Die sanfte Königin

Tiefe Trauer um Antje Weisgerber (17. Mai 1922, Königsberg
– 29. September 2004, Dortmund)

Von Marc Hairapetian

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Sie war die letzte Grande Dame des deutschsprachigen Theaters. Eine sanfte Königin – darstellerisch wie auch menschlich. Ihr Filmtitel „Die Stärkere“ war Programm: Trotz einer Reihe schwerer Schicksalsschläge (zum Jahreswechsel 1952/53 verlor sie innerhalb weniger Tage ihren ersten Mann, den wunderbaren Schauspieler Horst Caspar, und den gemeinsamen Sohn Frank, erlebte „Himmel und Hölle“ mit ihrem späteren Lebensabschnittsgefährten Oskar Werner und musste Anfang 2004 ihren Enkelsohn zu Grabe tragen) bewahrte sich Antje Weisgerber immer (Über-)Lebensmut und Würde, Fröhlichkeit und Anmut, Herzlichkeit und Empathie.

Sie war der wundervollste Mensch, den ich kennen lernen durfte. Seit meinem ersten Besuch im Sommer 1993 in ihrem schönen Domizil in Rottach-Egern – ich interviewte Sie für SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM über ihre gemeinsame Zeit mit Oskar Werner - hatten wir uns angefreundet. Wir telefonierten und schrieben uns regelmäßig, sahen uns, wenn sie in Berlin war und ich besuchte sie zudem mehrfach in Bayern. Besonders unvergesslich ist mir der gemeinsame Kinobesuch während der Berlinale 1997, als wir im Astor „Der letzte Akt“ mit Oskar Werner sahen. Nach der Vorführung diskutierte sie mit meinen Freunden, die der Vorführung beiwohnten und meinte, dass der Film eigentlich regelmäßig an Schulen gezeigt werden sollte. Sie hatte ja die letzten Kriegstage und den Untergang des Dritten Reichs selbst miterlebt. Antje war überhaupt viel von jungen Menschen umgeben, blieb sie mit ihrer wachen Intelligenz doch stets selbst jung und interessiert an den großen und kleinen Weltgeschehnissen. Sie nahm auch an meinem Leben regen Anteil. Als sie von meiner armenischen Abstammung erfuhr, besorgte sie sich das Buch „Meine armenischen Kinder“ über die überlebenden Opfer der Erdbebenkatastrophe von 1988. Sie tröstete mich als 1998 mein keiner Hund Habibi starb. Zur Geburt meiner Tochter Laetitia-Ribana Orsina Siranoush schickte sie im September 1999 einen niedlichen Strampelanzug. Ich konnte mit ihr über einfach alles diskutieren.

Bei meinem letzten Besuch im Sommer 2002 war sie zwar schon von schwerer Krankheit gezeichnet, aber immer noch eine schöne Frau voller autonomer Energie. Wir machten gemeinsame Spaziergänge in der waldreichen Umgebung, sahen uns Fotoalben ihrer Theater- und Filmauftritte sowie private Bilder mit Oskar Werner an (später fertigte sie mir Kopien einer Reihe gemeinsame Spaßfotos aus dem Passbildautomaten an, die verdeutlichen, was für ein inniges Paar die beiden waren) und nahmen nochmals mehrere Stunden Gesprächsmaterial für meine geplante Oskar-Werner-Biografie auf. Bei meiner publizistischen Arbeit über den „Unbestechlichen“ unterstützte sie mich rührend, vor allem bei meinem Kapitel für „Oskar Werner – Das Filmbuch“. Es ist für mich unendlich tragisch, dass sie die Oskar-Werner-Biografie „Genie zwischen Tag und Traum“, wenn sie denn fertig werden sollte, nicht mehr lesen können wird.

Wir telefonierten fast wöchentlich, zum letzten Mal vor ca. einen Monat, wobei sie trotz starker Schmerzen durch die Bestrahlungen ihres Gehirntumors einen gefassten, fast heiteren Eindruck machte. Das Schicksal wollte es so, dass sie nur kurze Zeit nach Oskar Werners erster Ehefrau Elisabeth Kallina, mit der sie eng befreundet war, starb. Ein Trost ist es, dass sie am Ende bei ihrer über alles geliebten Familie in Dortmund war – bei ihrer Tochter und ihren Enkel- und Urenkelkindern. Jetzt ist sie bei Horst Caspar und Frank – und auch bei Oskar Werner.

Ich habe sie verehrt und geliebt. Sie war meine mütterliche Freundin - und ich werde ihr Andenken immer im Herzen bewahren. Meine aufrichtige Anteilnahme gehört ihrer Familie, zu der sie – wenn auch nicht blutsverwandt – immer auch Oskar Werners Kinder Felix und Eleonore zählte.

Die Liebe höret nimmer auf.

Danke für alles, Antje!

Marc Hairapetian

Antje Weisgerber und Marc Hairapetian im Sommer 1994 in Rottach-Egern (Foto: Selbstauslöser)