Brandauer 2002

Mit Brandauer durch die Galaxis

Magische Momente mit Klaus Maria Brandauer. Eines der raren Interviews mit dem großen Menschendarsteller.



Von Marc Hairapetian

Brandauer meets the Spirit (Foto: Sternberg)

Klaus Maria Brandauer (liebkost zu Beginn der Begegnung Hokis, den Husky-Labrador-Mischling des Interviewers, mit den Worten): Du bist ein so Schöner! Ein schöner Prinz!
Marc Hairapetian: Sie mögen Hunde wohl sehr? Victor Hugo sagte einmal: „Der Hund ist die Tugend, die sich nicht zum Menschen machen konnte.“
Brandauer: Das ist etwas Wahres dran. Mein erster Hund hat in seinem Dasein von 13 Jahren nichts gelernt, oder besser gesagt, er war so schlau, dass er nichts lernen wollte. Er schaute, wenn man ihm etwas zuwarf, in die andere Richtung. Er hieß Figaro, weil ich damals den Figaro im „Tollen Tag“ bei den Salzburger Festspielen verkörpert hatte. Aber der ganze Ort rief meinen Hund „Fidelio“. Er war ein großer Angsthase. Er drehte sich immer um, wenn die Kühe auf die Weide rauskamen, als wenn er sich denken würde: „Wenn ich sie nicht sehe, sehen sie mich auch nicht.“ Figaro folgte meiner Frau und mir, ohne dass er je abgerichtet wurde. Unser Figaro war überall dabei: Er war in Nairobi und New York. Und so benahm er sich auch ein bißchen, nachdem er schon einige große Flüge mitgemacht hatte. Als er tot war, hatten wir zwei Jahre keinen neuen Hund. Dann kam ein kleiner Bastard, indem ein Schäferhund steckte, und den nannten wir dann Daniel von Düsentrieb, weil er so blitzgescheit war.Er verstarb letztes Jahr siebzehnjährig an Altersschwäche. Jetzt haben wir keinen, aber wenn sich die Gelegenheit bietet... geht man nicht irgendwo hin und besorgt sich einen neuen Hund, sondern das muss sich irgendwie anders ergeben: Der Hund muss quasi zum Menschen kommen.
Hairapetian: Um auf den Menschen zu kommen: Sie engagieren sich immer wieder für wohltätige Zwecke, ohne es gross in den Medien kundzutun. Mit dem von Ihnen betreuten Karin-Brandauer-Fonds der Universität Tel Aviv gehen sie allerdings bewusst in die Öffentlichkeit. Wie lange sind sie schon der Stiftung verbunden?
Brandauer: Zehn Jahre. Der Karin Brandauer-Fonds kam über Dr. Kranz, dem Repräsentanten der Universität Tel Aviv zustande. Nach dem Tod meiner Frau schlug er einen Lehrstuhl für Gastprofessoren innerhalb der Fakultät der Bildenden Künste an der Uni Tel Aviv vor. Den haben wir 1995 begründet und schauen nun, dass es ein finanziell gut ausgestatteter Lehrstuhl wird, wo international bekannte Regisseure und Schauspieler in den Abteilungen Film, Fernsehen und Theater Vorlesungen halten, Seminare und Workshops durchführen. Einige meiner Freunde wie Walter Schmidinger oder Mario Adorf sind mit von der Partie.
Hairapetian: Sie sind ein großer Freund des israelischen Volkes. Wie sehen Sie die derzeitige Israel-Debatte in der FDP und die Zukunft im Konflikt zwischen Juden und Palästinensern?
Brandauer: Seit ich lebe gibt es diesen Konflikt, gibt es diese Infragestellungen Israels. Deswegen wurde der Staat ja nicht gegründet, dass man ihn in Frage stellt. Es ist eine traurige Entwicklung. Die Leute, die dort leben, sowohl die Israelis als auch die Palästinenser sind dazu aufgerufen, darüber zu sprechen. Wir hingegen haben immer irgendwelche Meinungen weit hinweg vom Brennpunkt des Geschehens und verknüpfen das immer mit vergangenen Dingen. Darum geht es aber nicht. Es geht vielmehr darum, dass wir die Möglichkeit unterstützen, dass dort eine Art Koexistenz funktioniert. Den finanziellen Vorstoß der EU finde ich richtig. Geld heiligt zwar nicht alles, aber Geld bedeutet, dass man den Leuten, die dort nicht gut leben Möglichkeiten gibt, z.B. eine Wohnung zu haben. Ich meine jetzt vor allem die Palästinenser, denn wenn man gar nichts hat, hat man immer eine Bereitschaft, um etwas zu kämpfen oder verführt zu werden durch irgendwelche falschen politischen Ziele. Wer eine Perspektive der Zukunft hat, wird sich das mit der Gewalt überlegen. Denn zunächst findet Leben nicht in großen politischen Zusammenhängen statt, sondern in einer kleinen Zelle. Wenn man genug zu Essen hat, eine Freundin oder einen Freund hat, kann man sich in größeren gesellschaftlichen Einbindungen melden, wenn man etwas zu sagen hat. Das ist dort für viele Menschen nicht gegeben. Da muss man ein Augenmerk darauf haben, und ansonsten bin ich nicht dazu berufen als jemand der in Israel sehr liebe Freunde hat und seit über 25 Jahren das Land bereist, schnelle Statements abzugeben. Ich fühle mich Israel nicht nur verbunden, weil ich das Gefühl habe, dadurch der Bibel sehr nahe zu sein, sondern mag auch die heutigen Leute sehr. Ich kenne durch meine Israel-Aufenthalte viele arabische Israelis und die sind - mag es ein Zufall sein - alle für eine friedliche Koexistenz. Das muss doch machbar sein! Das es sehr schwer ist, weiß ich von meiner Gemeinde Altaussee, wo ich geboren bin und wohne, und der vier Kilometer entfernten Gemeinde Grundlsee. Diese zwei Ortschaften sind sich auch nicht immer grün. Ich weiß, dass das ein etwas banaler Vergleich ist, aber wir müssen uns einfach überwinden. Und wenn ich wir sage, sind wir zunächst nicht aufgerufen, sondern wir müssen das irgendwie sehr besonnen, aber liebevoll begleiten. Es ist einfach, tausende von Kilometern entfernt zu sein und von da aus gutgemeinte Ratschläge und Richtersprüche abzugeben. Da würde ich mich sehr davor hüten.
Hairapetian: Haben Sie eigentlich Sharon kennengelernt?
Brandauer: Nein, Sharon kenne ich nicht. Ich habe Shimon Peres vor vielen Jahren kennengelernt. Ein Architekt, wenn nicht der Architekt der möglichen Verständigungen zwischen den beiden Lagern. Manchmal, wenn ich ihn jetzt im fortgeschrittenen Alter im Fernsehen sehe, entdecke ich eine gewisse Traurigkeit von jemand, der sein Lebenswerk am Scheitern sieht. Aber ich finde es schön, dass er nicht aufgibt. „Peace Now“, die vor fünf, sechs Jahren in den israelischen Universitäten ins Leben gerufene studentische Friedensbewegung, war eine sehr kraftvolle Strömung. Aber es ist verständlich, dass wenn man im Cafehaus sitzt, eine Bombe hochgeht und jemand von der eigenen Familie dabei stirbt, man nicht mehr gerade freundschaftlich gesinnt ist.. Man macht den Fehler, den wir alle auf der Welt machen. Wir verurteilen im einzelnen die ganze ethnische Gruppe, und damit ist es überhaupt nicht getan, Frieden zu schaffen. Mich macht das alles sehr traurig. Bei dem, was da unten geschieht, will ich niemanden Schuld zuweisen, außer vielleicht und das ist an sich keine Schuldzuweisung, sondern eine kritische Anmerkung: Ich glaube, dass diese Krise sehr weit geht. Der Einfluß kommt auch von außen, und die großen Staaten, die sich als Garant der Sicherheit da drüben aufspielen, haben manchmal Regierungen oder einzelne Köpfe, die sich nicht besonnen genug dieser Krise gegenüber verhalten.
Hairapetian:Würde Sie ein Film über diese Thematik reizen?
Brandauer: Natürlich. Ich denke allerdings, auch eine andere traurige Geschichte wäre verfilmenswert: Der türkische Völkermord an den Armeniern. Wenn man die Rechte zu Franz Werfels „40 Tagen des Musa Dagh“ zu einem einigermaßen erschwinglichen Preis ergattern könnte, wäre das die Möglichkeit einen wunderbareren, aufwendigern, riesigen Film zu machen!
Hairapetian: Der deutsche Produzent Ottokar Runze hat sich die Rechte an Werfels Roman gesichert und versucht seit zehn Jahren, eine internationale Koproduktion auf die Beine zu stellen.
Brandauer: Gut zu wissen.
Hairapetian: Was halten Sie von der Medienberichterstattung im israelisch-palästinensischen Konflikt hierzulande?
Brandauer: Ich fühle mich sehr manipuliert und manchmal sogar von denen, die die Fernsehsendungen machen. Sie tun es meist unabsichtlich, weil sie Land und Leute nicht kennen und einfach die Kamera draufhalten. Ich möchte jetzt nicht so einfach werden und sagen, wir sollen in die Kirchen, Moscheen oder Synagogen gehen und beten, aber das hilft mehr als rein emotionsgeladene Ratschläge. Es ist sehr kompliziert. Seit ich lebe, höre ich von Irland, und ich habe die Problematik als junger Mensch nicht ganz verstanden, und verstehe es auch heute nicht. Wir haben auf der ganzen Welt Brennpunkte, die sich über Jahrzehnte hinschleppen und man weiß nicht ganz genau, worum es eigentlich geht. In einer Welt, die auf vielen Gebieten so zusammengerückt ist, versteht man es erst recht nicht. Aber schlimm ist natürlich die Spirale der Gewalt, die manchmal auf Jahrzehnte ein vernünftiges Zusammenleben unmöglich macht.
Eines muss, möchte ich doch noch dazu sagen. Ich weiß nicht, ob zwei Militärs und Kämpfer „für die Sache“ wie Arafat und Sharon zum jetztigen Zeitpunkt die Richtigen sind, um diesen Konflikt zu lösen. Ich glaube die Sache müßte sich verjüngen. Es gibt sicherlich unter den Arabern und Israelis genug Leute um die 40, die einen anderen Blick darauf haben. Es wäre fein, wenn die beiden Herren sich entschließen könnten, sich freiwillig zurückzuziehen..
Hairapetian: Manchmal bleibt alten Männern nur noch Macht.
Brandauer: Ich weiß nicht, ob das eine große Macht ist, wenn man Hausarrest hat und die einzige Möglichkeit darin besteht, sich über internationale Fernsehstationen bemerkbar zu machen. Diese Konflkte werden natürlich sehr in den Medien ausgetragen, und dadurch mobilisiert man erst das Thema. Wenn niemand darüber berichten würde, würden die da wie in einem Vakuum weiterbrodeln. Eigentlich wird fast jeder Schritt von beiden so gemacht, dass man öffentlich dabei ist. Und damit die Meinung der „Welt“ beeinflußt. Dank dieser Beeinflussungen gibt es einfach zu viele Tote.
Hairapetian: Sind sie religiös?
Brandauer: Ich bin in der katholischen Tradition in der Steiermark aufgewachsen. Wir hatten damals ganz gute Pfarrer, die in der Kirche das Sagen hatten. Ich war auch Ministrant und bin sehr gerne in die Kirche gegangen, was nicht nur in meiner Affinität zur Kleidung der Priester begründet lag, sondern auch in den Besinnungsstunden, die man einfach hat, wenn man sich mit solchen Sachen beschäftigt wie: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? Und das hat mich auch Zeit meines Lebens - bis heute - nicht losgelassen. Denn ich glaube, dass meine Arbeit, Leute zu unterhalten, einen Sinn über das Handwerk hinaus hat. Das ist wahrscheinlich aus meiner christlichen Tradition heraus entstanden, und diese Werte entdecke ich ja nicht nur im Katholizismus oder bei den Protestanten, sondern die finde ich auch bei den Moslems, Juden oder allen anderen Religionen. Ich möchte immer auf der Seite der Minorität stehen, und das tue ich auch, weil die Majorität hat sowieso die Mehrheit. D.h. also, alle, denen es nicht so gut geht, alle die in der Minderheit sind, sind zu beschützen und die brauchen eine Stimme. Und die Kunst und die künstlerische Arbeit muss die erste und wichtigste Stimme von all diesen Menschen auf der ganzen Welt sein. Es spielt dabei keine wesentliche Rolle, ob sie Hamlet inszenieren und spielen oder ein Stück über Albert Speer schreiben oder einen Film über Rembrandt machen. Das ist die Basis. Unter dieser Prämisse sollten wir antreten. Und das vergesse ich auch nicht.
Hairapetian:„Die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze“. Bleibt etwas für die Ewigkeit?
Brandauer: Ich glaube, wenn ich nicht mehr bin, werde ich mich wahrscheinlich mit dieser Welt, auf der ich nun bald sechzig Jahre gelebt habe, nicht mehr beschäftigen. Ob ich es überhaupt kann, ist die andere Frage. Schön wäre es, wenn wir ein Bewußtsein hätten zudem, was wir hier erlebt haben, aber diese Fragen werden wir uns heute nicht beantworten können, obwohl es schön ist, manchmal darüber nachzudenken. Allgemein kann man nicht darüber reden, nicht mal wir zwei, obwohl wir uns schon seit einiger Zeit kennen. Im Grund genommen ist es eigentlich ein Selbstgespräch, denn wenn man sehr in sich hinein hört, tun sich Türen, Bezirke, ja Welten auf , wenn man sich mit sich als einem Wesen beschäftigt, das möglicher Weise mit dem hiesigen Tod nicht zuende existiert hat.
Hairapetian:Albert Camus meinte: „Mich interessiert ein Jenseits nur, wenn ich mich an das Diesseits erinnern kann.“
Brandauer: Das ist der große Wunsch. Ich kann mich z.B. beim Aufwachen auch nicht mehr an meine Träume erinnern. Früher schon, da bin ich immer meilenweit geflogen. Nun schlafe ich ungern lange, weil ich lieber in der Wirklichkeit unterwegs bin, um mit anderen zu reden und ihnen auch zuzuhören. Solange wir am Reden sind, schlagen wir uns nicht die Köpfe ein.
Hairapetian: Was bedeutet Ihnen Ruhm?
Brandauer: Das mit dem Ruhm ist eine einfach zu beantwortende Sache, jedenfalls von meiner Seite aus. Seit ich denken kann, wollte ich Geschichten erzählen, meine oder die von anderen Leuten aufgeschrieben wurden. Es war mir in meiner Anfangszeit am Theater gar nicht klar, dass es dort eine gewisse Hierarchie gibt. Ich habe Rollen in Tübingen oder Salzburg an kleineren Theatern gespielt, und ein anderer hat sie halt in Berlin gespielt. Dass das ein Unterschied von der Karriere her ist, habe ich erst viel später bemerkt. Damals war ich froh, dass ich das, was ich mir erträumt hatte tatsächlich auch machen konnte. Und natürlich, da wir jetzt im 21. Jahrhundert leben, bleibt es nicht aus, dass, wenn man in der Öffentlichkeit steht, man durch seine Arbeit bekannt wird. Das wird dann sehr schnell als Karriere und Ruhm bezeichnet. Ich finde, das ist ein nettes Abfallprodukt der eigentlichen Tätigkeit, aber ich habe es nie überschätzt. Allerdings bin ich auch nicht zum Theater gegangen, um unauffällig zu bleiben. Aber der Unterschied zu anderen Leuten ist nicht zu groß, auch andere Leute wollen vorkommen.
Hairapetian: Ist Schauspielerei nicht manchmal auch eine Form von Eskapismus, das Leben in den Griff zu bekommen? Ständig muss man jemand anderen verkörpern, obwohl gerade sie immer wieder viel von ihrer ureigenen Persönlichkeit in die Rollen einbringen. Ich erinnere mich an ihren Ausspruch: Das Leben ist eine Dauerkrise. Wir bekommen es nur nicht immer mit?
Brandauer: Die Beschäftigung mit einem Text oder überhaupt mit Geschichten oder einem Plan, den man ausführen möchte, kann schon eine Flucht in eine Einsamkeit sein, die allerdings in eine Zwei- oder Mehrsamkeit münden unabhängig vom künstlerischen Standpunkt dient es dazu, mit dem was ich mache, meine eigene Lebensqualität zu verbessern, um damit die Lebensqualität der anderen zu bereichern. Das ist die Aufgabe. Als Flucht meiner eigenen Existenz, in die ich hineingeboren wurde, habe ich Schauspielerei nie empfunden. Ganz im Gegenteil: Ich achte sehr darauf, dass ich mit beiden Beinen auf dem Boden stehen bleibe, denn das, was ich mache, ist wirklich Luxus. Wir müssen das, was wir so lieben, keinesfalls überschätzen. Wir müssen halt schauen, dass wir unsere Geschichten, seien es maghrebinische Geschichten oder todtraurige, gut erzählen.
Hairapetian: Was ist das größere Glücksgefühl: Wenn man auf der Bühne steht und den Schlußapplaus für Hamlet oder Cyrano empfängt, oder wenn Ihnen das Publikum bei einer Filmpremiere zujubelt?
Brandauer: Alle Leute sagen sehr gerne, dass Theater und Film miteinander verwandt sind. Das würde ich auch sagen, aber ganz, ganz weitschichtig. Das eine hat, so nah wie es viele Menschen darstellen mit dem anderen gar nichts zu tun. Das Theater ist eine ereignishafte Unternehmung, Es ist der Versuch einer Solidarität, sich mit dem Publikum über ein Thema zu verständigen, und es dann zu besprechen. Wenn es besonders schön wird, gehört es fast in ein Reich von Mythos und Mystik. Religion spielt dabei sicher auch eine Rolle, das Zusammensein von Gleichklang entsteht. Man kann durchaus von einem kleinen Wunder sprechen. Sie können es auch Seelen- oder Herzensverwandschaft oder ein Weltgedanke nennen. Dann sind wir das, was wir eigentlich alle sein wollen: zusammen. Eine Einheit. Und sofort verlassen wir das Theater und haben in wenigen Minuten wieder die Probleme des Alltags. Ich glaube, dass ich mich als Schauspieler gar nicht verwandeln muss, sondern ich bin ich - und ich kann nur mit meinen Erfahrungswerten, mit dem, was ich gelernt habe und was mir andere erzählt haben, eventuell gepaart mit einer Vision oder Utopie an das Publikum herantreten. Und dann werde ich das, was ich aus Hamlet oder Tartuffe herausgelesen habe. Es geht darum eins zu werden mit der Figur der Dichter. Wenn einem das in Momenten gelingt, dann erlebt man in unserer Arbeit soetwas wie Glück.
Der Film ist kein Ereignis, der Film hat höchstens eine Ereignishaftigkeit während der Dreharbeiten. Vielleicht läuft jetzt irgendwo auf der Welt ein Film von mir, auf den ich durch eine Art klinischen Prozeß gar keinen Einfluß mehr habe. Dennoch gibt es auch auf der Leinwand immer wieder existentielle Urschreie, Blicke, Gesichter, Wahnwitzigkeiten, größtes Glück, schönste Liebe, entsetzlichste Erkenntnisse. Dem muss man während des Drehs nachjagen, insofern findet das Theaterhafte am Set statt. Auf der Bühne kann das Besondere jeden Tag zwischen 19 und 23 Uhr passieren.
Hairapetian: Magisches kann sich doch auch während der Proben ereignen.
Brandauer: Natürlich. Magisches kann überall passieren, auch am Stammtisch. Von Agnostikern und Atheisten werden magische Momente immer wieder in den Bereich des Zufalls verwiesen. Ich glaube, dass, wenn sehr viele Menschen etwas wollen so wie z.B. Regenmacher den Regen herbeten, so etwas auch eintreten kann. denn „es gibt mehr...“
Hairapetian:„Dinge auf Himmel und Erden“...
Brandauer: ... „als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.“ Das ist das Entscheidende, das ich diesen unbekannte Land in mir selber erlaube. Wir können unseren Alltag immer besser meistern, je mehr wir in der Lage sind uns auch auf Galaxis 14 zu treffen. Und die kann durchaus das Cafè Einstein sein.
Hairapetian: Sehen Sie sich ihre eigenen Filme gerne wiederholt selber an?.
Brandauer: Ich glaube nicht, dass ich je bei einer Premiere einen meiner eigenen Filme komplett angesehen habe. Meist wohne ich nur dem Anfang und dem Ende bei, obwohl ich dieses Verneigen schrecklich finde. Vorher war man auf einer Riesenleinwand zu sehen, und dann treten plötzlich so kleine Männlein an die Rampe. Also ich geniere mich dabei und habe das auch bei meiner letzten Premiere zu „Jedermanns Fest“ in Wien erklärt. „Mephisto“ habe ich vor zwei Jahren anläßlich einer Retro in Rom wieder für ein paar Minuten gesehen und fand, dass er noch im Jahr 2000 hielt. Meine Schwiegermutter hat mich vor kurzem angerufen und gesagt: „Du läufst im Fernsehen und zwar mit Ausschnitten aus der Kortner-Inszenierung von `Emilia Galotti`“. Und tatsächlich kommt da ein vollhaariger, blonder Junge, der mit einer Stimme spricht, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann und mit einem falschen Dampffeuer aufspielt und irgendwie geradezu schnuckelig aussieht - und das war ich! Während ich auf dem Fernsehschirm lief, betrachtete ich mich links in einem alten Spiegel wurde sehr eindringlich der Vergänglichkeit gewah. Nicht, dass es mich besonders traurig macht, ich weiß, dass ich die Falten im Gesicht mit Milliarden von Menschen gemeinsam habe. Ich meine das gar nicht eitel. Wir gehen alle auf Erden diesen Weg, obwohl man sich den eigenen Tod schwer vorstellen kann. Das andere sterben, kann man sich irgendwie vorstellen.
Andererseits bin ich sehr dafür, dass wir unsere Existenz auch in den schrecklichsten Situationen mit Humor und Gelassenheit nehmen. Im Detail des Lebens sollten wir präzise sein, das meine ich, mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Besinnungsstunden müssen immer Rückbezug zum Alltag haben, denn dort, können wir uns als das beweisen, was wir vorgeben zu sein: Menschen. Ich bedauere außerordentlich, dass ich mit einem Menschen ihren Alters normaler Weise gar nicht so sprechen kann, wie wir es jetzt tun, weil er die Voraussetzungen dafür nicht mehr hat. Das Schulsystem, dargestellt durch Eltern, Lehrer und Schüler, empfindet nämlich heutzutage etwas als Schimpfwort, was keines sein darf, nämlich ein gebildeter Bürger zu sein. Ohne gebildete Bürger gäbe es nicht unsere Errungenschaften wie Demokratie, mit denen Würde, Freiheit, Toleranz, gegenseitige Hilfe einhergeht. Ein gebildeter Bürger ist natürlich viel mehr in der Lage durch Vergleiche, durch Wissen, durch anerzogene Lust am Denken, Dinge zu denken, dass ein Zusammenleben ein Zusammenleben ist und nicht ein Sololeben. Und da nützt es gar nicht, dass man sich zurückzieht und sagt, jeder stirbt für sich allein. Es geht zunächst darum, das man das „ich“ findet und dann zum „du!“ kommt und zwar sehr schnell zum „du“ (lacht) - und schließlich zum „wir“.
Hairapetian: Herzensbildung ist Ihnen also wichtig. „Moral“ ist für Sie also auch kein abfälliges Wort.
Brandauer: Überhaupt nicht. Man kommt natürlich, wenn man solche Worte in den Mund nimmt, sehr schnell in den Verdacht ein „Gutmensch“ zu sein, was mittlerweile auch ein Schimpfwort ist wie Bildungsbürger. Vor allem durch die multimediale Berieselung werden wir angehalten, schnell zu sein. Dabei ist das schnellste, was man üben kann ohne Bereicherung und Inflation der Bilder, die wir um uns herum sehen, einen Gedanken zu durchdenken und gleichzeitig zu spüren, dass es einen Subtext gibt und vielleicht einen dritten und vierten Parallelgedanken. Und wenn man das miteinander kombiniert, hat man schon ein wunderbares Bild im eigenen Kopf. Das macht ein Riesenvergnügen, dass sie gleichzeitig an so viele Dinge denken und sich noch aussuchen können, was ist der Hauptstrang? Das lassen wir uns immer mehr abnehmen. Noch nie wurde die Welt so manipuliert wie jetzt. Chaos an Bildern! Inflation an Informationen! Ein Werbespot hat bis zu 50 Schnitten in der Minute, also muss das auch ein Spielfilm haben usw. Wir sind einfach zu schnell unterwegs. Kriterien wie Erfolg, Ruhm Geld, „Adabei“ sein wie der Wiener sagt, da wird uns vorgegaukelt, dass das der Weg ist. Ich weiß durch meine Tätigkeit als Lehrer am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, dass junge Menschen, die zu uns kommen, noch nicht mal ein Gedicht auswendig können. Bestenfalls singt der Kandidat „Hänschenklein“. Lehrer- und Elternvereinigungen sagen oft: „Sie muten meinem Sohn zu, `Die Glocke` auswendig zu lernen in 14 Tagen, der muss zum Psychiater!“ Ich bin sehr fürs Internet, ich bin für alle Computerspiele, mein zehnjähriger Enkel kann das perfekt. Aber Gott sei Dank kann er auch fast perfekt französisch und englisch. Ich habe meine grosse Not, dass ich ihm den Altausseer Dialekt beibringe als wäre es eine Fremdsprache. Das ist jetzt meine Aufgabe. Es ist nicht schlecht, sich auszukennen auf dem Globus. Viele Leute reden über das, worüber wir vorhin gesprochen haben: Palästina und Israel Und wenn man fragt, sagt mir gleich mal alle angrenzenden Länder, Städte, Erhebungen etc., stehen sie da und wissen es nicht, aber sie haben eine Meinung zu dem Ganzen. Fleiß ist wichtig.
Hairapetian: Sollte man nicht auch neugierig sein?
Brandauer: Fleißig, neugierig. Wenn man neugierig ist, muss man fleißig sein, weil sonst erfährt man ja nichts und vor allem muss man auch in der Lage sein, zu Leuten zu gehen und zu fragen: Ich habe gehört, dass sie etwas wissen, sagen Sie es mir auch. Ja, Vampirartig durchs Leben gehen! Natürlich nimmt man an, dass das was man hört und selber denkt, richtiger ist, als das, was man hört und sagt: Das habe ich noch nie gedacht. Frei nach dem Motto: Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht. Ich würde gerne all diejenigen aufsuchen und alle aufrufen, die aufzusuchen, die eventuell etwas sagen, was man gar nicht meint, was man noch nie gedacht hat und sogar ablehnt. Weil das andere ist, im eigenen Saft zu schmoren.
Hairapetian: Lesen Sie noch Kritiken über sich?
Brandauer: Ja, schon. Ich bilde mir ein, wenn ich Rezensionen lese, spüre ich immer sehr schnell, ob der, der darüber schreibt die Sache an sich gerne hat, sie für ihn existentiell oder essentiell ist, oder nicht. Ich möchte kein Kritiker sein, jahraus, jahrein mir Stücke in einer Stadt ansehen und darüber schreiben. Meine früheren väterlichen Freunde, die in Wien geschrieben haben wie Oskar Maurus Fontana, Pierre Rismondo und Friedrich Torberg haben auch Kilometer Weise Bücher geschrieben und eben nicht nur über das Theater. Torberg sagte einmal etwas sehr schönes: Schauen sie, wenn man in eine Frau verliebt ist, schreibt man Gedichte, und wenn man das Theater liebt, schreibt man Kritiken.“ Das können natürlich auch zornige Liebesbriefe gegen das Theater oder zornige Rezensionen über Brandauer sein, aber wenn ich das spüre, wenn ich so emotional und intellektuell beantwortet werde, wie ich es gemacht habe, bin ich mit allem zufrieden. Das nehme ich dann auch an. Wenn es aber nur ein weiterer Grund ist, Kulturpolitik zu machen, lehne ich es ab. Es gibt viele Leute, die Kritiken schreiben, ohne je Lehrling gewesen zu sein, ohne je das Gesellenstück gemacht zu haben, geschweige denn einen Meisterbrief zu besitzen. Schlecht ist dies meist, wenn solche Flitzepiepen jungen Schauspieler, die kaum aus den Startlöchern hervorschauen mit dem Vorschlaghammer einen drauf geben und sie für einige Zeit entmutigen.
Hairapetian: In ihrer Heimat ist jetzt der teuerste österreichische Film aller Zeiten, „Jedermanns Fest“, mit nur vier Kopien in die Kinos gekommen. Wann sehen wir Sie hierzulande in der Titelrolle?
Brandauer: Nach meinen Informationen wird er im September in Deutschland anlaufen. Ende Juni wird er bei den Internationalen Filmfestspielen in Moskau sicherlich ein großes Echo hervorrufen, ob gut oder nicht gut, werden wir ja sehen. Ich halte den Film für ein Kunstwerk, der von Fitz Lehner großartig geschrieben und inszeniert wurde. Natürlich ist das eine Arbeit, die natürlich nicht jede Minute 50 Schnitte hat. Es geht um die innere Reise eines Menschen, der sein Leben ständig verändern möchte und doch nicht in der Lage ist, es zu tun. Als er sich endlich entschließt, es doch zu tun, ist er tot. Der Schluß, dabei handelt es sich um keinen Selbstmord, sollte nicht die Erleuchtung sein. Es wäre schön, wenn wir uns schon vorher ein wenig belichten.
Ich erinnere mich noch wie Viscontis „Tod in Venedig“ anfangs aufgenommen wurde mit Zeitungsüberschriften wie „Mord an Thomas Mann“. Damals gingen wenig Zuschauer ins Kino, heute ist es ein Kultfilm. Manche großen Filmerfolge wirken fünf Jahre später enttäuschend, weil sie nur dem Zeitgeist entsprachen. Mich begeistert dagegen immer noch Abel Gances „Napoleon“, der trotz der damaligen beschränkten technischen Mittel von kaum einen heutigen Film übertroffen werden könnte..
Hairapetian: Die Hintergrundgeschichte zu „Jedermanns Fest“ ist fast abenteuerlicher als der Film selbst.
Brandauer: 1996 fingen wir an, dann wurden die Dreharbeiten abgebrochen, ganz einfach, weil der Produktion das Geld ausgegangen war. Rechtstreitigkeiten über das Urheberrecht zogen sich lange hin. Dann wurde 1999 zuende gedreht und lange geschnitten. Unter den Zwängen des europäischen Filmgeschäfts hat sich Regisseur und Drehbuchautor sehr auf die Hinterbeine gestellt und durchgefochten, dass er der alleinige Urheber ist.
Hairapetian: Der Titel ist bei Hofmannsthal entlehnt. Sie selbst traten mehrfach als „Jedermann“ in Salzburg auf.
Brandauer: Es ist eine Paraphrase, gar keine Frage. Geschichte eines erfolgreichen Modeschöpfers, dem es nicht darum geht, ob die Leute richtig angezogen sind, sondern. dem der schnelle Erfolg, das Spektakuläre, der Event wichtig ist. Das Modell-„Gesicht des Jahres“ kann er als „lieber Gott“ beeinflussen, irgendwie ist ihm aber nicht wohl dabei. Er möchte aussteigen, seinem Leben einen anderen Sinn geben.Das Ganze ist also eine Anlehnung an das sizilianische Mysterienspiel, das im zehnten, elften Jahrhundert nach England kam und das „Everyman“ wurde. In einer Zeit, wo man nirgends anders Theater spielen durfte als in den Kirche, kam es zurück zu uns. Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt haben es dann bei den Salzburger Festspielen wieder aufleben lassen. Auch in unserem Film fürchtet Jan Jedermann. Er hat auf die falsche Freunde und vor allem die falsche Freundin gesetzt, sich vom Mammon blenden lassen. Am Filmanfang hat er einen schweren Unfall, wo man nicht weiß, ist er schon tot., oder erst am Sterben. Er hat sieben Möglichkeiten zurückzukommen, versucht wirklich hart, sich zu ändern, schafft es aber nicht. Am Ende der Geschichte wird er bei einem Unfall mit seinem Ferrari in einem Ententeich geschleudert, weil er einem Hund ausweicht. Er stirbt. Sein bester Freund, der vom Berliner Fotograf Jim Rakete gespielt wird, kommt mit seiner Frau und machte wunderbare Aufnahmen vom toten Jan Jedermann. Und das „Gesicht des Jahres“ ist zum ersten Mal nicht eines seiner Models, sondern er selbst.
Vielleicht wird der Film ein Erfolg, vielleicht nicht. In der Kunst wie im Leben geht es gar nicht darum der Beste zu sein, das funktioniert nur im Sport. Wie häufig hat man gedacht, ich weiß nicht, ob ich das richtig gemacht habe und feiert plötzlich einen Riesenerfolg. Während man mit Dingen, wo man sagt, besser kann ich es im Moment nicht, einen Mißerfolg erleidet.. Erfolg soll einen freuen. Wenn man was verdient hat, bringen wir es auf die Bank. Hoffentlich verjubeln wir nicht alles im Rausch unseres Ruhmes. Schauen Sie sich die Leute in unserem Gewerbe an: Wirklich reich stirbt keiner. Meistens hören wir von den glänzendsten Karrieren, die nach ihrem Tod nur Schulden hinterlassen. Wir sind die, die ununterbrochen in der Zeitung stehen, als würden wir den Tanz um das Goldene Kalb veranstalten, dabei sind wir nur in der Paris Bar und trinken einen Whisky Soda. Und die, die wirklich das Geld haben, über die wird nie gesprochen. Über die Wirtschaftskapitäne, die Millionen und Millionen einsacken, obwohl ihre Firmen längst konkursreif sind. Und das sind dann Kavaliersdelikte. Und wir, die mit unserem eigenen Körper, mit allem was wir drin haben, das volle Geschäft jeden Abend fahren, müssen für alles herhalten - für die Klatschspalten, für die Kunstkritiken. Wir sind stets auf dem Prüfstand, haben uns das aber auch so ausgesucht.
Hairapetian: Vor Ihrer Hamlet-Inszenierung werden Sie am 13. November diesen Jahres im Burgtheater zum 80. Geburtstag von Oskar Werner einen Gedenkabend geben. Welche Erinnerung haben sie an den unvergessenen Schauspieler, mit dem sie Anfang Ihrer Karriere häufig verglichen wurden?.
Brandauer: Oskar Werner ist eine seltene Jahrhunderterscheinung am Theater, im Film und im Leben. Am Schluß bin ich ihm häufig begegnet, weil er in der Nähe meiner Wiener Wohnung lebte. Ein großer Künstler, vielleicht deshalb so unglücklich, weil er sich nicht damit abfinden konnte, dass dem Guten, dem Schönen, dem Wahren schon zu seiner Zeit sowenig Platz eingeräumt wurde. Und wo wir heute stehen wissen wir ja: In dem größten Chaos an Informationen und Bildern, dass es je auf der Welt gegeben hat. Das macht es schwer, auch wenn es pathetisch klingt, das Gute, das Schöne und das Wahre herauszufinden. Aber es lohnt sich.
Hairapetian: Gab es Pläne für eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden?
Brandauer: Nein. Das Verhältnis von jemand der Don Carlos und Hamlet spielt und einem anderen, der dann zwanzig oder dreißig Jahre später Don Carlos und Hamlet spielt, ist nicht immer ohne Schatten. So wie derjenige, der künftig diese Rollen spielen wird, ein Verhältnis zu mir haben wird, das auch nicht ohne Schatten sein wird (lacht). Trotz meiner Verehrung für Oskar Werner als Künstler und Mensch, möchte ich natürlich das gerne werden, wozu ich noch unterwegs bin: Klaus Maria Brandauer.

Das Gespräch führte Marc Hairapetian. im Mai - 2002.