Der Theatergott, der ein Filmstar wurde
Zum 80. Geburtstag des unvergessenen Wiener Schauspielers Oskar Werner
Von Marc Hairapetian
Der Theatergott, der ein Filmstar wurde
Zum 80. Geburtstag des unvergessenen Wiener Schauspielers Oskar Werner
Von Marc Hairapetian
Oskar Werner als "Mozart" mit Filmparnerin Johanna Matz (1955)
„Man kann schwelgen in Oskar Werners Kunst, in seiner selbstzerstörerischen
Begabung, aber ich fürchte, man muß verstummen vor seiner Schönheit
und seiner Stimme. Sein berühmtes Lächeln ist das eine, seine unendlich
traurigen Augen das andere, was man festhalten möchte im Gedächtnis.
Sie schimmerten so, als wären sie ständig zum Weinen bereit, nur
klug genug, es nicht immer zu tun. Man hätte ihn so gern umarmt und
gesagt: Komm halt dich fest, es wird schon wieder gut, und er hätte
es sicher nicht gewollt.“
Susanne Schneider über Oskar Werner
Er ging immer vollkommen in seiner Kunst auf, denn seine Lebenskerze brannte
gleichzeitig an beiden Enden. Zu Hause zwischen Tag und Traum konnte sein
Antlitz in frühen Jahren blitzschnell vom Antlitz eines Märchenprinzen
zum schlimmsten Gassenjungen wechseln. Bis zu seinem tragischen Ende steckte
in ihm beides: die reine Hölderlin-Seele und der Dämon der Besessenheit. Über
den österreichischen Schauspieler Oskar Werner (13. 11. 1922 - 23. 10.
1984), desssen Credo „Zwei Luxusartikel habe ich mir stets geleistet:
Zeit und Charakter“ lautete, kann man auf verschiedenste Art und Weise
schreiben: Ohne Emotionen ist es sicherlich nicht möglich. Es bedarf
schon großer Worte, um den Künstler und Menschen zu porträtieren:
Ihm waren der „Adel des Geistes“ und die „Qualität
des Gefühls“ wichtig. Sein Charisma ließ ihn, der aus einfachsten
Verhältnissen stammte, in den 50er und 60er Jahren zu einer ungewöhnlichen
Weltkarriere starten, die ihn von den Brettern des Wiener Burgtheaters zu
Drehplätzen in Hollywood, Großbritannien und Frankreich führte.
Nicht nur für Marlon Brando und Spencer Tracy war er der größte
Schauspieler überhaupt. Nach seinem Tod verehren ihn noch heute seine
Anhänger und Freunde mit einer Selbstverständlichkeit, die sonst
nur Popstars zuteil wird. Er selbst hörte lieber Wiener Walzer und Mozart.
Stets faszinierte er das Publikum mit der ihm zu eigenen charakterlichen Mischung
aus Sensibilität, Charme und Entschlossenheit sowie dem unvergleichlichen
Klang seiner Stimme, die seine Rilke-, Heine- und Wiechert-Lesungen zu literarischen
Offenbarungen machte. Er trug Gedichte nicht einfach vor, er gestaltete und
verwirklichte sie. Es ging ihm immer um die Wahrhaftigkeit des Wortes. Seinen
Wiener Akzent konnte er dabei nicht ganz verbergen, aber das machte gerade
den Reiz aus. Während er im Theater meist in klassischen Rollen der Weltliteratur
brillierte, verkörperte er im Film das, was später zum Idol einer
neuen Schauspielergeneration werden sollte: Er stellte keine harten beherrschenden
Helden, sondern empfindsame Männer dar.
Kometenhaft war Oskar Werners Aufstieg: Mit 18 debütierte das jüngste
Burgtheatermitglied aller Zeiten als Guiliano Mocenigo in einem Stück
mit dem bezeichnenden Titel „Heroische Leidenschaften“. Mit 25
Jahren folgte das drei Generationen und zwei Weltkriege umspannende Kinoepos „Der
Engel mit der Posaune“, bei dem Österreichs Schauspielerelite von
Paula Wessely und Attila Hörbiger bis zu Maria Schell und Curd Jürgens
sich ein Stell-dich-ein gab. Der internationaler Durchbruch gelang dem überzeugten
Pazifisten 1951 an der Seite von Hildegard Knef, O. E. Hasse und Richard Basehart
als idealistischer deutscher Kriegsgefangener Karl „Happy“ Maurer
in Anatol Litvaks neorealistischem Spionage-Drama „Entscheidung vor Morgengrauen“.
Nachdem das Otto-Preminger-Projekt „Der Mann, der Hitler hinterging“ nicht
zustande kam, zerriß Werner vor den Augen der Studiobosse seinen Siebenjahresvertrag
mit der 20th Century Fox, um fortan wieder Theater zu spielen. Als Hamlet feierte
er 1953 in den Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main und 1956 im
Wiener Theater an der Josefstadt legendäre Triumphe. „Er spielt
den Hamlet nicht, er ist Hamlet“ schrieb damals ein Kritiker. Von seinen
Theaterauftritten gibt es leider nur wenige vollständige Dokumentationen,
da das Fernsehen damals noch in den Kinderschuhen steckte. Die Salzburger „Hamlet“-Inszenierung
aus dem Jahr 1970, bei der er die Titelrolle spielte und Regie führte,
sollte auf Film festgehalten werden, doch es kam zu Streitereien mit dem ORF,
der durch seine Unflexibilität Schuld daran war, dass Anfang der 80er
Jahre Werners ehrgeizige „Faust“- und „Caesar“-Projekte
nicht realisiert werden konnten. Drei Jahrzehnte zuvor war eine moderne „Don
Karlos“-Adaption aus ähnlichen Gründen gescheitert.
Zum Glück kann man Oskar Werner heute noch in seinen Filmen bewundern:
Unvergessen ist er als Hitler-feindlicher Ritterkreuzträger Wüst
in G. W. Pabsts „Der letzte Akt“ (Österreich 1955). Seine
Todessequenz im Führerbunker ließ sich Marlon Brando 25 Mal hintereinander
vorführen! Weitere Sternstunden sollte Werner dem internationalen Kino
schenken: Sein schüchterner Student in Max Ophüls „Lola Montez“ veranlaßte
Truffaut ihm die Rolle des introvertierten Schriftstellers in der heiter-melancholischen
Dreiecksgeschichte „Jules und Jim“ (Frankreich 1961) zu offerieren.
Es folgten die mit dem Golden Globe prämierte Darstellung des fanatischen
jüdischen Kommunisten Fiedler in Martin Ritts „Der Spion, der aus
der Kälte kam“ (GB 1965) und der erst Bücher verbrennende,
dann bewahrende Feuerwehrmann Montag in Truffauts Science-Fiction-Klassiker „Fahrenheit
451“ (GB 1966). Ob als jungenhaft wirkender Dirigent mit alter Seele
in Kevin Billingtons „Zwischenspiel“ (GB 1967) oder als progressiver,
vom Vatikan zum Schweigen verurteilter Geistlicher David Telemond in Michael
Andersons „In den Schuhen des Fischers“ (USA 1968) - Werner nahm
nur Rollen an, mit denen er sich auch identifizieren konnte.
Der Filmpart, der seinem Charakter wohl am nächsten kam, war der des nach
wahren Werten suchenden Bordarztes Dr. Wilhelm Schumann in Stanley Kramers
kongenialer Literaturadaption „Das Narrenschiff“ (1964/65). Der
wohl schönste aller Schauspielerfilme, indem unter anderen Vivian Leigh,
Simone Signoret, Lee Marvin und Heinz Rühmann agieren, ist ein in seiner
Detailfülle frappantes Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen
vor dem Wetterleuchten des II. Weltkriegs. Werners in Eigenregie gespielter
Herztod, gehört zu den ergreifendsten Momenten der Filmgeschichte. „Oft
hat man mich gefragt, wo ich den Herzanfall studiert habe.“, erzählte
er in einem seiner seltenen Interviews. „Ich habe ihn nicht studiert.
Ich habe keinen Arzt konsultiert. So habe ich gefühlt, müßte
es sein. Das ist dann innere Wahrheit.“ Über die Zusammenarbeit
mit seinem Lieblingsregisseur äußerte er sich begeistert: „Stanley
Kramer kann etwas ganz seltenes: Zugleich organisieren und träumen. Vor
allem läßt er den Schauspieler sich entwickeln und blühen.
Sonst wird beim Film vergewaltigt, Kramer ist hingegen wie ein Gärtner,
der die Pflanzen umhegt.“ Der im letzten Jahr verstorbene Regieproduzent
(„Wer den Wind sät“, „Urteil von Nürnberg“)
erwiderte das Lob: „Oskar Werner had the greatest range of any actor
I have known from pathos to complete rage.“ Zahlreiche Preise nahm Werner
1966 für diesen Part entgegen, lediglich der Oscar als Bester Hauptdarsteller,
für den er nominiert war, blieb ihm verwehrt. Aber damit befindet er sich
mit anderen Leinwandgrößen wie Richard Burton, Montgomery Clift,
Peter O`Toole oder Laurence Harvey in guter Gesellschaft.
Es gibt wohl keinen Schauspieler, der so viele lukrative Filmangebote (die
Zahl von 300 Drehbüchern ist verbürgt) als „Verrat am guten
Geschmack“ abgelehnt hat. Darunter befanden sich Wises „Sound of
Music“, Antonionis „Blow Up“, Viscontis „Ludwig II.“ und
Syberbergs „Karl May“. Obwohl er Spitzengagen fordern konnte, korrumpierte
ihn niemals das Geld. Trotz dreifacher Gagenerhöhung weigerte er sich
1968 für seinen Freund Stanley Kramer einen sympathischen Nazi in „Das
Geheimnis von Santa Vittoria“ zu spielen. Seine arithmetische Gleichung
lautete: „Wenn jemand gut ist und ein Nazi, dann ist er nicht intelligent.
Wenn jemand intelligent ist und ein Nazi, dann ist er nicht gut. Und wenn jemand
gut und intelligent ist, dann ist er kein Nazi.“ Nachdem er die für
sein Empfinden zu gewalttätige Dystopie „Uhrwerk Orange“ gesehen
hatte, lehnte er es ab, im nachfolgenden Kubrick „Barry Lyndon“ mitzuspielen.
Zuvor kam allerdings ein Kubrick-Projekt nicht zustande, indem er gerne die
Hauptrolle übernommen hätte: „Napoleon“. „Oskar
Werner Bonaparte“ hatte auch viele eigene Filmpläne, die meist aus
Finanzierungsgründen scheiterten wie z.B. Dürrenmatts „Die
Physiker“ mit Peter Ustinov und Danny Kaye oder das von ihm verfaßte
Drehbuch „Der andere Narr“ (aka „Die Ballade vom anderen
Ich“). Immer wieder verkrachte sich der unbeugsame Perfektionist („Anpassungsfähigkeit
ist eine Eigenschaft, die ich nicht anstrebe.“) mit Regisseuren, Produzenten
und Intendanten. Die Auseinandersetzung mit dem von wacher Intelligenz geleiteten
Schauspieler-Genius hielt Truffaut seinerzeit in einem Drehtagebuch für
das französische Fachblatt Cahiers Du Cinema fest. Bisher hieß es
immer, die beiden Stur- und Charakterköpfe hätten nach dem Streit
bis zu ihrem Tod, der seltsamer Weise nur zwei Tage auseinander lag, kein Wort
mehr miteinander gesprochen. Umso erfreulicher, war es von Werners letzter
Lebensabschnittsgefährtin Antje Weisgerber zu hören, dass sich „O.
W.“ und Truffaut in der 70er Jahren wieder ausgesöhnt hätten.
Wie seine berufliche Laufbahn verlief auch sein privates Leben turbulent: Der
Mann, der mit seinem noch im zunehmenden Alter jugendlichen Antlitz die Frauen
magisch anzog, war zwei Mal verheiratet (darunter mit Tyronne Powers Adoptivtochter
Anne). Aus der ersten Ehe mit Elisabeth Kallina entstammte die Tochter Eleonore,
aus der Liason mit dem Modell Diane Anderson Sohn Felix Florian, der nach Regieassistenzen
bei Michael Cimino (The Sunchaser“) und Adryan Line („Lolita“)
jetzt in Kalifornien und der Schweiz als Independent-Produzent von „Werner
Film“ fungiert. Antje Weisgerber, mit der Werner von 1970 - 79 in Liechtenstein
und Paris zusammenlebte, mußte ihre eigene Karriere völlig für
den „Teixl“ (Werner über Werner) zurückstellen. An seiner
zunehmenden Alkoholsucht und seiner manischen Depressivität, die durch
eine tagelange Trümmerverschüttung im Krieg hervorgerufen wurde,
zerbrach schließlich diese große Liebe: „Die Zeit mit ihm
war so verrückt und wunderschön, aber im Grunde nicht zu leben...“,
erinnert sich Antje Weisgerber. „Er war der größte Egozentriker,
den ich kannte. Wohlgemerkt Egozentriker, nicht Egoist. Er hat das ganze Weltleiden
auf sich bezogen. Manchmal war er unangenehm ehrlich, aber gerade das habe
ich sehr an ihm geschätzt. Man wußte immer woran man ist. Er hat
nie gelogen. Der Schwierige wollte er selbst nie genannt werden, sondern immer
nur der Unbestechliche. Er hatte ein goldenes Herz und so rührende Züge.
Trotz der inneren Zerrissenheit war sein Humor stark ausgeprägt: Als perfekter
Stimmenimitator sprach häufig Werner Krauß, Hans Moser oder Peter
Alexander aus ihm. Das war alles in ihm drin.“
In den letzten Lebensjahren war Oskar Werner sehr einsam. Auch seine Freunde
konnten ihm nicht helfen. Er zog sich immer mehr in die innere Emigration zurück,
ohne jemals in Selbstmitleid zu verfallen. Sein letzter Filmauftritt war der
nochmals für einen Golden Globe nominierte resignierte Professor Kreisler
in Stuart Rosenbergs All-Star- Flüchtlingsdrama „Die Reise der Verdammten“ (1976).
Einer von Werners häufigsten Aussprüchen war „Mein Theater
ist tot“. Und damit hatte er recht, denn seine Vorbilder Werner Krauß,
Spencer Tracy und Charles Laughton waren längst nicht mehr. Das 1983 von
ihm initiierte Festival in der Wachau geriet zum Desaster, weil er erstmals
Mühe hatte, den Text zu behalten und die junge Darstellergruppe sehr willkürlich
engagierte. Dazu sein Kollege und enger Freund Gert Westphal: „Einer
der so hoch stand wie Oskar Werner (ich halte ihn nach wie vor für den
einzigen genialisch begabten Schauspieler seiner Generation), der stürzt
eben umso tiefer, wenn ihm Fehler unterlaufen.“
Werners Tod kam wie in einer seiner Rollen als Tragödie vorprogrammiert,
dennoch war der Zeitpunkt unerwartet: Am 23. Oktober 1984 erlag er - kurz vor
einer Rezitationstour durch die Bundesrepublik - in Marburg an der Lahn einem
Herzinfakt. Nur eine Woche vorher hatte er mit einer Lesung im ausverkauften
Salzburger Mozarteum „standing ovations“ erhalten. Testamentarisch
verzichtete er auf ein Ehrengrab in Wien. Die Beerdigung fand im engsten Kreis
in seiner Wahlheimat Liechtenstein statt. So fand ein ewig Suchender seine
letzte Ruhe, der in gesunder Verfassung mit seinem leidenschaftlichen Berufsethos
und seiner unbestechlichen Wahrheitsliebe der heutigen Film- und Theaterwelt
noch sehr viel hätte geben können.
Anläßlich des 80. Geburtstags am 13. November finden in seiner Geburtsstadt
Wien zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt. Das Österreichische Theatermuseum
widmet dem vielgeliebten Akteur eine unter dem Titel „Welch einen sonderbaren
Traum träumt’ ich...“ noch bis zum 6. Januar laufende Ausstellung,
die anhand Fotos, Kostümen, Tonaufnahmen und Briefwechseln (unter anderem
mit Alfred Hitchcock, Jean Cocteau, Romy Schneider und Herbert von Karajan)
einen chronologischen Bogen seines bewegten Lebens spannt. Im Erdgeschoß des
Hauses fängt sich die Erinnerung an ruhmreiche Theaterabende: Allen voran „Hamlet“ und „Don
Karlos“. Werners ungeheuer nuancenreiches Timbre erfreut den Hörer
aus Boxen im Halbgeschoß. Hier erklingen lange Zeit in den Asservatenkammern
der „Burg“ unter Verschluß gehaltene Aufnahmen von Shakespeares „Heinrich
V.“ oder Anouilhs „Becket oder Die Ehre Gottes“. In der Eingangshalle
gibt es ein kleines „Cafehaus“, wo man im zur Ausstellung erschienenen
opulenten Katalog des Verlags Christan Brandstätter und einer „Zeitung“ schmökern
kann, die Presseartikel von 1955 - 1984 präsentiert. Da die Ausstellungsmacher
anscheinend nicht in der Lage waren mit Werners Kindern, die als Nachlassverwalter
fungieren, eine vernünftige Vereinbarung zu treffen, stammen die Exponate
vorderrangig aus dem Besitz des Museums. An sich war von den Angehörigen
geplant, einen Großteil des Nachlasses dem Theatermuseum zu übergeben.
Nun wird Felix Werner, der das kulturelle Erbe seines Vaters hinter der Kamera
antritt und mit der schwarzen Komödie „The Failures“ (Regie:
Tim Hunter“) und der Landstreicher-Dokumentation „Hobos“ (Soundtrack:
Tom Waits) die ersten beiden „Werner Film“-Produktionen betreut
hat, einen anderen Ort für die Archivierung der Oskar-Werner-Sammlung
suchen.
Bis zum 3. Dezember wird über die Theaterausstellung hinaus im Wiener
Metro Kino eine umfangreiche Werkschau vom Filmarchiv Austria gezeigt, in der
bis auf die definitiv verschollenen Filme „Ruf aus dem Äther“ und „Ein
Lächeln im Sturm“ alle Leinwandarbeiten zur mehrmaligen Wiederaufführung
gelangen. Neben Meisterwerken wie „Entscheidung vor Morgengrauen“, „Lola
Montez“, „Das Narrenschiff“ oder „Jules und Jim“ ist
vor allem die Originalfassung von „The Wonder Kid“ (deutscher Titel: „Entführung
ins Glück“) von Bedeutung: In der lange Zeit unauffindbaren britischen
Produktion aus dem Jahr 1950 verkörpert Oskar Werner einen jungen Taxichauffeur,
der in eine Kindesentführung verstrickt wird. Unverständlich nur,
dass zwar Max Ophüls’ bahnbrechende Hörspiel-Adaption von Goethes „Novelle“ (1952)
im Kinosaal zu Gehör kommt, die zwei Fernseharbeiten Werners aber aus
und vor bleiben: Weder die Columbo-Folge „Playback“ (1973) noch
die SWF-Produktion „Ein gewisser Judas“ (1959), in der Werner unter
dem Pseudonym Erasmus Nothnagl nicht nur Regie führte, sondern auch die
Titelfigur als Jesus-Verräter aus intellektueller Verzweiflung interpretierte,
zeigt das Metro-Kino. Während das Interview-Porträt „Ansichten
eines Schauspielers“ im Foyer als Endlosband läuft, hat sich das
Filmarchiv Austria bewußt gegen eine Aufführung des Interview-Films „Ich
durfte am Tisch der Götter sitzen“, indem OW bereits vom Alkoholkonsum
gezeichnet ist, entschieden.
Auch in Zukunft wird die Oskar-Werner-Renaissance weiter bestehen. Neben der
ungebrochen enthusiastischen Rezeption seiner Filme und diversen Wiederveröffentlichungen
seiner Lesungen, die besonders die Jugend, die ihn nicht mehr auf der Bühne
erleben konnte, in seinen Bann ziehen, plant Filius Felix Werner ein Buch mit
den nachgelassenen Briefwechseln. Ein Schreiben verdeutlicht dabei sicherlich
die enorme Wirkung, die Oskar Werner zu Lebzeiten auf sein Publikum hatte: „Eine
Frau aus Deutschland schrieb Ende der 50er Jahre meinem Vater einen sehr unsentimental
und direkt abgefaßten Brief, indem sie ihm mitteilte, dass sie, wenn
er diese Zeilen lesen würde, bereits tot sein würde. Ihr Leben hätte
nach dem Ableben ihres Partners keinen Sinn mehr. Sie bat meinen Vater, sich
allerdings keine Sorgen zu machen. Im Gegenteil: Sie wollte ihm nur im Namen
ihres verstorbenen Mannes danken. Dieser hätte aufgrund einer chronischen
Erkrankung sein Leben im Rollstuhl verbracht. Eine der wenigen wirklichen Freuden,
die er genossen hätte, wären Oskar Werners Darbietungen im Theater
und Kino gewesen. Mein Vater, der sich immer als Künstler für sein
Publikum verantwortlich fühlte, trug diesen Brief stets bei sich.“
Marc Hairapetian
Die Zitate von Antje Weisgerber, Felix Werner und Gert Westphal sind Gesprächen
entnommen, die der Verfasser geführt hat. Marc Hairapetian ist Mitautor
der soeben erschienenen Werkanalyse „Oskar Werner - Das Filmbuch“ (Hg.
Raimund Fritz, Filmarchiv Austria, Wien 2002 S. 561, 369 Abbildungen, Euro
24.90, ISBN 3 - 901932-19-4, Kontakt: www.filmrchiv.at). Hier nahm er sich
des Kapitels „Blockbuster-Kino aus Hollywood: Oskar Werner in All-Star-Movies
oder Ensemble-Filmen“ an. Ende 2003/2004 soll Marc Hairapetians eigene
Oskar-Werner-Biographie „Genie zwischen Tag und Traum“ erscheinen.