Arroganz und Zartgefühl

Zum Tod des Schauspielers, Regisseurs und Malers David Hemmings

Von Marc Hairapetian

David Hemmings lediglich auf Michelangelo Antonionis Meisterwerk der langen Weile „Blow-Up“ (1966) zu reduzieren, so wie in den meisten Tageszeitungsnachrufen hierzulande geschehen, würde ihm keinesfalls gerecht. Mit der Rolle des Modellfotografen Thomas, der zufällig in einen mysteriösen Mordfall verstrickt wird, avancierte er zwar zum Starruhm und „Gesicht der sechziger Jahre“ (Berliner Zeitung), doch dem vielseitige Schauspieler, Regisseur und Maler gelang es fortan immer wieder sich dem Klischee vom männlichen Sex-Symbol zu entziehen. Umso erstaunlicher, dass der am 18. November 1941 (manche Lexika geben 1938 als Geburtsjahr an) in Guildford geborene Hemmings, für „Blow-Up“ nur zweite Wahl war: Antonio wollte eigentlich Oskar Werner für den Hauptpart, doch der kompromisslose Akteur bezeichnete das dialogarme Drehbuch als „Verrat am künstlerischen Geschmack“. So besetzte der italienische Maestro schließlich Hemmings, weil dieser Werner äußerlich ähnelte. Der Rest ist Filmgeschichte...
Hemmings, der mit J. Lee Thompsons stimmungsvollen Gruselthriller „Die schwarze 13“ und Roger Vadims Erotik-Science-fiction-Märchen „Barbarella“ (beide 1967) noch in zwei weiteren Kultfilmen der „swinging sixties“ mitwirkte, begann seine künstlerische Karriere im Alter von neun Jahren als Knaben-Sopran der English Opera Group. Während des Stimmbruchs wechselte er zur Theater- und Filmschauspielerei. Sein Leinwanddebüt gab er 1953 in „Kleiner Jockey, ganz groß“. Im gleichen Jahr hatte er seine erste Gemälde-Austellung in London. Das „Wonderkid“, dass von der britischen Filmbranche zunächst mit winzigen Sprechrollen bedacht wurde, versuchte sich später sogar als Sänger und Gitarrist in Rock`n`Roll- und Beatbands. Nach dem schauspielerischen Durchbruch war der gutaussehende Blondschopf, der sowohl gefühlskalt-introvertierte Charaktere, als auch sensible Feingeister verkörpern konnte, auch interkontinental aktiv.
Seinen neben „Blow up“ wohl schönsten Kinoauftritt hatte er 1969 in der unterschätzen Sozialstudie „Die Krücke“, wo er zunächst einer gehbehinderten Auktionshaus-Angestellten (Samantha Egger) seine Gefühle nur vorspielt, um das Sicherheitssystem für einen großangelegten Raub herauszubekommen, ihr aber im Lauf der Zeit in aufrichtiger Liebe zugetan ist. Als Regisseur gewann er 1973 für „The Wild Little Bunch“ einen Silbernen Bären. Weniger gut kam bei der Kritik sein mit Marlene Dietrich, Kim Novak und David Bowie überaus prominent besetztes nostalgisches Alt-Berlin-Melodram „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ (1977/78) an. Danach inszenierte und produzierte der sechsfache Vater vorderrangig Episoden von TV-Filmen (u.a. „In der Hitze der Nacht“, „Airwolf“, „Stringway“). Als Schauspieler trat er nur noch gelegentlich in Erscheinung: In „Gladiator“ (1999/2000) war das einstige „Gesicht der sechziger Jahre“, das zugleich Arroganz, Verletzlichkeit und Zartgefühl ausdrücken konnte, aufgedunsen bis zur Unkenntlichkeit. Nach einer Abmagerungskur sah man Hemmings als korrupten Gefängnisdirektor im Fußball-Drama „The Mean Machine“ (2001) und zuletzt in „Die Liga der außergewöhnlichen Gentleman“. (2003). Am 3. Dezember 2003 erlag David Hemmings überraschend einer Herzattacke während der Dreharbeiten zu einem neuen Film in Bukarest.

Marc Hairapetian