Der Mann, der Kasperle, Seppl, König,
Zauberer und Igel war
Gerd von Haßler (28. 8. 1928 –7. 1. 1989) war ein kultureller
Tausendsassa: Er inszenierte mit sich selbst in den Hauptrollen die witzigsten
Kasperle-Abenteuer der Hörspielhistorie, schrieb Seemannslieder, Filmkritiken
sowie wissenschaftliche Bücher und gründete am Ende seines kurzen,
aber turbulenten Lebens die „Gemeinnützige Gesellschaft zur Zukunftssicherung“.
Von Marc Hairapetian
„Genie
ist Intelligenz der Begeisterung“, sagte Friedrich Hebbel. In diesem Sinne
war der lange Zeit zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratene Hans Leo Gerd
von Haßler zu Roseneckh ein universell gebildeter Genius, der vor kreativer
Energie nur so strotzte, Kinder und Erwachsene, Flora und Fauna gleichermaßen
ernstnahm und in diversen Genres Marksteine setzte. Der humanistische Humorist
nahm sich in seiner Arbeit den großen Gescheh- und Geheimnissen dieser
Welt an – von Atlantis über Tschernobyl bis hin zur bis heute ungeklärten
Frage „Wer kann den besten Pudding kochen?“ auf der legendären
„Europa“-Langspielplatte „Kasperle ist wieder da“ (E
269) aus dem Jahr 1968, die in Internet-Fan-Foren immer wieder als „bestes
Hörspiel aller Zeiten“ genannt wird.
Zum Einstieg nur eine kleine Dialogkostprobe aus der wundersamen Welt des
Gerd von Haßler:
Kasperle: „Grüß Gott, liebe Kinder. Ach, ich..., nein, ich
erzähl’ gar nichts... Da kommt der Seppl, der kommt gerade richtig.
Seppl, komm mal her, komm sofort hierher! Auf der Stelle! Marsch, marsch!“:
Seppl: „Was ist denn das für ein Ton? Grüß dich Gott,
Kasperle.“
K (ereifert sich): „Das wirst du gleich hören, was das für
ein Ton ist, das ist ein ganz böser Ton. Ich hab’ gehört,
du hast gesagt, das deine Großmutter einen besseren Pudding kocht als
meine Gretl und meine Großmutter.“
S (noch besonnen): „Aber Kasperle, lass dir doch nicht immer solche
Sachen einreden. Ich habe nur zu meiner Großmutter gesagt, dass sie
den besten Pudding kocht, den ich je gegessen habe.“
K (im hohen Diskant und in einem Wahnsinnstempo): „Haaaach, den besten
Pudding, den du je... Ha, du hast doch gestern noch bei meiner Frau der Gretl
einen Pudding gegessen, und vor ein paar Tagen hast du bei meiner Großmutter
gegessen; das ist eine Unverschämtheit! Da hat meine Großmutter
ganz recht, wenn sie mir sagt, ich soll dir sagen, dass du nicht sagen darfst,
dass deine Großmuttersagen darf, sie hätte gesagt... (überschlägt
sich stimmlich) Seppl, das ist ungeheuerlich!“
S (leicht verärgert): „Kasperle, jetzt hör doch auf, dich
aufzuregen. Da ist doch nichts ungeheuerliches dran. Ich werde doch noch meiner
Großmutter sagen dürfen, dass mir ihr Pudding schmeckt.“
K: „Jaaa... Das darfst du sagen, dass dir der Pudding schmeckt, aber
du darfst nicht sagen, das es der beste Pudding ist, den du je gegessen hast.“
S (einlenkend): „Ja, wenn’s aber wahr ist. Kasperle, das war wirklich
der beste Pudding, den ich seit langem gegessen habe.“
K (außer sich und mit Schaum vor dem Mund): „Und was war mit dem
Pudding von meiner Gretl, hm? Und was ist mit dem Pudding von meiner Großmutter?
Ja, bist du denn verrückt geworden, wo das nachweislich die beste Köchin
der ganzen Stadt ist, sogar die Prinzessin hat bei meiner Großmutter
Pudding kochen gelernt?! Und da gehst du hin und sagst, dass deine Großmutter,
die gar nicht mit meiner Großmutter konkurrieren kann, einen besseren
Pudding kocht als meine Großmutter, obwohl die Prinzessin bei meiner
Großmutter kochen gelernt hat und nicht bei deiner Großmutter.“
S (sichtlich verwirrt von so massivem Redeschwall): Ja, aber Kasperle, das
ist mir doch völlig wurscht, wer deine Großmutter, wo meine Prinzessin,
wo deine... Aber sag mal, Kasperle, das geht doch nicht, dass wir uns jetzt
anschreien, nur weil deine Großmutter neidisch ist auf meine Großmutter.“
K (zornig-entsetzt): „Neidisch???!!! Sagt der Mensch ‚neeeiiidisch,
meine Großmutter’. Das ist ja wohl das letzte, neidisch meine
Großmutter...“
S: „Ja, freilich ist sie neidisch, sonst hätte sie ja nicht so
ein Theater gemacht, nur weil ich gesagt habe...
K (fällt ihm ins Wort): „...nur weil du gesagt hast... Was du sagst,
ist eine Lüge, deshalb hat sie geschimpft!“
S (ebenfalls zornig): „Oha, Kasperle, das ist ja wohl das letzte, Kasperle!
Ich lüge, ich lüge... Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht
gelogen. Das weißt du ganz genau.“
K(besserwisserisch): „Aber jetzt hast du gelogen, wo du gesagt hast,
dass der Pudding, von deiner Großmutter besser ist – das ist eine
Lüge.
S (drohend): „Oh, Kasperle, das ist überhaupt keine Lüge,
und du bist ja unverschämt, wenn du sagst, dass ich lüge, da ist
unsere Freundschaft gleich ganz zuende!
Ein folgenreicher Streit, der der Beginn einer aberwitzigen Humoreske ist.
Als Gretl auch noch zufällig entdeckt , dass Seppls Großmutter
ihr Rezept von der Hexe hat, verlangt sie zusammen mit Gretls Großmutter,
dass die Hexe nie mehr in die Stadt darf. Der König will den Fall untersuchen
lassen, beruft seine aus Kasperle, Seppl und dem Polizisten bestehenden „vereinigten
Heerscharen“ und verhängt kurzer Hand das Kriegsrecht mit einem
Pudding-Koch-Verbot. Nun beschließen die Hexe, die Großmütter,
Gretl und die Prinzessin Ihre ungeduldig-dümmliche Majestät jeweils
von der Qualität ihres speziellen Nachtisches zu überzeugen. Als
dieser sich weigert, gipfelt der geballte Frauenzorn in einer gigantischen
Puddingschlacht, bei der kein Kleidungsstück sauber bleibt und die intrigante
Hexe schließlich aus der Stadt gejagt wird. Am Ende wissen Kasperle
und Seppl, wie dumm es war, sich in den Streit reinziehen zu lassen. Sie beschließen
fortan; Puddingschlachten nur noch innerlich zu schlagen – und sogar
der Polizist zieht ein versöhnliches Fazit: „Damen mit so herrlichen
Kaltspeisen muss man sich warm halten.“
Gerd von Haßler ersann in den 1960er und 1970er Jahren nicht nur unzählige,
auf verschiedenen Plattenlabels (Europa, BASF, Perl-Serie) herausgebrachte
Puppenspiele, sondern führte auch Regie und sprach mit Feuereifer Protagonisten
(Kasperle, Seppl, König, Förster, Igel) und Antagonisten (Zauberer)
„Man hat sich vor lachen fast in die Hosen gemacht, wenn Gerd im Studio
vor dem Mikro wie wild von der linken zur rechten Seite hin- und herhüpfte,
abwechselnd Kasperle und Seppl intonierte und sich selbst ins Wort fiel.“,
erinnert sich „Europa“Regieassistentin Hella von der Osten-Sacken.
Stimmliche Unterstützung erhielt das „Augsburger Kasperle“
neben ständig wechselnden Schauspielerinnen vom Stammkollegen Heinz Fabian,
der meist als eitler Prinz Schöngesicht, überforderter Schupo und
als überdrehter Teufel zu hören war. Nachdem der aus der Wandervogelbewegung
hervorgegangene „Hohensteiner Kasper“ von Max Jacob im ersten
Drittel des 20.Jahrhunderts vom ehemaligen Salzburger Sauschneider und im
Wortsinn schlagfertigen Vorstadtbühnen-Hanswurst zum Helfer in der Not
und Freund aller Kinder avancierte, ist Gerd von Haßlers „Kasperle“
die überdrehte Synthese aus liebenswürdigem Hallodri und bauernschlau-eigensinnigen
Menschenfreund. Unvergesslich wie er im einschmeichelnden Singsang „Liebe,
süße Frau Hexe“ ruft, um ihr anschließend eines mit
der Pritsche überzubraten. Von Hasslers Ideenreichtum beim Ersinnen seiner
Kasperein waren schier unerschöpflich, was allein schon bei der Titelwahl
deutlich wird „Wie Kasperle zu Königs Geburtstag nicht mitspielen
will & den Förster zu Willhelm Tell macht“ oder „Wie
Kasperle die Prinzessin Tausendschön mit Juckpulver kurierte und dem
Prinz Schöngesicht als Prinzessin“ erschien. Aber seine Hörspiele,
die einst in Millionenhöhe über die Ladentische gingen und nun –
längst vergriffen - auf Flohmärkten und Internetbörsen - zu
Liebhaberpreisen gehandelt werden, waren auch voller literarischer („Wie
Kasperle den König zum Kalif Storch macht“) und politischer Anspielungen
(„Kasperle im Land von König Hampelmann“), machten vor absurden
Wissenschaftsfantasien („Wie Kasperle ein Mini-Radio in die Nase bekam“)
nicht halt – und warnten ohne moralisch-erhobenen Zeigefinger vor der
Umweltzerstörung („Die Straßenabfallbeseitigungsmaschine“).
Deswegen sind sie sowohl heute für die Kinder von gestern als auch für
eine neue Generation erwachsener Ersthörer immer noch goutierbar und
schreien förmlich nach Widerveröffentlichungen.
Thomas „Dot“ Wagner aus dem hessischen Alsfeld gehört zu
den eingefleischtesten „Haßlerianern“. Er will demnächst
die Website www.gerds-welt.de einrichten und hat zusammen mit Freunden umfangreiche
Kasperle-Thesen zum Schaffen des 1989 verstorbenen Hörspielmeisters erstellt.
Beispiele gefällig? 1.Kasperle und Seppl leben von der Sozialhilfe. 5.
Drogen wie Pudding, Hanf. Nasejucken sind allgegenwärtig“ 7.Kasperle
und Seppl haben den grünen Punkt erfunden. Für ihn ist „Seppl
ein Symbol für den neuzeitlichen Menschen, während Kasperle die
Mittelalter-Mentalität verkörpert“.
„Er war wirklich ein Kasperle, allerdings ein 1,89 Meter großes.“,
weiß seine Witwe aus zweiter Ehe, Yasmine von Hassler, zu berichten.
Doch es muss auch eine Seppl-Seele in seiner Brust gewohnt haben, denn der
aus Augsburg stammende Hans Leo Gerd von Haßler zu Roseneckh, zu dessen
gleich zwei Mal geadelten Vorfahren der berühmte Kirchenmusiker Leo gehörte,
war ein vielseitig interessierter Mann, ja, ein richtiger kultureller Tausendsassa,
der Begriffen wie Ethik, Loyalität und Gerechtigkeit hohe Bedeutung zumaß
– und eigene Fehler einsah. Fünfzehnjährig meldete er sich
freiwillig in den Krieg und fuhr auf einem Minensucher. Zwei Jahre später
erkannte er die barbarischen Irrtümer des Nationalsozialismus und desertierte
nach einer leichten Verletzung, indem er sich bei einer dänischen Krankenschwester
versteckte. Ende der 40er Jahre studierte er Literatur, Musik, Regie und Frühgeschichte,
um anschließend in Frankfurt am Main von 1953 bis 1964 zu leben und
zu arbeiten. Durch die Bekanntschaft mit dem späteren „Spiel ohne
Grenzen“-Moderator Camillo Felgen kam er zu Radio Luxemburg,, wo er
die Preisverleihung des Goldenen Löwen konzipierte. Nach einem kurzen
Intermezzo bei Warner Brothers zog der Bayer österreichischer Vorfahren
mit seiner ersten Frau und drei Kindern in die Hansestadt Hamburg. Hier schrieb
er als freier Autor regelmäßig Filmkritiken und feuilletonistische
Essays für den „Spiegel“, „Die Welt“ und „Die
Welt am Sonntag“, hier entstanden auch fast alle Hörspielaufnahmen.
Dr. Andreas Beurmann, dem damaligen Künstlerischen Gesamtleiter von „Europa“
war von Haßler als „begnadeter Humorist“ auffällig
geworden, der als Hans Roseneckh auch Seemannslieder komponierte und sang
(„Wenn der Wind nach Westen weht“). Neben den improvisiert wirkenden
„Kasperle“-Stücken und der spannungsgeladenen Slapstick-Serie
„Käpt’n Stormy“, deren Titelheld selbstverständlich
von Gerd von Haßler gesprochen wurde, adaptierte er auch Welt-(„Die
Nibelungen“, Der letzte Mohikaner“) und Trivialliteratur („Durch
die Wüste“) entwickelte eigene Science-fiction Szenarios („.Besuch
aus dem Weltraum“).
Die heute 44jährige Tochter Franziska Liemandt bezeichnet ihren Vater
rückblickend als „konservativen Vorläufer der Grünen“.
1966 sorgte der damals38jährige für lokalpolitischen Wirbel. Er
kandidierte bei der Wahl des Hamburger CDU-Landesverbandes und verlor nur
knapp gegen den amtierenden Vorsitzenden Erik Blumenfeld. Dieses Scheitern
verarbeitete er mit geradezu subversiven Seitenhieben auf seinen Kasperle
Platten, indem er gegen braunen Filz und groß- bzw. kleinbürgerliche
Vetternwirtschaft wetterte. Nach dem Zusammenbruch des Hörspielmarktes
Ende der 1970er-Jahre konzentrierte sich von Haßler mehr denn je auf
seine populär-wissenschaftliche Interessen, wobei der sagenumwobene Kontinent
Atlantis zu seinem Steckenpferd mutierte, was mit diversen Publikationen und
einem 90minütigen Hörspiel dokumentiert wurde. Im zweiten Drittel
seiner WDR-Doku „Wenn die Erde kippt“ entlarvte Gerd von Haßler
bei allem gebotenen Ernst spitzbübisch die Thesen seines Vorredners,
um sein Wissen über die Magnetpolkippungen auszubreiten. – Kasperle
pur! Buchveröffentlichungen wie „Rätselhaftes Wissen“,
„Noahs Weg zum Amazonas“ oder „Des Menschen törichte
Angst vor der Zukunft“ fanden großes Kritiker- und Kollegenlob.
Dennoch erreichte Gerd von Haßler nicht den Bekanntheitsgrad eines Erich
von Däniken oder eines Charles Berlitz. „Das hat seine Gründe.
Während andere Autoren auf 500 Seiten fünf Fakten auswalzen, trug
mein Mann auf fünf Seiten 500 Fakten zusammen. Das macht es nicht immer
einfach zu lesen.“, sagt Yasmine von Haßler, um fortzufahren:
“Außerdem besaß mein Mann kein Ellbogendenken. Er war vielleicht
zu selbstkritisch“.
In den 1980er Jahren zog der passionierte Hobby-Reitturnierrichter vom schleswig-holsteinischen
Lütjensee wieder in seine bayrische Heimat. Hier arbeitete er in Ampfing
und später in Mettenheim versessen an seinem letzten großen Projekt:
Die GGZ („Gemeinnützige Gesellschaft zur Zukunftssicherung“)
sah nach Hiroshima und Tschernobyl Vorkehrungen für den atomaren Supergau
vor. Auf einem geschützten Vorratsgelände sollten Menschen und Tiere
Zuflucht finden. Seine visionären Pläne trug er Franz Josef Strauß
vor, der seine finanzielle Unterstützung zusicherte. Strauß starb
kurz darauf, und Gerd von Hassler erkrankte in der Blüte seines Schaffens
plötzlich an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Drei Monate nach der Diagnose
verstarb er am 7. Januar 1989 im Alter von nur 61 Jahren. Seine letzte Ruhe
fand er in seiner geliebten Heimatstadt Augsburg. Neben drei erwachsenen Kindern
hinterließ er aus der zweiten Ehe zwei Töchter im Alter von fünf
und sieben Jahren. Eine tragische Parallele zum Tod seines eigenen Vaters,
der starb, als Gerd von Hassler fünf war. Häufig zählt der
Prophet im eigenen Land wenig. Zu von Haßlers Lebzeiten waren seine
Anhänger noch zu jung, um ihn für die Kasperle-Hörspiele persönlich
zu danken. Dafür spielten sie seine Platten oftmals so häufig ab,
bis sie ganz zerkratzt waren. Noch heute erweisen viele von ihnen dem Mann,
der zugleich Kasperle, Seppl, König, Zauberer und Igel war, ihre Referenz,
indem sie allabendlich seine Platten (inklusive Knacken und Knistern) zum
Einschlafen hören. Ein schöneres Kompliment kann es wohl für
einen herzblütigen Künstler nicht geben.
Marc Hairapetian