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Marc Hairapetian und Quentin Tarantino am 8. Januar 2013 im Berliner Hotel De Rome (Foto: SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

"Sie müssen am Leben sein!"

Interview mit Filmregisseur Quentin Tarantino zu "Django Unchained"

von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigen Vom Legastheniker und Videothekar zum Kultautorenfilmregisseur und Millionär: Der am 27. März 1963 in Knoxville (Tennessee) geborene Quentin Jerome Tarantino ist ein Enthusiast geblieben, der es liebt, über Filme zu diskutieren. Es müssen ja nicht immer die eigenen sein! Im Exklusivinterview mit Marc Hairapetian spricht der Oscar- und Golden-Globe-Gewinner über beides - die Filme von anderen und sein eigenes neuestes Werk: In "Django Unchained" (seit 17. Januar in deutschen Kinos) wird ein Sklave (Jamie Foxx), der im tiefen Süden der Vereinigten Staaten von seiner Frau Broomhilda (Kerry Washington) getrennt wurde, vom deutschen Kopfgeldjäger Doktor King Schultz (Christoph Waltz) befreit. Django erhält ein schier unglaubliches Angebot: Wenn er mithilft, die Verbrecherbande Brittle Brothers zu töten, wird er von Schultz im Gegenzug dabei unterstützt, wieder mit Broomhilda vereint zu werden, die auf der Plantage des öligen Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) ein Dasein in Angst und Schrecken fristet. Ein Gespräch über Sklaverei, Spaghetti-Western, Lampenfieber und die Freundschaft mit Christoph Waltz.

Marc Hairapetian: In manchen Szenen erinnert mich "Django Unchained" an Ihren Vorgänger "Inglourious Basterds". Wollten Sie etwa sagen, dass das, was die weißen Amerikaner den versklavten Afrikanern antaten, genauso schlimm war, wie die Verbrechen der Nazis an den Juden?

Quentin Tarantino: Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: "Ja!" Die USA sind verantwortlich für zwei Holocausts im eigenen Land: Zum einen für die "Umsiedlung" mit gleichzeitiger Eliminierung von unzähligen Indianerstämmen, die ja die Ureinwohner Amerikas waren, zum anderen für die Versklavung der Afro-Amerikaner, also Afrikanern und Leuten von den Westindischen Inseln, die ins "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" verschleppt, ausgebeutet, erniedrigt, gefoltert, verstümmelt und auch ermordet wurden.

Marc Hairapetian: Der Film ist brutal bis an die Schmerzgrenze, und dennoch unterhaltsam. Ist das dem Thema angemessen?

Tarantino: Zuerst einmal wollte ich mit "Django Unchained" eine aufregende Abenteuergeschichte erzählen, der Subtext ist allerdings das Drama der Sklaverei. Sie währte in den USA 245 Jahre lang: 1619 kam es zur Ankunft der ersten Afrikaner in Virginia. 1669 wurde in South Carolina die Sklaverei durch den Grand Council gesetzlich verankert. Erst nach der Ermordung Abraham Lincolns kam etwas zugunsten der Schwarzen in den USA in Bewegung: Durch den am 18. Dezember 1865 ratifizierten 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten wurde die Sklaverei auf dem gesamten Gebiet der USA endgültig abgeschafft. Ich wollte in "Django Unchained" zeigen mit welcher Brutalität weiße Amerikaner gegen schwarze Sklaven vorgingen. Doch um offen zu sprechen, konnte ich nur einen Bruchteil der damaligen Grausamkeiten andeuten, ansonsten wäre der Film weder zu sehen noch zu ertragen gewesen. Ihr Vergleich trifft zu: Manche Szenen der Rachegeschichte von "Django Unchained" wirken wie eine Weiterentwicklung von "Inglourious Basterds" - nur die Zeit ist eine andere, die Kostüme, Orte und Protagonisten haben gewechselt.

Marc Hairapetian: Und Christoph Waltz, der in "Inglourious Basterds" noch den Antagonisten und Juden-Jäger Hans Landa gab, übernimmt jetzt den Part des den Sklaven Django bei der Suche nach seiner Frau behilflichen Kopfgeldjägers Doktor King Schultz, der im Namen des Gesetzes nur Bösewichte tötet...

Tarantino: Christoph ist ein wahrer Glücksfall. Bevor er mir im Casting für "Inglourious Basterds" zwei Szenen vorspielte, kannte ich ihn gar nicht. Eine Bildungslücke! Inzwischen verbindet uns eine Freundschaft wie einst Francois Truffaut und Oskar Werner, die zusammen "Jules und Jim" und "Fahrenheit 451" machten. Er ist wie Oskar Werner bei Francois Truffaut der Ältere und Kultiviertere, auf dessen Rat ich höre. Wir teilen viel - nicht nur die Liebe zum Film, sondern auch die Begeisterung für klassische Musik. Allerdings wird unsere Zusammenarbeit nicht nach dem zweiten Film wie bei Truffaut und Werner, die sich über die Inszenierung der Bücherverbrennungsszenen in "Fahrenheit 451" in die Haare gerieten, beendet sein. Ich plane auch beim nächsten Film wieder mit Christoph, dessen Vorbild Oskar Werner ist und über dessen Unbestechlichkeit und Wahrheitssuche er mir viel erzählt hat.

Marc Hairapetian: Francois Truffaut und Oskar Werner hatten sich in den 1970er Jahren wieder versöhnt und wollte noch einen dritten Film machen, wie mir Werners Lebensabschnittsgefährtin, die Schauspielerin Antje Weisgerber, erzählte. Wird Ihr nächster Film das Remake von Russ Meyers Frauenfilm-Klassiker "Faster, Pussycat! Kill! Kill! - Die Satansweiber von Tittfield" sein?

Tarantino: Gut zu wissen, dass sich Truffaut und Werner wieder vertragen haben! Das Projekt "Faster, Pussycat! Kill! Kill!" will ich unbedingt durchziehen, weiß aber noch nicht, wer heute die Heldinnen von einst - die Japanerin Tura Satana, die Armenierin Haji und die Amerikanerin Lori Williams - verkörpern könnte. Deswegen ziehe ich "Kill Bill: Vol. 3" vor - und da hoffe ich, ist neben Christoph wieder Uma Thurman mit von der Partie.

Marc Hairapetian: Sie arbeiten allgemein gerne mit einem festen Stab zusammen - engagieren auch Schauspieler mehr als einmal. Nach welchen Kriterien gehen Sie dabei vor?

Tarantino: Es gibt nur zwei Dinge, die für mich in der Zusammenarbeit mit Schauspielern und Stabmitgliedern wichtig sind - und es spielt dabei keine Rolle, ob sie bereits in einem großen Film mitgewirkt haben oder aus Amerika stammen, denn gerade in Japan und China "Kill Bill" oder in Deutschland und Frankreich "Inglourious Basterds" zu drehen, hat meinen Horizont erweitert. Die beiden Kriterien für die Auswahl von Schauspielern und Crewmitgliedern lauten: Ich muss sie mögen - und sie müssen am Leben sein!

Marc Hairapetian: Wie Hitchcock treten Sie in fast all ihren Filmen selbst auf.

Tarantino: Und diesmal hatte ich mehr Lampenfieber als sonst. Wissen Sie, vor sechs Jahren machte ich einen Abenteuerurlaub in Botswana. Bei einer Pferdesafari wollte ich mir beweisen, was ich für ein toller Kerl bin, nur da musste ich keinen Filmzeilen von mir geben. Bei den Dreharbeiten im letzten Jahr zu "Django Unchained" entfiel mir auf dem Rücken des Pferdes sämtlicher Text. Echt peinlich, wo ich doch vorher Gelegenheit hatte, Christoph Waltz oder Jamie Foxx beim Reiten und Sprechen ausgiebig zu studieren.

Marc Hairapetian: Was lieben Sie so am Genre des Spaghetti-Westerns, dass es sich wie ein roter Faden durch fasst all Ihre Filme zieht?

Tarantino: Stimmt, auch bei "Pulp Fiction", "Kill Bill: Vol. 2" oder "Inglourious Basterds" habe ich Elemente des Italo-Westerns bei der Inszenierung übernommen. Ich liebe die Mischung aus Härte und Humor, die großen "Opern"-Szenen, die anderseits aber auch Comics entlehnt sein könnten. Und natürlich die Musik! Ennio Morricone und Luis Enriquez Bacalov, der die Musik zum Original-"Django" komponierte, sind einfach Genies! Ich wollte nicht seinen berühmten Titelsong benutzen, das wäre zu einfach gewesen, aber Teile seiner Musik sind auch in "Django Unchained" zu finden.

Marc Hairapetian: Warum drehen Sie im Gegensatz zu dem mit Ihnen befreundeten Regisseur Roberto Rodriguez, für den Sie bei "Sin City" sogar eine Gastregie übernahmen, nach wie vor auf analogem Filmmaterial?

Tarantino: Ganz einfach, weil es besser aussieht! Breitwand-Filme wie Richards Brooks "Lord Jim" oder Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum", die in 70mm Super Panavision gedreht wurden, stellen bis heute alles an Schärfe und Leuchtkraft in den Schatten! Ehe ich digital drehe, höre ich lieber mit der Regie auf - und schreibe Romane!

Marc Hairapetian: "Django Unchained" beinhaltet nicht nur den Kampf gegen die Sklaverei, sondern auch eine romantische Liebesgeschichte zwischen Jamie Foxx und Kerry Washington, die 1966 im Original-"Django" von Regisseur Sergio Corbucci nur angedeutet wurde.

Tarantino: Ich liebe Corbuccis "Django". Der damals erst 24 jährige Franco Nero wirkte als einsamer Racheengel schon sehr reif in der Titelrolle. Unvergesslich wie er ein Drittel des Films einen Sarg hinter sich herzieht, indem ein Maschinengewehr versteckt ist. Er hat Charisma und bereichert meinen Film durch einen Cameo-Auftritt, indem er als Bargast auf Jamie Foxx trifft. Allein aus seiner sonoren Stimme spricht Filmgeschichte. Dennoch wollte ich meinem Django mehr Komplexität und Herz verleihen. Kopfgeldjäger Doktor King Schultz rettet ihn vor der Versklavung. Er macht ihm zum freien Mann und "Mitarbeiter", gibt ihm dazu seinen Selbstrespekt zurück. Als ihn Django von seiner versklavten Frau Broomhilda berichtet erzählt ihm Schultz die Legende von Siegfried und Brunnhilde. Bei mir könnte Django also auch Siegfried heißen, der seine Frau aus der Hölle - hier die Plantage des von Leonardo DiCaprio verkörperten Calvin Candie - befreien will. Und Doktor King Schultz ist eine Art John Brown, der 1859 als weißer Anführer der Anti-Sklaverei-Guerilla in Charles Town hingerichtet wurde. Leider erfährt man heute in den amerikanischen Schulen mehr über den Goldrausch am Klondike als über ihn.

Marc Hairapetian: Eingangs unseres Gesprächs erwähnten Sie den Völkermord an den Ureinwohnern Amerikas. Ihre Mutter ist selbst halbindianischer Abstammung. Würde es Sie nicht reizen, einen Film, über den von Ihnen benannten ersten Holocaust in den USA zu machen?

Tarantino: Da bringen Sie mich auf eine Idee! Es stimmt, in meinen Adern fließt auch Cherokee-Blut. Ich mag Ralph Nelsons "Das Wiegenlied vom Totschlag, ein Film, der Witz hat, aber auch die Bestialität des Massakers von Sand Creek zeigt, bei dem 1864 von US-Soldaten ein Indianer-Dorf mit Frauen und Kindern niedergemetzelt wurde. Nelsons 1970 gedrehter Film war gleichwohl eine Abrechnung mit dem Massaker von My Lai: Hier metzelten US-Soldaten 1968 in Südvietnam 503 Zivilisten nieder und töteten sogar alle Tiere des Dorfes. Ich finde es gut, wenn Filme historische Bezüge und Querverweise erstellen, denn Mord bleibt Mord.

Marc Hairapetian: In "Django Unchained" ist die Reaktion auf Gewalt Gegengewalt. Ist das Ihre Botschaft?

Tarantino: Vergessen Sie bitte nicht, es ist nur ein Film! Und hier lautet die Devise: Trefft die Mörderschweine dort, wo es ihnen am meisten wehtut - am besten in die Eier!

Das Interview führte Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de am 8. Januar 2013.