Verführerische Tiefe
Mehr als “nur” die Witwe von Humphrey Bogart: Zum 80. Geburtstag der Schauspielerin Lauren Bacall
Von Marc Hairapetian
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Verführerische Tiefe
Mehr als “nur” die Witwe von Humphrey Bogart: Zum 80. Geburtstag der Schauspielerin Lauren Bacall
Von Marc Hairapetian
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Sie entsprach genau dem Typ amerikanischer Frau, der in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre von den damals noch allmächtigen Filmstudiobossen händeringend als Nachfolgerin für Katharine Hepburn gesucht wurde: „very sophisticated“, aber sportlich, eine meist kühle, manchmal aber auch geradezu kumpelhafte Diva, die einem zwar den Kopf verdrehen, doch in Krisensituationen auch ihren Mann, pardon: ihre Frau stehen konnte. Solch ein Naturell birgt natürlich eine Menge Widerborstigkeit, und als Kämpfernatur widersetzte sich Lauren Bacall, die am heutigen 16. September ihren 80. Geburtstag feiert (während SPIRIT-Tochter Ribana-Siranoush fünf Jahre jung wird), Hollywood von Anfang an. Noch heute lässt sie sich in keine Schublade stecken und sagt, das schulterlange, leicht blondierte Haar mit einer koketten Geste zurückwerfend: „Ich hasse den Namen Lauren Bacall, den man mir sofort nach meiner Ankunft gab. Ich kam als Betty Joan Perske in New York zur Welt und fand meine beiden Vornamen immer besonders hübsch!“
Viel zu große Füße
Als Tochter eines rumänischen Mannequins und eines Elsässer Verkäufers,
der kurz nach ihrer Geburt Frau und Kind verließ, lernte sie früh,
auf eigenen Füßen zu stehen. Lang, dünn, mit blaugrünen
Augen und „viel zu großen Füßen“ (Bacall), konnte
das jüdische Mädchen aus Brooklyn fluchen, klettern und kämpfen
wie ein Junge. Betty Joan Perske, zu deren hervorstechenden Eigenschaften
nicht nur ihr scharfer Witz, sondern auch die Ernsthaftigkeit zählt,
mit der sie die Dinge angeht, wollte schon als Mädchen Schauspielerin
werden. Um diesem Ziel näher zu kommen, jobbte sie unter anderem als
Kinoplatzanweiserin und studierte an der New Yorker Academy of Arts. Sie wuchs
zu einer herben Schönheit heran: mit einem halb provozierenden, halb
lockenden Blick von unten herauf, einem eigenwilligen Antlitz, dem zerbrechlichen
Körper und jener nonchalanten Eleganz, die noch den billigsten Fummel
wie ein Dior-Kleid wirken ließ. Es verwundert nicht, dass sie zunächst
modelte. Die Gattin des Produzenten und Regisseurs Howard Hawks sah ihr Titelbild
in Harper’s Bazaar und es kam zu einem Filmtest – wenig später
wurde aus Betty Joan Perske jene Lauren Bacall, die mit der weiblichen Hauptrolle
neben Humphrey Bogart in der vor Dialogwitz nur so strotzenden „Casablanca“-Variation
„Haben und Nichthaben“ (1944) zum Weltstar avancierte.
Hawks, der ihr den Vornamen Lauren gab (während Bacall dem Mädchennamen
der Mutter entlehnt ist), riet ihr: „Sprich mit tiefer Stimme, die gibt
dir etwas geheimnisvolles; nur hysterische Frauen haben hohe Stimmen.“
Die verführerische Tiefe ihres rauchigen Timbres, mit der sie Bogart
– in der Rolle eines NS-Widerstandskämpfers wider Willen –
gehörig Kontra gab, wurde genauso zum Markenzeichen wie der leicht hochmütige
Augenaufschlag, der ihr den Übernamen „The Look“ einbrachte.
Aus dem sich so prächtig ergänzenden ungleichen Leinwandpaar wurde
auch privat eine feste Institution: Am 22. Mai 1945 heiratete sie das 20 Jahre
ältere, trinkfreudige Schauspieler-Rauhbein, das in der zwar nicht mehr
unschuldigen, aber doch unverdorbenen Bacall eine Mischung aus Weib, Tochter
und Kameradin fand.
Drei weitere gemeinsame Klassiker des Film Noir entstanden: „Tote schlafen
fest“ (1946), „Hafen des Lasters“ (1948) und das grandiose
filmische Experiment des Jahres 1947 von Regisseur Delmer Daves, mit dem irreführenden
deutschen Titel „Die schwarze Natter“ (im Original: „Dark
Passage“), in dem Bacall an die Unschuld des unter Mordverdacht stehenden
Bogart glaubt. Große Teile des Films wurden aus Bogarts Sicht mit subjektiver
Kamera gefilmt, so dass die Bacall zeitweise direkt in die Kamera spielen
musste.
Im selben Jahr präsentierte sich das Schauspielergespann auch außerhalb
der Leinwand mutig-entschlossen: Sechs Tage nach den berühmt-berüchtigten
„hearings“ des HUAC (House Un-American Activities Committee),
machte sich Bogart mit seinem „Bogey Baby“ und Künstlern
wie John Huston und Danny Kaye nach Washington auf, um gegen die Kreuzverhöre
des Ausschusses für „unamerikanische Aktivitäten“ zu
protestieren und die als „Kommunisten“ in Ungnade gefallenen Filmschaffenden
der „Hollywood Nineteen“ zu rehabilitieren. Um die eigene Kinokarriere
zu retten, distanzierte sich das Traumpaar der Traumfabrik jedoch später
auf Druck des Studiochefs Jack Warner öffentlich als „ill advised“
(„schlecht beraten“) von der Demonstration.
Der persönlichen Integrität der beiden tat das keinen Abbruch: „Wir
hassten Unehrlichkeit und Wichtigtuerei, Leute die zu viel fragen und Frauen,
die zu viel trinken“, sagte Lauren Bacall, die Nachtclubs und rauschenden
Parties ebenso fern blieb wie Skandalen und Romanzen – mit Ausnahme
ihrer seinerzeit sehr gewagten Darstellung der Lesbierin Amy North vielleicht,
die im Musikermelodram „Young Man with a Horn – Der Mann ihrer
Träume“ (1949/50) dem Trompeter Kirk Douglas das Herz bricht. Um
sich um die Söhne Stephen und Leslie zu kümmern, setzte Lauren Bacall
sogar für einige Jahre ihre Karriere aus: „Wenn man zwischen 20
und 32 in einer so glücklichen Ehe wie ich lebte, dann wird diese Form
der Existenz zu einer Lebensphilosophie.“
Die „schönste Zeit“ ihres Lebens endete mit dem Tod des unheilbar
kranken Bogart im Januar 1957. Nach einem Trauerjahr „erwachte ich eines
Morgens, und es war, als hätte mir jemand die Binde von den Augen genommen.
Ich fühlte mich wieder lebendig, und ich vermisste meine Tätigkeit.
Bogey sagte immer, dass ich nicht in der Vergangenheit leben sollte, denn
daraus könnte nichts Gutes kommen. Und damit hatte er, wie immer, recht.“
In dem Film „Designing Woman – Warum hab` ich ja gesagt?“
(1957) bewies sie ihr komödiantisches Talent und startete am Broadway
einen Neuanfang. Nach Anlaufschwierigkeiten und einer geplatzten Verlobung
mit Frank Sinatra feierte Lauren Bacall, die von 1961 bis 1969 in zweiter
Ehe mit dem Schauspielerkollegen Jason Robards verheiratet war, als „Cactus
Flower“ einen besonderen Erfolg: Mit dem Part der grimmig-steifen Zahnarzthelferin,
die sich in einen Vamp verwandelt, um ihrem Chef aus der Klemme zu helfen,
trat sie endgültig aus dem Schatten ihres legendären ersten Mannes.
Das Stück lief zwei Jahre ohne Pause am Broadway. Für „Applause“,
die Bühnenversion des Films „All about Eve“, und „Woman
of the Year“ wurde sie 1970 und 1981 mit je einem Tony als beste Musical-Comedy-Schauspielerin
ausgezeichnet.
Lauren Bacall, die 1978 ihre wegen des unprätentiösen Stils viel
gelobte Autobiographie „By Myself“ veröffentlichte, wirkte
erneut in Hollywood-Filmen wie „Mord im Orient Express“ (1974),
„Health“ (1980), „Misery“(1991), „Pret-à-Porter“
(1995) und „Diamonds“ (1999) mit. Als herrische Mutter von Barbara
Streisand in „Liebe hat zwei Gesichter“ erhielt sie erstmals einen
Golden Globe, sowie eine Oscar-Nominierung. In „Dogville“ (2003),
dem Hollywood-Eroberungsversuch des europäischen Regie-Monomanen Lars
von Trier, war Lauren Bacall als despotische Ladenbesitzerin mit von der Partie.
Erotische Ausstrahlung
Bei der Präsentation in Cannes klagte Bacall, übermäßig
beansprucht worden zu sein, in nahezu jeder Szene habe das gesamte Ensemble
präsent sein müssen, tagelang musste die Bacall im Hintergrund ihren
unsichtbaren Laden fegen. Doch auch in von Triers nächstem Film, „Manderlay“,
wird sie wieder in Erscheinung treten: „Alles für die Kunst“,
sagt sie lachend. Gemeinsam mit ihrer „Dogville“-Leidensgenossin
Nicole Kidman wird sie darüber hinaus in Jonathan Glazers „Birth“
zu sehen sein.
Berühmt geworden durch ihre unverwechselbare erotische Ausstrahlung,
bedauert Lauren Bacall, dass sich heute das weibliche Bild im Film verändert
hat: „Glauben Sie mir, ich bin keine Puristin, aber Frauen wie Greta
Garbo, Bette Davis oder Katharine Hepburn haben weniger ihren Körper
zur Schau gestellt, sondern waren eher geistreich und appellierten an die
Fantasie. Heute dominieren Sex und Gewalt.“ Dabei käme Lauren Bacall
mit ihren nunmehr 80 Jahren selbst noch gut als Sex-Symbol weg.
Marc Hairapetian