehr lustig für mich, später in seinem Film "The New World" die gleiche "Rheingold"-Aufnahme zu hören, die er mir Jahre zuvor immer wieder vorgespielt hatte. Wir hatten wirklich ernsthafte Auseinandersetzungen über Musik miteinander. Doch Terry gab sich versöhnlich und sagte: "So, wie wir miteinander sprechen, können das nur Brüder tun!"

 Marc Hairapetian: Würden Sie nicht wieder gerne mit ihm zusammen arbeiten?

 Hans Zimmer: Ich glaube nicht, dass es nochmals passiert. Er kümmert sich um alles, sucht seine Schauspieler selbst aus. Er sucht sie sogar nach ihren Stimmen aus. Für "Der schmale Grat" war ich eine gute Wahl. Für "In der Glut des Südens" war es Morricone. Ennio arbeitet gerade wieder mit ihm, doch ich denke, dass es seinen Vorteil hat, wenn man nicht immer wieder mit dem gleichen Team zusammenarbeitet. Auch wenn ich meine Stammmusiker habe, setze ich immer wieder gerne einen Neuen ein, um einen unerwarteten Effekt zu erzielen.

 Marc Hairapetian: Mit Christopher Nolan und Ridley Scott arbeiten Sie aber immer wieder zusammen.

 Hans Zimmer: Natürlich freut es mich, wenn sie mich immer wieder als Filmkomponist einsetzen. Der Entwurf für "Gladiator" war komplett anders als der fertige Film. Wenn man einen Roman liest, entwickelt jeder für sich seinen Film im Kopf. So ist es auch bei mir, wenn ich vorab ein Drehbuch lese, um die Filmmusik zu schreiben. Ridley ist fantastisch, weil er einem beim Gespräch immer die Szenen vormalt. Am Ende der Konversation hast du ein Comic-Buch vor dir! Und er dreht exakt das, was er vorher gezeichnet hat.

 Marc Hairapetian: Sie haben auch Musik für Kinderfilme wie "Lauras Stern" geschrieben. Ich habe damals nach den Eindrücken meiner kleinen Tochter eine Rezension geschrieben, weil ihr der Soundtrack so gefallen hat.

 Hans Zimmer: Das ist eines der schönsten Komplimente, das ich je bekommen habe! Ich schreibe für Kinderfilme die Musik, weil ich selbst Kinder habe. Wie alle Väter spreche ich gerne über sie. Schon als sie noch ganz klein waren wollten sie immer mit zur Premiere: "Daddy, wo gehst Du heute hin?" "Ich gehe zur Premiere von ,True Romance'." "Das klingt lustig, da will ich mit!" "NEIN, da kannst Du nicht mit"...

 Marc Hairapetian: Schreiben Sie die Musik mit dem gleichen heiligen Ernst wie Sie es für ein erwachsenes Publikum tun?

 Hans Zimmer: Natürlich. "Der König der Löwen" habe ich für meine Tochter, die damals fünf Jahre war, geschrieben. Und auch für meinen verstorbenen Vater. Man sollte die kindliche Wahrnehmung stets ernst nehmen - bei allem Spaß die Disney-Filme machen. Der im afrikanischen Tierreich spielende Zeichentrick-Film hat ja auch eine tiefe Botschaft - das Andenken des Vaters zu wahren. "Der König der Löwen" ist ein sehr ernsthafter Score, wenn man von den spaßigen Parts eines Elton John einmal absieht. Ich habe ja ein regelrechtes Requiem im Mittelteil geschrieben. Zur Premiere von Der König der Löwen" nahm ich natürlich meine Tochter mit, aber nicht zu Blutorgien wie "True Romance"!

 Marc Hairapetian: Könnten Sie sich vorstellen, auch für einen "Star Wars"-Film den Soundtrack zu komponieren, falls das John Williams einmal nicht mehr machen würde?

 Hans Zimmer: Nein, dazu bin ich zu sehr Fan! Ich will den neuesten John-Williams-Score hören, genauso verhält es sich mit Morricone. Obwohl ich mit klassischer Musik aufgewachsen bin, habe ich bis auf Bernard Herrmann und Ennio Morricone nicht viel mit Filmkomponisten der alten Generation am Hut. Die beiden aber liebe ich. Ennio, der ja noch lebt und gerade einen fantastischen Soundtrack zu Quentin Tarantinos "The Hateful 8" abgeliefert hat, macht mich immer wieder neugierig. Es bereitet mir Freude, Filmmusik zu schreiben, aber es ist auch anstrengend, selbst bei Blockbustern wie Zack Snyders "Batman v Superman: Dawn of Justice", den ich zusammen mit dem niederländischen DJ Tom Holkenborg fertiggestellt habe.

 Marc Hairapetian: Benutzen Sie beim Komponieren noch Notenpapier?

 Hans Zimmer: Nein, ich schreibe alles am Computer. Ich glaube, wir leben mittlerweile im 21 Jahrhundert. (lacht)

 Marc Hairapetian: Was sind neben der Tour Ihre nächsten Projekte?

 Hans Zimmer: Ich bin derzeit mit "Inferno", dem dritten Teil des "Da-Vinci-Codes" beschäftigt. Eigentlich wollte ich noch nicht darüber sprechen, aber es wird ein komplett analoger elektronischer Soundtrack - fast ein musikalisches Geschichtsbuch des Synthesizers.

 Marc Hairapetian: Sie sind - wie ich auch - in Frankfurt am Main geboren. Können Sie noch babbeln wie ein "hessischer Messerstecher" und sind Sie Fan vom Fußballclub Eintracht Frankfurt?

 Hans Zimmer: A bissi kann ich noch babbeln und die Eintracht verfolge ich aus der Ferne. Ich bin natürlich schon lange in den USA, aber wenn man mich auf meine hessischen Wurzeln anspricht, kommen natürlich Erinnerungen in mir auf und ich werde sehr emotional. Es ist jedenfalls immer für mich schön, nach Deutschland - wenn auch nur für kurz - zurückzukommen.

Marc Hairapetian führte das Interview mit Hans Zimmer am 21. Dezember 2015 im Zoo Palast Berlin für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de.

Hans Zimmers Europa-Tournee 2016 beginnt am 6. April in London und endet am 5. Juni im französischen Orange. In Deutschland hat er sechs Auftritte: in Mannheim (16. April, SAP Arena), Hamburg (18. April, Barclaycard Arena), Berlin (20. April, Mercedes-Benz Arena), Oberhausen (22. April, König Pilsener Arena), München (26. April, Olympiahalle) und Köln (28 April, Lanxess Arena).