Größere Ansicht anzeigenMarc Hairapetian & Fritz Wepper bei der Goldenen Henne in Berlin (2010, Foto: Spirit - Ein Lächeln im Sturm www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.com / www.spirit-fanzine.de)

Lebemensch, Buddhist und Raubtierflüsterer

Lange unterschätzt: Schauspieler Fritz Wepper zum 80.

von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigenMarc Hairapetian, Felix, der Sibirische Wolfhund Husky, & Fritz Wepper beim Krimifestival München (2016, Foto: PR/Crime + Investigation/Getty/Koch)

"Ich bin keiner, der verpassten Chancen nachtrauert", sagt Fritz Wepper, der nach einer Krebsoperation im März seinen 80. Geburtstag am 17. August in einer Reha-Einrichtung verbringen musste, im Interview. Dabei konnte das waschechte Münchner Kindl die faszinierenden Möglichkeiten, die der Schauspielerberuf nur den Begabtesten bietet, an sich sehr gut nutzen. Hierzulande wird er von den meisten Medien oftmals auf sein Mitwirken in Fernsehserien wie "Der Kommissar" (1969 - 1974), "Derrick" (1974 - 1998) und "Um Himmels Willen" (2002 - 2021) reduziert. Dabei hat der "Ausnahmekünstler und Ausnahmemensch" (Kollegin Birgit Zamulo über Fritz Wepper), der schon 1959 in Bernhard Wickis erschütterndem Antikriegs-Drama "Die Brücke" als Albert Mutz, dem einzig Überlebenden eines Trupps sinnlos verheizter Teenie-Soldaten die Zuschauer zu Tränen rührte und 1964 das "Filmband in Gold als bester Nachwuchsschauspieler" für "Kennwort: Reiher" ergatterte, sogar in zahlreichen internationalen Kinoproduktionen Akzente gesetzt: Etwa in Stuart Rosenbergs "Frage Sieben" (1961), der das Thema Glaubensfreiheit contra "Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit" in der DDR aufgriff, war er als fanatischer Jugendführer Dehmert zu sehen. In Bob Fosses in München und West-Berlin gedrehtem, Oscar-prämierten Hollywood-Musical "Cabaret" (1972) verliebte er sich in einer tragikomischen Rolle als Gigolo Fritz Wendel (sic!) allen Gefahren zum Trotz in die von Marisa Berenson verkörperte Jüdin Natalia Landauer. Er spielte dabei Weltstars wie Liza Minelli und Michael York glatt an die Wand. Die nahmen es ihm nicht krumm - vor allem mit der Sally Bowles von einst verbindet dem immer noch jugendlich wirkenden "alten Fritz" bis heute eine innige Freundschaft. Und in der in Schwarzweiß gedrehten Dystopie "Der letzte Kampf" überzeugte er als "Herrscher des Autofriedhofs" an der Seite von Jean "Leon, der Profi" Reno.
 Fritz Wepper, der 1967 unter der Regie des österreichischen Enfant terribles Rolf Olsen im ersten deutschen Doku-Reißer in Farbe, "Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn", als deutsche Antwort auf James Dean vor allem in den fulminanten Auseinandersetzungen mit seinem Filmvater Herbert Tiede brillierte, ist weit mehr als "Harry, hol schon mal den Wagen!". "Das ist längst ein geflügeltes Wort, obwohl es weder in ,Der Kommissar' noch bei ,Derrick' jemals so gefallen ist!", wirft Fritz Wepper lachend ein.

Größere Ansicht anzeigenFritz Wepper & Felix Hairapetian Superstars beim Krimifestval München. Links Marc Hairapetian, rechts Schauspielerkollegin Michaela May (2016, Foto: PR/Crime + Investigation/Getty/Koch)

Dennoch hat der nur 174 cm große Rotschopf ("Inzwischen sind's wohl noch ein paar Zentimeter weniger!") zuerst den Kriminalhauptmeister Harry Klein in 66 Folgen und später den Inspektor gleichen Namens in 281 Folgen gern gemimt. Erik Ode sei für ihn ein "väterlicher Freund" gewesen, Horst Tappert, dessen Vergangenheit bei der SS-Panzergrenadier-Division "Totenkopf" postum publik wurde, ein "freundschaftlicher Kollege". Dass das ZDF fortan sämtliche "Derrick"-Folgen wegen dessen Nazi-Zeit in den Giftschrank verbannt hat, findet er "fadenscheinig", denn "wenn man ehrlich ist, kann doch keiner, der jetzt über Horst die Nase rümpft, sagen, wie er sich selbst in einer Diktatur verhalten hätte."
 Werte wie Loyalität und Bodenständigkeit sind dem lebenslustigen Akteur, der die Feste gerne feiert, wie sie kommen, wichtig. Seinen Vater, der Anfang 1945 in Polen als vermisst gemeldet wurde, kennt er nur noch aus den Erzählungen der 2009 verstorbenen Mutter. Vielleicht ist er auch deshalb selbst ein Familienmensch geworden. Seine erste Tochter Sophie aus der Ehe mit der 2019 verstorbenen Angela von Morgen eifert ihm als Schauspielerin nach, die zehnjährige Filippa Valentina hegt diese Ambitionen noch nicht. Als seinem knapp drei Jahre jüngeren Bruder Elmar 2008 der Deutsche Filmpreis als "Bester Hauptdarsteller" für "Kirschblüten - Hanami" verliehen wurde, weinte Fritz. Es war auch das Jahr indem er Abschied von Horst Tappert nehmen musste, mit dem er sich "immer über alles" unterhalten hätte können.

Größere Ansicht anzeigenFritz Wepper & Bruder Elmar Wepper (Archiv Marc Hairapetian / https://spirit-fanzine.de)

 Es darf an dieser Stelle gestattet sein, zu schreiben, dass ich mich mit Fritz Wepper auch über "alles", also nicht nur über seine Karriere, sondern im Wortsinn also über "Gott und die Welt" unterhalten kann. Seit elf Jahren sind wir miteinander bekannt. Wir lernten uns am 15. September 2010 bei Deutschlands größtem Publikumspreis "Goldenen Henne" im Berliner Friedrichstadtpalast kennen, wo er zusammen mit Janina Hartwig für die am 15. Juni diesen Jahres leider eingestellte Serie "Um Himmels Willen" ausgezeichnet wurde. Noch auf der Bühne sprach ich ihn eben nicht auf seine Rolle des Antagonisten Wolfgang Wöller, seines Zeichens Oberbürgermeister der fiktiven niederbayerischen Mittelstadt Kaltenthal, der das Kloster von Schwester Hanna und ihren Nonnen nach eigenen Plänen umfunktionieren will, an, sondern auf sein Mitwirken in vier Filmen vom Meister des Exploitation-Kinos und Quentin-Tarantino-Vorläufers Rolf Olsen (Geburtsname Rudolf Knoblich, geboren am 26. Dezember 1919 in Wien, verstorben am 3. April 1998 in Starnberg): "Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn" (1967), "Der Arzt von St. Pauli" (1968), "Das Go-Go-Girl vom Blow-Up" (aka "Ich betone - oben ohne", 1969) und "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" (1969). Eigentlich sind es sogar fünf, da Rolf Olsen auch das Drehbuch zu Franz Antels Hundefilm "Sie nannten ihn Krambambuli" schrieb: "Da stand ich als langmähniger Schurke, der Michael Schanze zum Autodiebstahl anstiftet, mal auf der anderen Seite des Gesetzes. Genau wie in ,Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn', wo ich am Ende allerdings aus der Bande der Söhne reicher Eltern, die hübsche Mädchen mit Alkohol und Drogen gefügig machen, um sie dann zur Prostitution zu zwingen. eine Katharsis durchmache", sprudelte es im Friedrichstadtpalast aus Fritz Wepper hervor.

Größere Ansicht anzeigenFritz Wepper als Till Schippmann und Diana Körner als Karin Lauritz in Rolf Olsens "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" (1969, Archiv Marc Hairapetian / https://spirit-fanzine.de)

Wie war die Zusammenarbeit mit dem für seine Jähzorn-Ausbrüche gefürchteten österreichischen Regisseur, der das oftmals biedere deutschsprachige Nachkriegskino mit einer Frischzellenkur aus Sex und Action versorgte? "Zu mir war Rolf immer sehr nett. Nur, wenn die Technik versagte oder man seinen Text nicht konnte, wurde er ungemütlich. Er packte ja immer heiße Eisen an. So entlarvte er das Spießertum der sogenannten ,feinen Gesellschaft', die es hinter den Kulissen umso doller trieb. Später drehte er mit ,Blutiger Freitag' auch einen der ersten sehr brutalen Terrorismus-Thriller und sorgte mit der Dokumentation ,Shocking Asia - Sünde, Sex und Sukiyaki" für Furore. Während ,Das Go-Go-Girl vom Blow-Up` bei aller Freizügigkeit eher ein harmloser Filmspaß war, ging es bei ,Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn' ganz schön ans Eingemachte. Wir filmten bis auf wenige Studio-Aufnahmen alles "on location" und hatten als erstes ,seriöses' Filmteam die Dreh-Erlaubnis für die berüchtigten Herbertstraße. Ich kann mich noch erinnern, dass es, während wir unsere Geschichte herunterkurbelten, nur wenige Meter weiter zu echten Schlägereien zwischen Zuhältern und Freiern, die den Damen des leichten Gewerbes angeblich zu wenig gezahlt hatten, kam. Da zog ich automatisch den Kopf ein. Wenig später musste ich Feuer-Hotte, dem Anführer meiner Gang, in Gestalt des armen Jürgen Draeger, der nachdem mein Mädchen unter mysteriösen Umstanden zu Tode kam, sich mit zwei anderen Schönheiten im Bett vergnügte, eine - natürlich - präparierte Flasche über den Schädel ziehen.

Größere Ansicht anzeigenPlakat "Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn" (1967, Archiv Marc Hairapetian / https://spirit-fanzine.de)

Viel Spaß haben auch die nicht ganz ungefährlichen Szenen gemacht, in der wir den gegen uns ermittelnden Journalisten Danny Sonntag, sehr forciert gespielt von Erik Schumann, mit Harpunen beschießen, worauf er uns mit Leuchtmunition bewirft. Ich habe den Part des aus purer Langeweile LSD-herstellenden Oberschicht-Bengel Till Voss, der am Ende aus der Bande aussteigt, eigentlich deshalb angenommen, weil ich die Stadt Hamburg mit ihrem einzigartigen Flair aus Hafenluft, Kaufmannshäusern, Villen und Amüsierbetrieb so liebe. Ich weiß noch, dass ich aus München zu den Dreharbeiten mit meinem gerade erstandenen Porsche gefahren bin. Das war damals eine tolle, sehr freie Zeit!"
 Aus dieser geradezu schwärmerischen Unterredung über die Swinging Sxties sind weitere Treffen und Gespräche entstanden. Ein im Juli 2016 aufgezeichnetes Telefon-Interview im Vorfeld seines 75. Geburtstags, indem wir über seiner mittlerweile 65jährigen Laufbahn vom ersten Kinofilm "Der dunkle Stern" (1955) über das Schicksal eines damals als "Mischlingskind" bezeichneten kleinen Mädchens (Elfriede "Toxi" Fiegert) bis zu seiner Verkörperung des Serienmörders Joachim Stein für die Pay-TV-Reihe "Protokolle des Bösen" in der Folge "Fritz Wepper spielt die Bestie" diskutierten, bezeichnete er als "das beste Interview, was ich je geben durfte". Die Blumen kann ich dankend an den kleinen großen Akteur zurückgeben, der sich drei Stunden Zeit dafür nahm. Knapp zwei Monate später (es war wieder ein 15. September!) feierten wir im Rahmen des Kriminalfestivals München zusammen beim Preview Screening von A+E Networks Germany und dem damaligen Sender A&E, der inzwischen in Crime + Investigation umbenannt wurde, zusammen, wobei er nicht nur vor der versammelten Presse- und Fotografen-Schar meinen Sibirischen-Wolfhund-Husky-Mischling Felix herzte.
 Denn auch wenn Fritz Wepper der Ruf eines "Lebemannes" und "ewigen Stenz", der 1968/69 eine Liaison mit Iris Berben hatte, die er bei den Dreharbeiten zum Edgar-Wallace-Krimi "Der Mann mit dem Glasauge" kennenlernte, bis heute anhaftet, ist er ein äußerst feinfühliger Mensch: "Das Bild vom ertrunkenen syrischen Flüchtlingskind bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf", offenbart er mir in einer ruhigen Minute.

Größere Ansicht anzeigenJürgen Draeger als Feuer-Hotte in Rolf Olsen "Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn", 1967, Archiv Marc Hairapetian / https://spirit-fanzine.de)

Der Kinder- und Hundefreund ist sozial engagiert, hängt dies aber nicht an die große Glocke. Zum 75. Geburtstag erfüllte er sich einen schauspielerischen Traum: Als Joachim Stein, der von dem realen Kriminalisten und Ermittler Stephan Harbor vernommen wird, gab er - nach einem wahren Fall - eine Bestie in Menschengestalt. Für ihn "die größte schauspielerische Herausforderung meiner gesamten Karriere". Zum 80. Geburtstag wiederholt der Sender nun das Bravourstück. Die gesamte True-Crime-Reihe "Protokolle des Bösen" ist bei Crime + Investigation Play, dem On-Demand-Channel bei Amazon und Apple, auf Abruf verfügbar und wirklich absolut sehenswert. Und noch ein ganz aktuelles Geschenk zum Ehrentag wurde ihm gemacht: Seine Ex-Lebensgefährtin, Regisseurin und Kamerafrau Susanne Kellermann, hat mit "Mein Fritz" eine sehr persönliche, auch seinem kürzlich verstorbenen Jagdhund Aaron gewidmete Doku gedreht, die am 16. August im BR erstmals ausgestrahlt wurde: Sie zeigt Fritz Wepper mit seinem Bruder Elmar beim Kasperle-Spielen mit den Original-Handpuppen ihrer Kindheit, sehr zur Freude seiner Tochter Filippa,. oder bei der Fütterung des inzwischen ausgewachsenen Zirkus-Löwen Elvis, den er schon als Baby auf seinem Schoß wiegte. Fritz Wepper, der Raubtierflüsterer, spricht in dem berührenden Porträt auch über Zen-Buddhismus. Mir hat er schon vor Jahren über die Kraft, die er aus der Meditation schöpft, erzählt und dass er eines Tages in seinem Kimono beerdigt werden möchte. Fritz Wepper, der sich selbst "nicht als Star, sondern Schauspieler" sieht, ist also ein Mann mit vielen Gesichtern und Facetten. Er muss wirklich keiner verpassten Chance nachtrauern.



Größere Ansicht anzeigen"Fritz Wepper spielt Die Bestie", Folge aus der Reihe "Protokolle des Bösen" (2016, Foto: PR/Crime + Investigation/Getty/Koch)

Marc Hairapetian am 20. August 2021 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.com / www.spirit-fanzine.de

 Epilog: Wie erst jetzt der Öffentlichkeit bekannt wurde ist Fritz Weppers Mitspieler aus "Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn", das einstige Teenager-Idol Jürgen Draeger, bereits am 4. Dezember 2021 im Alter von 80 Jahren verstorben. Der Verfasser dieser Zeilen besuchte den einstigen "Bravo"-Cover-Boy und späteren Maler von internationalem Rang im Jahr 2012 in seinem Loft in Berlin-Mitte zum Interview. Dort äußerte sich "Feuer-Hotte" über die Zusammenarbeit mit "Till Voss" alias Fritz Wepper ebenfalls begeistert.

Spirit-News: 80! Bon Vivant, Buddhist and Predator Whisperer Happy birthday, FRITZ WEPPER!





Ausschnitt aus Rolf Olsen Meisterwerk "Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn" (1967) mit Fritz Wepper, Marianne Hoffmann, Herbert Tiede und Friedrich Schütter. Den genialen Walzer kompo-nierte Erwin Halletz: