Die Biene Maja verneigt sich vor ihrem Komponisten

Zum von Karel Svoboda (19. Dezember 1938 – 28. Januar 2007)

 

Von Marc Hairapetian

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Als Ende Januar dieses Jahres der tragische Selbstmord des tschechischen Komponisten Karel Svoboda der Öffentlichkeit bekannt wurde, setzte nicht nur in seiner Heimat eine alle Altersklassen übergreifende Trauer ein. Auch hierzulande war die Betroffenheit stark, schließlich freuten sich (kleine wie große) Kinder von den 1970er Jahren bis heute, wenn im Fernsehen beim Vorspann seine lebensbejahenden Melodien zu Trickfilmserien wie, „Wickie und die starken Männer“ (1974), „Die Biene Maja“ (1975) oder „Pinocchio“ (1976) einsetzten. Doch so wie sich hinter jedem großen Zirkusclown ein meist tiefsinniger (Privat-)Mensch verbirgt, steckte auch in dem am 19. Dezember 1938 in Prag geborenen Meister der leichten, beschwingten Töne eine zarte, von Schwermut befallene Seele, die durch zahlreiche, kaum zu verarbeitende Schicksalsschläge ihren (Über-)Lebensmut schließlich verlor. Andere Künstler vor ihm wählten den Weg in den Freitod – man denke an die Schriftsteller Jack London und Stefan Zweig oder die Schauspieler Klaus Kammer und Dean Reed. Es ist nur zu leicht, über diese Tat den Kopf zu schütteln und darauf zu verweisen, dass der Selbstmörder eine Familie hinterlassen würde, die nun mit dem Schmerz allein fertig werden müsste. Keiner, nicht einmal die engsten Freunde Svobodas, kennen die wirklichen Hintergründe für diesen Schritt ohne Wiederkehr. Aus Lebensüberdruss wird sich Svoboda gewiss nicht selbiges genommen haben; schwerste innere Kämpfe und Depressionen müssen hinter seinem Entschluss, dieser Welt den Rücken endgültig zu kehren, stecken. Von Schulden war in den Boulevardmedien die Rede, einer unheilbaren Krankheit oder Differenzen mit seiner Frau. Fest steht, dass mit Karel Svoboda die europäische Film- und Fernsehlandschaft einen ihrer kreativsten und liebenswürdigsten Komponisten verloren hat.

Nach einem Zahnmedizinstudium wendete sich der Musik begeisterte Svoboda lieber dem Rock’n’Roll zu und gründete die in der ehemaligen Tschechoslowakei äußerst populäre Band Mephisto. Er schrieb aber auch zahlreiche Schlager für Karel Gott, Václav Neckár, Helena Vondrácková oder Marta Kubisová. In den 1970er Jahren begann auch seine Arbeit für Kino und TV; insgesamt komponierte der Workoholic für sage und schreibe 900 Filme und Fernsehserien. Zu seinem wohl schönsten Soundtrack avancierte der Score zu Václav Vorlíceks Meisterwerk „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ („Tri orìsky pro Popelku“, 1974). der zum weltweit „besten Märchenfilm aller Zeiten“ gewählt wurde. Betörende, leichtfüßige Orchestermusik, die wie ein Ritt durch den Neuschnee klingt. Das liebliche Titelthema, dass die Gefühlswelt eines jungen, abenteuerlustigen Mädchens in Klänge hüllt, wurde nur in der tschechischen Filmfassung mit der Stimme Karel Gotts geschmückt – das Lied „Kdepak, ty ptácku, hnízdo más?“, wurde aus Anlass des 100. Geburtstags des tschechischen Kinos zur zweiterfolgreichsten Filmmelodie des Landes gekürt. WDR-Redakteur Gert Müntefehring setzte seinerzeit lieber auf die Instrumentalfassung, die seit drei Jahren auch auf einer deutschen Soundtrack-CD erhältlich ist und bei Klassikradio zum Hit der Weihnachtszeit wurde. Ich erinnere mich, was meine inzwischen siebenjährige Tochter Laetitia-Ribana Orsina Siranoush beim gemeinsamen Betrachten des Films schon vor ein paar Jahren hingerissen sagte, als Svobodas Musik einsetzte: „Gleich beginnt das Schöne!“ Und dann nahm sie mich an den Händen und tanzte mit mir durch die Wohnung.

Ob der Kinderbuch-Klassiker „Der fliegende Ferdinand“ (1982), das DDR-Westernmusical „Sing, Cowboy, Sing!“ (1981, mit dem oben genannten Dean Reed, der 1986 Suizid beging) oder die immens erfolgreichen Musicals „Nacht auf Karlstein“ („Noc na Karlstejne“), „Dracula“ (1995), „Monte Christo“ (2000) und „Golem“ (2006) – Svoboda lieferte durchweg hohe künstlerische Qualität ab, die zudem Ohrwurmcharakter besaß. Nach fünf Goldenen Schallplatten von der deutschen Firma Polydor, erhielt er von deren tschechischem Pendant gar eine Diamantene Schallplatte für zehn Millionen verkaufte Einheiten. Ende der 1980er Jahre unterbrach Svoboda nach der Fertigstellung der Musik für die TV-Serie „Dobrodruzstvi kriminalistiky“ („Täter unbekannt“) abrupt für mehrere Jahre seine Komponistenkarriere – unter anderem wegen einer möglichen Kandidatur für das Prager Parlament. Wiederholt hatte er mit schweren Schicksalsschlägen zu kämpfen: 1992 starb seine erste Ehefrau Hana Bohatová, die er 1969 geheiratet hatte, an Krebs, und im Jahr 2000 seine damals vierjährige Tochter Klara aus zweiter Ehe an Leukämie. Svoboda selbst überlebte 2002 einen Verkehrsunfall. Auch der Konkurs seiner Firma Monte Musical setzte ihm Mitte 2006 schwer zu, auch wenn Zdenek Zelenka, der Dramaturg des Musicals „Golem“, der Presse sagte: „Karel Svoboda war ein Mensch, den finanziellen Probleme nicht niederstreckten.“ Man weiß nicht, ob es ein Burn-out-Syndrom, die Angst vor Alter und Krankheit oder eine Ehekrise waren, die den in letzten Monaten erschreckend an Gewicht verlierenden Komponisten dazu bewogen, sich am 28. Januar in seinem Garten in Jevany mit einer Pistolenkugel das Leben zu nehmen. Am 6. Februar fand die Trauerfeier im Krematorium von Prag statt. Svoboda hinterlässt seine Frau und einen eineinhalbjährigen Sohn sowie zwei Kinder aus erster Ehe.

Doch Maja, die „kleine, freche, schlaue Biene“ lebt weiter und verneigt sich vor ihrem Stammkomponisten, der die Veröffentlichung des kompletten Soundtracks leider nicht mehr erleben konnte. Der rhythmisch vorwärts treibende Titelsong, den Karel Gott mit Innbrunst schmettert, hat viele Fans: Sein populärster ist wohl Sean „007“ Connery. Der einzig wahre James Bond tanzte einst jedenfalls begeistert zu Svobodas Klängen durch die spanische Wohnung des Schlagersängers Christian Anders’, als dieser ihm Svobodas geniales Kleinod vorspielte. Auf der nun bei Smd Hih (Sony/BMG) erschienenen CD „Die Biene Maja“ findet sich auch das spätere Titelthema von James Last, eines weiteres Königs des Easy Listening, das aber weit hinter Svobodas augenzwinkernder Pfiffigkeit zurückbleibt. Die Aufnahmen der Originaltonbänder wurden aufwändig restauriert. Jedes Lied und jede Spannungs- oder Illustrationsmusik sind als einzelner Titel auf der CD anwählbar. Auch Karel Svoboda hätte an dieser liebevollen Compilation sicher seine Freude gehabt.

 

Marc Hairapetian