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"Die Kamera ist meine Liebe und das Theater meine Schule"

Die Wienerin Julia Stemberger gastiert als Königin Elizabeth mit "The King's Speech" erstmals im Schlosspark Theater

von Marc Hairapetian

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„Lange Zeit war Julia Stemberger auf die Rolle des jungen, "feschen Madl" aus gutem Haus geradezu abonniert. Man denke an ihr Filmdebüt "Herzklopfen" (1984), wo sie als Schülerin Susanne aus der Liebesbeziehung mit dem Lehrling David (der früh verstorbene Nikolas Vogel) ein Kind erwartet und mit diesem Umstand erst einmal klar kommen muss. Bei den Salzburger Festspielen verkörperte die brünette Schönheit Ende der 1980er gar die "Jugend" an sich in "Der Bauer als Millionär". Regie führte damals Jürgen Flimm. Der große Theatermacher inszenierte sie dann 1991 noch in der Titelrolle des Stücks "Das Mädl aus der Vorstadt". Zuvor hatte die grazile Wienerin auf den Brettern des Burgtheaters unter den Fittichen George Taboris eine strahlende Desdemona gegeben, die aus unbegründeter Eifersucht von "Othello" gemeuchelt wird.
Größere Ansicht anzeigen  Erst Dieter Wedel besetzte die am 29. Januar 1965 geborene Tochter der Schauspielerin und Sängerin Christa Schwertsik und des Tropenmediziners Heinrich Stemberger dann im TV-Mehrteiler "Der König von St. Pauli" (1998) gehörig gegen den Strich: Ihr Strip im "Blue Banana"-Club machte Fernsehgeschichte. Und nun, mit Ende 40, ist die Stemberger zwar immer noch fesch, aber sie will partout nicht mehr als "Madl" wahrgenommen werden: Ab dem 25. Januar ist sie als Königin Elizabeth unter der Regie ihres Schauspieler-Kollegen Thomas Schendel, mit dem sie schon gemeinsam in der Serie um die Potsdamer Lehrerin "Die Stein" vor der Kamera gestanden hat, in David Seidlers Erfolgsstück "The King's Speech", zu sehen: "Über Jahre war ich immer die Jüngste. Doch jetzt glaube ich, dass man ab einem gewissen Alter zuständig dafür ist, was man ausstrahlt. Verantwortlich dafür wäre ein anderes Wort", sagt sie im ND-Gespräch, das in einem der Büros des Steglitzer Traditionstheaters stattfindet. "Es wäre absurd, mir künstlich eine Mädchenhaftigkeit bewahren zu wollen. Den Prozess des Älterwerdens macht mir erstens die Tatsache erträglicher, dass ich einfach gerne lebe, und zweitens, dass ich meine mittlerweile 14jährige Tochter heranwachsen sehe."
 Bei der Rollengestaltung der Elizabeth, die im Gegensatz zum Film mit Colin Firth als um Worte ringender König Georg VI. ihrem hier von Oliver Mommsen gespielten Gatten Albert, dem vormaligen Herzog von York und angehenden König von England, bei seinem Stotterproblem zur Seite steht, hat sie sich mehr an ihrer eigenen Großmutter orientiert, als an Leinwand-Königin Helena Bonham Carter: "Den Film habe ich mir bei einem England-Aufenthalt zwar schon zwei Tage nachdem er rauskam im Kino angesehen, doch wie mein Bühnenpartner Oliver Mommsen versuche ich andere Adaptionen des Stückes vollkommen auszublenden. Dafür habe ich viel Sekundärliteratur gelesen. Herzogin Elizabeth, die als Königin im zunehmenden Alter liebevoll "Queen Mum" genannt wurde, war ein Bündel von Lebensfreude und Energie. Bei einem Bild von ihr, dass sie mit einem Glas in der Hand im Wind stehend zeigt, bin ich an meine Großmutter erinnert worden, die vor einigen Jahren im biblischen Alter von 103 verstorben ist." Julia Stembergers braun-grüne Augen leuchten auf, wenn sie von ihrem ganz persönlichen "Vorbild" spricht: "Mit ihr habe ich über Leben und Sterben gesprochen. Mir hat sie gesagt, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg einfach beschlossen hat, nur noch auf die schönen Dinge zu schauen. Als ich 25 war, ist mir das ein bisschen oberflächlich vorgekommen. Inzwischen habe ich die Stärke einer solchen Lebenshaltung begriffen. Meine Großmutter war ein sehr mitfühlender Mensch, der nicht nur in zwei Weltkriegen viel Schwieriges im Leben gesehen hat, sich aber niemals darüber beklagt hat."
Größere Ansicht anzeigen  Die Akteurin, die nie eine Schauspielschule besuchte, sondern Privatunterricht bei Dorethea Neff und Eva Zilcher hatte, wäre nach zusätzlichen Gesangsausbildungen bei ihrer Mutter und Ruthilde Boesch fast Sängerin geworden. Auch Ballerina wäre für sie eine Alternative zu Film und Theater gewesen, doch als ihr Regisseur und Drehbuchautor Walter Bannert 1984 eine der beiden Hauptrollen in der charmanten Liebeskomödie "Herzklopfen" anbot, packte sie die Chance beim Schopf: "Eine meiner wesentlichsten Eigenschaften ist es, dass ich viel Mut besitze und springe, wenn es darum geht, zu springen." Ehrlich gibt sie zu: "Bei einer schwierigen Szene, wo meine Film-Großmutter starb, dachte ich mir einfach: Geht alle weg und lasst mich nur machen! So angstfrei war ich später nie wieder, weil ich aufgrund mangelnder Erfahrung gar nicht wusste, was alles schief hätte gehen können..." Mut in ein ihr fremdes Metier ein- beziehungsweise abzutauchen, bewies sie mehr als ein Jahrzehnt später auch bei der Milieustudie "Der König von St. Pauli": "Wir sind zur Recherche tatsächlich auf der Reeperbahn in Strip-Shows gegangen. Das hat mich ziemlich betroffen gemacht. Das Ganze war nicht besonders erotisch, sondern einfach nur deprimierend."
 Bis in den Herbst hat die ihrer Geburtsstadt lebende Julia Stemberger, die alternierend zu "The King's Speech" bald im Wiener Theater in der Josefstadt mit den Proben zum Stück "Die Schüsse von Sarajewo" (nach Milan Dors Roman "Der letzte Sonntag") beginnt, einen Koffer in Berlin. Ihre Berliner Theaterwohnung wird sie im Frühjahr auflösen, um dann bei ihrem Zusatzvorstellungen im Schlosspark Theater im Hotel abzusteigen.
 Nachdem Sie ihre Großmutter als persönliches Vorbild genannt hat, frage ich die waschechte Wienern, die 1990 für ihren Part in Götz Spielmanns "Erwin und Julia" mit dem französischen Darstellerpreis ausgezeichnet wurde, aber auch am 1. Januar dieses Jahres bei der Ausstrahlung der "Traumschiff"-Folge "Perth" mit an Bord war, nach ihren künstlerischen Fixsternen: "Nicole Heesters und Christine Ostermayer - zwei wunderbare Schauspielerinnen, die mir vorleben, wie man ein ganzes Leben lang Schauspielerin sein kann - auf eine Art, die mich sehr beeindruckt. Bei den Männern verehre ich über seinen Tod hinaus Oskar Werner, der in allen Rollen von einem Zauber und einer Besonderheit war, die ihresgleichen sucht." Oskar Werner sagte einmal: "Der Film ist meine Geliebte. Das Theater meine Ehefrau." Konfrontiert mit diesem Satz, entgegnet sie nach kurzem Überlegen: "Das gefällt mir sehr, doch für mich gilt: Die Kamera ist meine Liebe und das Theater meine Schule. Und beides mache ich gerne." Und in diesem Moment blitzt wieder bei Julia Stemberger dieses mädchenhafte Lachen auf, das alles andere als künstlich ist und ihr so gut zu Gesicht steht.

Das Gespräch mit Julia Stemberger führte Marc Hairapetian am 19. Juli 2014 im Berliner Schlosspark Theater für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de. Das Foto von Julia Stemberger und Marc Hairapetian machte Oanh Vo für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de. Das Bild von Julia Stemberger mit der Oskar-Werner-Memorial-Edition schoss Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de. Die Einzelaufname ist der Webseite ihrer Agentur Studlar entnommen.