Valery Gergiev ist ein einmaliges Phänomen. Es ist eine seltene Gabe, dass sich in einem Menschen so organisch die musikalischen und organisatorischen Talente vereinigen. Er hat unglaublich viel Energie. Alle seine Projekte „müssen“ erfolgreich sein. Außerdem ist er unglaublich begabt.

Yuri Bashmet, russischer Bratscher und Dirigent

Von Dr. Anna Fortunova

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Dieser Aussage des renommierten Bratschers Yuri Bashmet kann man nur zustimmen: Alles, was Valery Gergiev macht, ist immer von großem Erfolg gekrönt. Eine der bekanntesten Persönlichkeiten, die derzeit weltweit die russische Kultur vertritt, ein Nachfolger der großen russischen Dirigenten, ein Musiker und Manager mit unglaublich hohem energetischen Niveau, ein Verfechter nicht nur der klassischen, sondern auch der modernen Kunst, ein Vertreter einer sehr eigenen Dirigiertechnik – all das vereint Valery Gergiev in seiner Person. Ein weiteres Charaktermerkmal ist sein hochemotionales kaukasisches Temperament, das in der ossetischen Abstammung des Dirigenten begründet liegt. Eine gewissermaßen „kosmische Energie“ ist ihm wohl im Umfeld des Kaukasus zu Eigen geworden (nicht umsonst wird behauptet, dass die Bewohner der Berge einen direkteren Bezug zu einer solchen „kosmischen Energie“ haben).

Valery Gergievs Konzert mit dem London Symphony Orchestra am 17. April im Hannover Congress Centrum hat ein großes Publikum angezogen. Als Magnet wirkten nicht nur die Person des Dirigenten und das Orchester von Weltniveau, sondern auch die ansprechende Programmauswahl des Abends: Präsentiert wurden Claude Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune (1894) und La mer (1905) gemeinsam mit einer Suite aus dem Ballett Feuervogel, das sein russischer Zeitgenosse Igor Strawinsky im Jahr 1910 komponiert hat. Besonders interessant war die Gegenüberstellung der beiden Werke des französischen Komponisten, die paradigmatisch seine impressionistische Ästhetik verkörpern, mit Strawinskys erstem Werk für Djagilews Ballets Russes aus seiner frühen russischen Periode. Neben den Balletten Petruschka und Le sacre du printemps zählt es zu den berühmtesten Werken des russischen Komponisten, die (im Paris der 1910er Jahre nicht ohne Skandale) quasi zu einer Renaissance und Erneuerung des Genres führten. In dem richtungsweisenden Werk Der Feuervogel sind zwei russische Volksmärchen vom „guten Feuervogel“ und vom „Unsterblichen Zauberer Kaschtschei“ miteinander verschmolzen.

Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune ist bis heute mit dem Namen des Tänzers Vaslav Nijinsky verbunden: Seine Umsetzung der Musik Debussys als Ballett L'Après-midi d'un faune im Jahr 1912 war mit ihrer eigenwilligen Choreographie mit dem Effekt einer Bombe vergleichbar und gilt immer noch als eines der besten Bühnenwerke der Tanzgeschichte. Im damaligen Paris galt der Tänzer als eine echte Sensation. Dagegen hatte La mer nach der Uraufführung im Jahr 1905 zunächst nur Skepsis und Ablehnung gefunden, wurde aber später neben Prélude à l'après-midi d'un faune zum beliebtesten und meistgespielten Orchesterwerk des französischen Impressionisten.

In all diesen Kompositionen, wie auch in dem als Zugabe gespielten Tanz der Ritter aus Sergei Prokofjews Ballett Romeo und Julia, hat der Dirigent seinen rasenden, dynamischen Stil demonstriert, der als „typisch“ für Gergiev gilt. Valery Gergiev ist es gelungen, eine sehr breite Palette von ‚forte‘- (in Prélude à l'après-midi d'un faune) und ‚piano‘-Klängen (in La mer) aufzuspannen. In der Musik zum Feuervogel trat die perfekte Balance zwischen den Orchestergruppen besonders deutlich hervor, so dass sowohl die Sehnsucht des Feuervogels als auch der zügellose Tanz in Kaschtscheis Reich plastisch und packend mitreißen konnten. Die meisterhafte Arbeit der Solisten und des Orchesters trugen entscheidend zum Erfolg bei.

Tanz der Ritter von Valery Gergievs Lieblingskomponisten Sergei Prokofjew erschien als eine ideale und logische Nachfolge von Strawinskys Ballett und als zusätzlicher Höhepunkt des sehr gelungenen Abends. Hier bestätigte sich wieder einmal, dass alles, was der russische Dirigent anpackt, Erfolg hat.