Der letzte harte Mann Hollywoods

Biblischer Heroe und futuristischer Misanthrop, progressiver Schauspiel-Star und reaktionärer Waffenfreund: Zum 80. Geburtstag des Schauspielers Charlton Heston.


Von Marc Hairapetian

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Normaler Weise schrumpft der Körper im Alter. Anscheinend nicht so bei Charlton Heston. Nach Zeitungsangaben im Jahr 1978 maß der Held aus über 100 Leinwand-Dramen188 cm. 1996 waren es laut „Bunte“ stolze 196 cm. Und drei Jahre später vermeldete das für seine Recherchegenauigkeit bekannte Munzinger Archiv gar 200 cm. Damit nähert sich Heston der Größe einer biblischen Figur, der er – ausnahmsweise – noch nicht seine hünenhafte Gestalt geliehen hat: Goliath. Wie hochgewachsen der am 4. Oktober 1924 in Evanston/Illinois geborene Akteur nun wirklich ist, kann man ihn vermutlich noch nicht einmal mehr selbst fragen, da er seit einigen Jahren an der Alzheimerkrankheit leidet. Die Wahrheit liegt wohl – wie fast immer – in der Mitte, doch das beständige Übersichhinauswachsen passt zur Legende des Charlton Heston, der mit fast jedem Filmpart einen noch monumentaleren Charakter verkörperte. Sein Fachgebiet sind Heilige, Helden und Hochbegabte: Moses, Macbeth, Michelangelo reihen sich in seine darstellerische Vita genau so ein wie El Cid, der Omega-Man und sogar Gott. Die Rolle des Ben Hur brachte ihm 1959 den Höhepunkt seiner Karriere und dazu noch den Oscar. Charlton Heston wurde ein Weltstar, dem es von nun an in Serie vergönnt war, die Männlichsten und Tapfersten vergangener und zukünftiger (!) Jahrhunderte darzustellen.

Dabei wurde sein Schauspieltalent lange unterschätzt, obwohl er am Theater und im TV unzählige Shakespeare-Protagonisten gegeben hatte. Im Kino erlangte er ausgerechnet dann Popularität als Hollywoods Glanz der 1940er Jahre zu siechen begann. Mit Mammutepen versuchten die Studios den aufkommenden Fernsehanstalten Paroli zu bieten. Jetzt wurden keine wandlungsfähigen Charakterdarsteller verlangt, sondern einprägsame Helden-Figuren. Mit seiner sonoren Stimme, die sich Gott für Bibellesungen leihen könnte, dem Adler-Profil, seinen bergseeblauen Augen und den Rugby-Schultern war Heston der Mann der Stunde, der zum König des Kostümfilms avancierte. Kein anderer Filmschauspieler hat so viele historische Figuren auf dem Kerbholz. Er selbst ging eher ironisch damit um: „Wenn man Moses spielt, kommt man zurück ins Hotelzimmer und versucht, das Wasser in der Badewanne zu teilen. Wenn man es nicht schafft, fühlt man sich sehr bescheiden.“

Charlton Heston (eigentlich Charles Carter), dessen Vorname zugleich der Familienname seiner Mutter Lilla Carter ist, die nach nur kurzer Ehe mit seinem leiblichen Vater den Sägewerksbesitzer Chester Heston heiratete, drängte es von Jugendtagen zur Bühne und Leinwand. Schon in Schulaufführungen machte er auf sich aufmerksam. Mit Hilfe eines Stipendiums studierte er an der Northwestern University in Chicago, wo er 1941 bis 1943 vor allem Lesungen der „School of Speech“ hörte. Sein markantes Timbre sollte später zum Markenzeichen werden. Sein Filmdebüt hatte er 1941 mit der Titelrolle in der Amateur-Verfilmung von „Peer Gynt“. Im Zweiten Weltkrieg war er Offizier bei der Luftwaffe auf den Aleuten. 1944 nahm er die Schauspielerin Lydia Marie Clarke zur Frau, mit der er bis heute eine skandalfreie Ehe führt. Nach Kriegsende versuchte das Paar vergeblich in New York Fuß zu fassen. Der aufgrund seiner englisch-schottischen Vorfahren mit dem „Shakespeare-Bazillus“ bereits in der Wiege infizierte Mime gründete daraufhin in Asheville/North Carolina das Thomas-Wolfe-Memorial-Theatre. Gemeinsam mit seiner Frau inszenierte und spielte er dort unter anderem „The Glas Menagerie“ von Tennessee Williams. Über diesen Umweg wurde man am Broadway auf ihn aufmerksam, wo er einen respektablen Erfolg mit „Antonius und Cleopatra“ hatte. Jahrzehnte später, als er längst einer der berühmtesten Hollywood-Stars war, sollte er das Shakespeare-Drama als Regisseur und Hauptdarsteller nochmals für die große Leinwand adaptieren. Zur „Traumfabrik“ gelangte Heston 1949. Zuerst wirkte er aber in ambitionierten Fernsehproduktion wie „Of Human Bondage“ (1948) und „Julius Caesar“ (1949) mit. Nach dem Thriller „Stadt im Dunkel“ (1950) bekam seine Karriere den ersten großen Schub, als er 1950 bei einem Besuch in den Paramount-Studios in einem offenen Wagen an Regiealtmeister Cecil B. DeMille vorbeifuhr und diesem dabei fröhlich zuwinkte. DeMille suchte gerade nach einem Darsteller, der in seinem Revuefilm „Die größte Schau der Welt“ den Zirkusdirektor spielen konnte, und fand, dass Heston genauso gewinkt hatte, wie er sich das bei einem Herrn der Manege vorstellte. Wenig später hatte Heston seine erste Hauptrolle. Fortan war er trotz seiner kantigen, nicht gerade als schön zu bezeichnenden Gesichtszüge der ideale Heroendarsteller für die charakteristischen Monumentalfilme der 1950er und 1960er Jahre.

Nach seinem vollbärtigen „Moses“ und der Stimme Gottes im gleichzeitig an (Zelluloid-)Orgien und Frömmigkeit schwelgenden alttestamentarischen Epos „Die zehn Gebote“ (1956, Regie führte wiederum Cecil B. DeMille) errang er als „Ben Hur“ seinen wohl nachhaltigsten Schauspieltriumph. Der lange Zeit teuerste (damalige 15 Millionen Dollar) und bis heute meistgeoscarte (11 Akademiepreise) Film interpretierte die Vorlage des einfältigen Leihbuchschlagers des guten, alten Bürgerkriegsgenerals Lew Wallace zum Glück sehr eigen. Als Gore Vidal 1957 mit dem Drehbuch zu William Wylers Remake von „Ben Hur“ beauftragt wurde, überlegte er lange, wie er dem Kostümschinken der Stummfilmära eine neue, pikante Dimension hinzufügen könnte. Schließlich schleuste er eine homophile Nebenhandlung in den vor Gewalt und Religiosität nur so strotzenden Plot, dessen Hauptteil in die Zeit zwischen Weihnachten und Karfreitag eingebettet ist, ein: Der Römer Massala (Stephen Boyd) ist heimlich in den Hebräerfürsten Judah Ben Hur (Charlton Heston) verliebt, was dieser überhaupt nicht wahrnimmt. Nur so erklärt sich die später einsetzende erbitterte Männerfeindschaft. Regisseur Wyler gab sein Einverständnis für die seinerzeit gewagte Ausgangskonstellation, auch Boyd war ebenfalls von dem Einfall angetan. Aber die drei waren sich auch einig darüber, dass Charlton Heston davon nichts merken dürfte. Dieser merkte es auch nicht. Und so schaute er im über dreieinhalbstündigen Leinwandspektakel wirklich äußerst verwundert, wenn ihm sein Spielkamerad aus Kindertagen so herzlich zugeneigt ist, und noch verwunderter, wenn er ihm gram wird. Dem weltweiten Erfolg von „Ben Hur“ tat das keinen Abbruch. Die Geschichte vom Aufstieg, Fall und Wiederauferstehung eines Menschen wird in direktem Zusammenhang mit dem Erdendasein des „jungen Rabbi aus Nazareth“ gestellt. Der mit der pompösen Musik von Miklos Rózsa ausgestattete Film beginnt mit Christi Geburt und endet mit seiner Kreuzigung. Während ein Atelier-Gewitter Ben Hurs Mutter und Schwester vom schillernd fotografierten Aussatz befreit, spült ein Platzregen Jesu Blut über den Hügel. Selbst nicht religiöse Kritiker fanden das seinerzeit geschmacklos. Begeistert waren aber alle über das von Hilfsregisseuren inszenierte neunminütige Wagenrennen, das nicht nur den entscheidenden Kampf zwischen Ben Hur und Massala, sondern auch einigen Statisten den Tod brachte: Hass, Ehrgeiz, Eifersucht – komprimiert in einem Wirbel aus Pferdebeinen und Männerleibern, aus splitternden Rädern und schreienden Menschen in einer gewaltigen Arena! Die Digitaltechnik von heute sieht dagegen alt aus. Heston bezeichnete „Ben Hur“ als „schwersten Film, den ich je gemacht habe. Die Dreharbeiten dauerten neun endlose Monate, wobei wir täglich zehn bis zwölf Stunden arbeiteten. Ich wünschte manchmal, ich würde mir ein Bein brechen, weil ich dann womöglich entlassen worden wäre.“

Doch Heston, der von 1965 bis 1971 Vorsitzender der amerikanischen Filmschauspieler-Vereinigung war, ging immer seinen eigenen, oft unbequemen Weg. Er beeindruckte mit der Interpretation von imposanten Geschichtsgestalten wie Rodrigo Díaz de Bivar in „El Cid“ (1961), Michelangelo in „Inferno und Ekstase“ (1965) und General Charles Gordon in „Khartoum“ (1966), spielte aber auch den in der Zukunft gestrandeten, misanthropischen Astronauten Taylor in Franklin J. Schaffners satirischem Science-fiction-Meisterwerk „Planet der Affen“ (1968), das sich damals an den Kinokassen mit Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte. Unvergessen, wenn er am Schluss bei der Flucht vor dem ihn kastrieren wollenden Affenregime in der „verbotenen Zone“ den aus dem Sand ragenden Kopf und Arm der Freiheitsstatue entdeckt: „Ich hab`s geahnt, ich bin zu Hause.“, stöhnt der irrgefahrene Astronaut auf, um dann die Menschheit zu verfluchen, die vor 2000 Jahren den Atomkrieg heraufbeschworen hat. Im zweiten Teil „Rückkehr zum Planet der Affen“ (1970) zündete Heston dann gar die Weltvernichtungsbombe, um sich gegen die aus blutrünstigen Gorillas und skrupellosen Mutanten bestehende Schar der neuen Erdenherrscher zu erwehren. Heston blieb der Mann fürs harte Abenteuer, egal ob es sich um Western („Weites Land“, 1958), Jack-London-Adaptionen („Der Ruf der Wildnis“, 1972) oder .Katastrophenfilme („Erdbeben“, „Giganten am Himmel“, beide 1974) handelte. Bemerkenswert sind seine Auftritte in einigen ambitionierten Dystopien, die vor den Folgen des Wettrüstens und der Überbevölkerung („Jahr 2022... die überleben wollen“, 1973) warnen. In „Der Omega Man“ (1971) muss er sich als scheinbar letzter Mensch gegen eine Horde Vampire verteidigen. Durch ein Serum ist er gegen ihre Ansteckung immun. Eine visionäre Warnung vor AIDS? Vielleicht, zumindest ein auf intelligente Weise unterhaltender Horrorschocker, der auf dem großartigen Roman von Richard Matheson basiert. Dazu wollen auf den ersten Blick Hestons zum Teil reaktionäre politische Haltungen gar nicht passen. Von 1998 bis zum 27. April 2003 war der passionierte Waffensammler Präsident der National Rifle Association (NRA), die vorbehaltlos den zweiten Verfassungszusatz aus dem Jahr 1791 verteidigt, der jedem US-Bürger das „heilige Recht“ zusichert, Waffen zu besitzen und mit sich zu führen. In der „Modellstadt Philadelphia“ wollte er sein eigenes Befriedungsprogramm testen: Registrierung aller Schusswaffen, Waffen als Schulfach und Aufrüstung der Polizei. Eine unstrittig konservative Agenda also. Auf deren Einhaltung nach den Massaker in der Schule von Littletown zu pochen, kann nur als ignorant bezeichnen kann. Und doch erlitt Heston als Mexikaner in Orson Welles „Im Zeichen des Bösen“ (1958) texanischen Minderheitenhass, marschierte an der Seite von Martin Luther King nach Washington und inszenierte 1988 Herman Wouks „Die Meuterei auf der Caine“ am Theater in Beijing erstmals in chinesischer (!) Sprache. Der in den Santa-Monica-Bergen lebende liebevolle Familienmensch (Sohn Frazer wurde Regisseur und drehte mit ihm 1996 „Alaska“, Adoptivtochter Holly ist Kunsthistorikerin) wird deshalb primär nicht als Rechter und Pistolennarr wahrgenommen, sondern als Mannsbild, das für seine Überzeugungen einsteht. Zuletzt sah man ihn in Tim Burtons Remake vom „Planet der Affen“ (2001), wo er selbstironisch einen alten sterbenden Schimpansen-Anführer spielte, und an der Seite von Thomas Kretschmann als Nazi-Arzt Josef Mengele in dem erschütternden Vater-Sohn-Drama. “Papà Rua Alguem“ (2002).

Im August 2002 gab Heston bekannt, dass er an der Alzheimer-Krankheit leiden würde. Erste Anzeichen dafür machten Beobachter bei seinem Auftritt im Dokumentarfilm „Bowling for Columbine“ (2002), bei dem Michael Moore Charlton Heston scharf angriff, aus. Einen starken Abgang von seinem öffentlichen Leben verschaffte sich „Der letzte der harten Männer“ (Filmtitel 1976) mit einer – nach dem Vorbild seines Freundes Ronald Reagan angefertigten – Videobotschaft. Er könne wohl das rote Meer teilen, sich aber niemals von seinem Publikum trennen: „Und wenn ich Ihnen in Zukunft eine lustige Geschichte zum zweiten Mal erzähle, lachen sie bitte trotzdem.“ Als er die NRA-Präidentschaft ein Jahr später niederlegte, stemmte der „Gun Man“ sein Abschiedsgeschenk, eine Winchester des Jahrgangs 1866, mit der rechten über dem Kopf und besann sich geistesabwesend darauf, noch einmal den Eid zu leisten, dass die Waffe dereinst „nur aus meiner, kalten toten Hand“ zu entwinden sei. In Erinnerung wird die lebende Legende wohl eher für ihre schauspielerischen Leistungen bleiben.

Marc Hairapetian