Marc Hairapetian:
Sie haben so viele verschiedene Klänge im Science-Fiction- und Fantasy-Filmbereich geschaffen. Welchen Stellenwert hat „Wall.E – Der Letzte räumt die Erde auf“ für Sie?
Ben Burtt:
„Wall.E“ hat enorme Bedeutung für mich, weil es die erste wirkliche Science-Fiction-Komödie mit ernsthaftem Hintergrund ist, in der zudem der Klang eine noch zentralere Rolle hat, als in all meinen vorherigen Arbeiten. Ein charmant-philosophischer Film über den letzten Roboter auf Erden, der in seinem Robinson-Crusoe-Dasein ein eigenes Bewusstsein und die Sehnsucht nach Zweisamkeit entwickelt. Als der Erkundungsdroide Eve in Erscheinung tritt, wird Wall. E aus seinem Trott herausgerissen. Die Szene, wenn sich das ungleiche Pärchen gegenseitig beim Namen nennt, ist gerade deshalb so emotional, weil ihre „Stimmen“ nur entfernt menschlich klingen, in etwa so, als wenn ein Hund versuchen würde, den Namen seines Herrchens zu nennen. Das war eine echte Herausforderung für mich.
Marc Hairapetian:
Sie haben mehrfach geäußert, dass Sie „2001: Odyssee im Weltraum“ sehr für den Sound von „Wall.E“ inspiriert hat. Haben Sie Stanley Kubrick jemals getroffen?
Ben Burtt:
Nein, aber als ich Ende der 1960er Physik-Student war, kam Arthur C. Clarke, der zusammen mit Stanley Kubrick die Story von „2001: Odyssee im Weltraum“ entwickelt hatte, zu uns ans College, um einen wissenschaftlichen Vortrag zu halten: Ich sprach ihn danach an, er lud mich zum Essen ein und dann erzählte mir alles über „2001“, der bis heute mein absoluter Lieblingsfilm ist. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die bis zu Clarkes Tod in diesem Jahr andauerte. Kubrick, dass berichtete mir „Wall.E“-Produzent Jim Morris, wollte übrigens mit Pixar zusammenarbeiten, als er Anfang der 1990er Jahre „A. I. – Künstliche Intelligenz“ entwickelte. Wie „Wall.E“ ist das eine Geschichte darüber, ob Computer Gefühle haben können. Doch die Qualität der Animationstechnik schien ihm noch nicht so weit zu sein – und so vollendete Steven Spielberg ausgerechnet im Jahr 2001 dieses ambitionierte Projekt postum für ihn. Für Kubrick hätte ich gerne gearbeitet. Er war ja nicht nur ein Meister der Bilder, sondern auch der Töne. Die monotone, aber dennoch warm klingende Stimme seines Bordcomputers HAL in „2001“ hat mich stark beeinflusst. Wie in „2001“ gibt es in „Wall.E“ in der ersten halben Stunde keine Dialoge, sondern nur Geräusche. Und ausgerechnet dieser fehlende Dialog gab mir die künstlerische Kraft.
Marc Hairapetian:
Wie hätte Kubrick „Wall.E“ gefallen?
Ben Burtt:
Vom heutigen Stand der Animation wäre er bestimmt angetan gewesen. Außerdem hatte er ja eine besonders ausgeprägten Sinn für Humor – und ich glaube, er hätte häufig geschmunzelt über Wall.E, Eve und natürlich die letzte Kakerlake auf Erden, die bezeichnender Weise Hal heißt...
Marc Hairapetian:
Sie haben quasi den Beruf des Sounddesigners erfunden. Wie kamen Sie dazu?
Ben Burtt:
Ich hatte zunächst nicht die Absicht, im Filmbusiness zu arbeiten. Eigentlich wollte ich Wissenschaftler werden. Doch ich war schön früh ein Cineast, der sich besonders für die Stop-Motion-Technik von Monstermacher Ray Harryhausen begeisterte. Eigentlich habe ich es meinem Vater zu verdanken, dass ich später beim Film landete. Als ich einmal aufgrund einer Krankheit vier Wochen ans Bett gefesselt war, schenkte er mir eine große Tonbandmaschine. Mit dieser nahm ich erst meine Stimme und dann diverse Fernsehshows auf. Ich begann mit den Klängen zu spielen, indem ich sie langsamer oder schneller abspielte. In den Semesterferien drehte ich mit meinen College-Freunden aus Spaß Trickfilme. Besonders Mühe gab ich mir immer mit den Geräuschen. 1970 gewann ich einen Preis bei einem nationalen Studentenfilmfestival für meinen Kriegsfilm „Yankee Squadron“. Für die Spezialeffekte von „Genesis“ erhielt ich schließlich ein Stipendium an der Universität von Südkalifornien. Ich schloss mit einem Master im Fach Filmproduktion ab und spezialisierte mich auf den Ton. Dann kam 1976 das Angebot für den ersten „Krieg der Sterne“-Film. Der Rest ist Geschichte.
Marc Hairapetian:
Mittlerweile haben Sie vier Oscars gewonnen, zwei für „Sound Effects Editing“ und zwei Spezialpreise für den „besten Tonschnitt“ Macht diese Unterteilung für Sie überhaupt Sinn?
Ben Burtt:
Es ist berechtigt, dies zu hinterfragen. Natürlich wäre mir am liebsten nur eine Kategorie für das beste Sounddesign, doch die immer noch etwas konservative Akademie scheut diese Bezeichnung. Für sie scheinen Tontechniker und Geräuschemacher harte Arbeiter, aber keine Künstler zu sein. Ich selber nenne mich immer Sound Effect Specialist. Wissen Sie, manche Tontechniker nehmen nur ein paar Geräusche auf und überlassen alles weitere den Cuttern. Andere wie ich stimmen sich sogar mit den Komponisten wie in diesem Fall mit Thomas Newman ab und überwachen auch den Schnitt.
Marc Hairapetian:
Könnten Sie sich auch vorstellen, als Sounddesigner für einen Film, der im 18. Jahrhundert spielt, zu arbeiten?
Ben Burtt:
Das ist eine gute Frage, die mir sonst noch niemand gestellt hat. Ja, ich würde es lieben, dass zu tun. Mit meiner Karriere im SF- und Fantasy-Bereich hatte ich leider nicht viele Möglichkeiten, mich da auszuprobieren, dabei mag ich historische Dokumentationen. Wie klingt die Vergangenheit? Seit Jahren beschäftige ich mich mit dieser Idee. Ich arbeitete zwar für Kriegsfilme und für „München“ von Steven Spielberg, der in gewisser Hinsicht auch ein historischer Film ist, doch in das Zeitalter der Renaissance bin ich leider noch nicht zurückgereist. Natürlich will ich nicht ausschließlich der Science-Fiction-Tongestalter vom Dienst sein. Schreiben Sie das ruhig – und vielleicht beteilige ich Sie dann später an den Einnahmen...
Marc Hairapetian:
Wie stellt man sich konkret die Arbeit eines Sounddesigners vor?
Ben Burtt:
Meine Arbeit beginnt bereits beim Betrachten des Storyboards. Im Fall von „Wall.E“ setzte ich mich mit Regisseur und Drehbuchautor Andrew Stanton zusammen, der mir mit viel Herzblut die unterschiedlichen Charaktere beschrieb. Alle High-Tech-Roboter sollten zwar absolut funktional wirken, aber auch individuellen Charme besitzen. Wall.E selbst sollte eine Art Buster Keaton des Animationsfilms sein. Er kann zwar nicht lachen, hat aber (unfreiwilligen) Witz. Und nachdem ich mich mit dem Artwork beschäftigt habe, blicke ich in mich selbst hinein und überlege mir: Wie bewegt sich solch ein Roboter? Wie klingt das? Ich muss mir aber nicht nur auch Gedanken machen über den Sound der Protagonisten, sondern auch über Umweltgeräusche wie Wind oder das Öffnen einer Tür. Dann gehe ich zu meiner Sound Library und beginne zu suchen und zu verwerfen, bis ich etwas finde. Früher hat man für Roboter auf rein elektronische Geräusche zurückgegriffen, ich setze mehr auf die Bearbeitung und Verfremdung von natürlichen Geräuschen wie menschliches Lachen oder dem Tropfen eines Wasserhahns; das gibt dem Klang von technischen Figuren eine individuellere Note. Für „Wall.E“ habe ich insgesamt ein Jahr am Sounddesign gearbeitet.
Marc Hairapetian:
Geht es Ihnen auf die Nerven oder freuen Sie sich, wenn viele Ihrer Sounds Ihnen heute auf jedem x-beliebigen Handy als Klingelton entgegen tönen?
Ben Burtt (lacht):
Na klar, manchmal geht es mir auf die Nerven, obwohl ich selbst Handy-Klingeltöne für das Apple iPhone geschaffen habe. Wenn heute irgendwo ein Handy summt oder brummt, sage ich mit einem Seufzen des Bedauerns: „Ich weß, woher der Sound kommt...“
Marc Hairapetian:
Haben Sie einen Lieblingssound, den Sie kreierten?
Ben Burtt:
Ich habe über zehntausend Sounds geschaffen, die alle in meiner digitalen Library gespeichert sind. Allein für „Wall.E“ habe ich 2700 neue Sounddateien angelegt. Mein persönlicher Favorit ist aber das Lichtschwert aus „Krieg der Sterne“. Dank des Geräusches eines alten Filmprojektors, das ich mit einem gebrochenen (!) Mikrophonkabel aufnahm, kam er zustande. Es macht mich stolz, dass man diesen Klang überall auf der Welt in unzähligen Imitationen hört. Ebenso die Pistolenschüsse von Indiana Jones oder die Pfeiftöne des „Krieg der Sterne“-Droiden R2-D2. Bei letzterem kombinierte ich meine eigenen Stimme mit den Klängen eines analogen ARP 2600 Synthesizers. Für das Röcheln von Darth Vader ging ich in ein Tauchergeschäft und probierte einige Atemmasken aus. Das Mikrophon steckte ich übrigens in den Luftschlauch... Wissen Sie, Explosionen und schreiende Monster versetzen mich in Verzückung! Der kleine Junge in mir ist immer (noch) da. Ich bin 60, aber ich bin nie erwachsen geworden.
Marc Hairapetian:
Und ich bin 40 und erfreue mich auch noch daran.
Ben Burtt:
Da haben wir also einiges gemeinsam und das inspiriert mich, einen Peter-Pan-Flug-Sound zu designen, für ewig große Jungs wie uns. Er muss kurz und knackig sein, denn Jugend will alles sofort!
Marc Hairapetian:
Gibt es denn einen Sound, nach dem Sie noch suchen?
Ben Burtt:
Für ein Musical bin ich auf der Suche nach den Original-Klang eines um 1910 entwickelten Dugain Byplane, das später zum Seabird umfunktioniert wurde. Das Motorengeräusch dieses zweisitzigen Doppeldecker-Flugzeugs habe ich einfach noch nicht hingekriegt, dafür aber den Sound wie seine Flügel die Luft durchschneiden und das Wasser peitschen.
Marc Hairapetian:
Eine für einen Sounddesigner hoffentlich nicht beleidigende Frage: Was ist notwendiger: Zu hören oder zu sehen?
Ben Burtt(überlegt kurz):
Etwas zu sehen. Sehen ist die Basis. Doch das Hören unterfüttert das Gesehene emotional. Wenn der Zuschauer bzw. Zuhörer meine Klänge für glaubwürdig erachtet – das heißt nicht zwingender Weise, dass sie realistisch anmuten müssen – ist das meine größte Befriedigung.
Marc Hairapetian:
Sie sind weltbekannt als Sounddesigner, doch wie wichtig ist Ihnen Stille?
Ben Burtt:
Die Stille nutzen wir leider viel zu wenig im heutigen Kino. Vor allem in der so genannten „Traumfabrik“. In amerikanischen Action- oder Comicbuch-Filmen findet sie so gut wie überhaupt nicht mehr statt. Man wird mit Geräuschen und Musik zugedröhnt. In den 1960er Jahren war das anders: Denken Sie an die Bergmann-Filme, Antonionis „Blow Up“ oder eben Kubricks „2001“. Da hatte Stille sogar eine dramaturgische Funktion. „Wall.E“ bietet dosiertes Sound-Spektakel – und hat auch einige Momente der Ruhe. Weniger ist oft mehr. Wirklich still ist es ja nie, selbst das Blut rauscht in unseren Ohren. Mich interessiert aber der „Klang“ der absoluten Stille, doch den werde ich wohl nie kreieren können. Privat genieße ich es, am See zu sitzen und auf die Wasserfläche zu starren – und dann ist mein Handy garantiert aus.
Das Gespräch führte Marc Hairapetian am 17. September 2008 im Berliner Hotel The Ritz-Carlton. Foto Wall.E/Spirit/Eve: Sabrina Safari