Die sehnsuchtsvolle Suche nach dem letztlich Unerforschlichen

 

In memoriam O. W. Fischer (1. April 1915 – 29. Januar 2004)

Von Marc Hairapetian

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„In der Schauspielerei habe ich noch nie den Sinn meines Lebens empfunden. Es war schon immer der Bereich der Philosophie, der mich hauptsächlich interessierte. Die Schauspielkunst ist entweder die erste aller Künste oder die letzte. Entdeckt habe ich in ihr die `Verwandlung´, die in Wirklichkeit ihre wahre Bedeutung ist. Ich bin im Film nie derselbe geblieben. Ich schäme mich, immer wieder O. W. Fischer zu sein. Das schien mir anmaßend. Dem Beruf nicht gerecht werdend. Dieser Beruf ist wie das Leben stets Verwandlung.“

O.W. Fischer im März 2000

Einer seiner Paraderollen auf der Bühne war „Der Schwierige“ von Hofmannsthal. Als privat „schwierig“ wurde der Film- und Theaterliebling des Wirtschaftswunderzeitalters auch oftmals von den Medien apostrophiert, doch für ihn selbst war dies mehr eine Auszeichnung als eine Abwertung. O. W. Fischer vereinigte viele Gegensätze zu einer charismatischen Persönlichkeit: Er war charmant und hochgebildet, aber auch eitel und beizeiten ein wenig arrogant, bodenständig und exzentrisch zugleich, ein Frauenheld und ein der Metaphysik und anderen „Geheimwissenschaften“ zugewandter Eremit, der die Gegenwart von Hunden und Katzen der menschlicher Wesen vorzog. Nebenbei, oder besser en passant, wie er es wohl formuliert hätte, war er ein exzellenter Charakterdarsteller.
In dem hierzulande vorderrangig puritanisch-spießbürgerlichen Kino der 1950er Jahre brachte der in der Schweiz lebende Österreicher mit den weltmännischen Umgangsformen eine gehörige Portion intellektuellen Sexappeal männlichster Sorte ins Spiel, was ihm die Frauenherzen scharenweise zufliegen ließ. Er war nicht so prüde wie Dieter Borsche, aber auch nicht so anständig wie Rudolf Prack. Der Verwandlungskünstler spielte, egal, ob er als König oder Kapitän, Bonvivant oder Bergsteiger, Edelganove oder Esoteriker zu sehen war, letztendlich doch immer wieder sich selbst: O. W. Fischer, den kulturellen Tausendsassa, der das Leben liebt, dessen weltentrückter Blick aber die sehnsuchtsvolle Suche nach dem letztlich Unerforschlichen geradezu kultivierte.
Der am 1. April 1915 in Klosterneuburg geborene Otto Wilhelm Fischer begann nach einem Germanistik-, Anglistik- und Kunstgeschichtsstudium seine Laufbahn 1936 am Wiener Theater in der Josefstadt. Im selben Jahr gab er sein Filmdebüt mit einer winzigen Rolle in Willi Forsts „Burgtheater“, an dem er nach dem Zweiten Weltkrieg bis ins Jahr 1952 als schneidiger Herzensbrecher für Furore sorgte. Der Durchbruch im Kino kam 1950 mit „Erzherzog Johanns große Liebe“. Kassenträchtige Melodramen wie „Ein Herz spielt falsch“ oder „Tagebuch einer Verlorenen“ (beide 1953) folgten. Die eigentliche Liebe des lange Zeit bestbezahlten deutschsprachigen Schauspielers, der zum Traumpartner gleich mehrerer weiblicher Stars wie Maria Schell, Ruth Leuwerik, Hildegard Knef, Liselotte Pulver und Romy Schneider avancierte, gehörte allerdings auf ambivalente Weise der Verkörperung von (über)sensiblen Charakteren: In „Solange du da bist“ (1953) mimte er einen egomanischen Regisseur, der für den Erfolg über Leichen geht. Die Inszenierung des Hellseher-Dramas „Hanussen“ teilte er sich 1955 mit Georg Marischka. Bis heute hält sie den Vergleich mit der 1989 entstandenen Istvan-Szabo-Adaption, in deren Titelrolle Klaus Maria Brandauer Akzente setzte, stand. Eine seiner eindrucksvollsten Darbietungen lieferte der neunfache „Bambi“-Preisträger in „Ludwig II. – Glanz und Elend eines Königs“ (1954/55). Er interpretierte den bayrischen Monarchen - im Gegensatz zum weinerlich-selbstverliebten Helmut Berger - als schönheitstrunkenen heterosexuellen Träumer, der als Politiker mit einem übermächtigen Hang zur Poesie an der Realität scheitert. Als einer der wenigen Akteure jener Zeit konnte er sich seine Rollen aussuchen und hatte ein Mitspracherecht am Set. So boxte er bei „Ludwig II.“ das von damaligen Produzenten gefürchtete Enfant terrible Klaus Kinski für die Besetzung des jüngeren Bruders durch.
Zum Fiasko geriet sein nur elftägiges Hollywood-Intermezzo im Jahr 1955. Ob eine plötzliche „Amnesie“ oder Fischers kapriziöse Anwandlungen gegenüber Regisseur Henry Koster schuld an der Vertragsauflösung mit den Universal-Studios waren, bleibt eine Frage der Interpretation. Doch Deutschland war nicht Kalifornien: Mit „Peter Voss, der Millionendieb“ (1958) spielte er sein komödiantisches Talent voll aus. Auch in der Shaw-Verfilmung „Helden“ und dem wehmütigen Generationendrama „Das Riesenrad“ überzeugte er. Der Lohn dafür waren der Preis der deutschen Filmkritik (1959) und der Europa-Preis in Gold (1961). Den Übergang von „Opas Kino“ zu den Jungregisseuren des „Oberhausener Manifests“ vollzog O. W. Fischer allerdings nicht. Er spielte wieder Theater, trat in Fernsehspielen auf und widmete sich vermehrt seiner wissenschaftlichen Arbeit, die er in autobiographischen Büchern von „...was mich ankommt, als Gesicht, Traum und Empfindung“ (1976) bis zu „Meine Geheimnisse“ (2000) publizierte. Nach dem Tod seiner Gattin, der Schauspielerin Anna Usell, im Jahr 1985 sah man O. W. Fischer nur noch drei Mal in TV-Filmen, zuletzt 1990 in dem Porträt „Ich möchte noch erwachsen werden“. Auch im hohen Alter trieb ihn der „Eros der Unzufriedenheit“. Regelmäßig zu jedem Geburtstag empfing er auf seinem 14.000 qm großen Grundstück in Vernate im Tessin eine von ihm ausgewählte Schar von Journalisten zum Interview, denen er sich als spitzbübisch-altersweiser Souverän mit bunten Halstüchern und schräg sitzenden Strohhut präsentierte. Seine Lieblingsgesprächsthemen waren Psychologie, seine Liebe zu Tieren, die „Definition des Nichts“, Wiedergeburt und die „Allhypnose“, die er mit Leidenschaft und Überzeugungskraft forcierte. Am 29. Januar verstarb der vermehrt an Depressionen leidende O. W. Fischer 88jährig an einem Herzversagen in einer Klinik in Lugano, in die er sich Tage zuvor selbst eingeliefert hatte. Der Hauptanteil seines auf 12 Millionen Euro geschätzten Nachlasses soll laut Testament dem Tierschutz zugute kommen.

Marc Hairapetian