Größere Ansicht anzeigenBob Balaban, Wes Anderson & Greta Gerwig at Grand Hyatt Berlin (15. Februar 2018, Foto: Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

"Der Mensch ist dem Hund oftmals ein Wolf!"

Ein Gespräch mit Kult-Regisseur Wes Anderson zu seinem neuesten Film "Isle of Dogs -Ataris Reise" (deutscher Kinostart: 1o. Mai 2018) und über den besten Freund des Menschen

Von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigenBill Murray, Greta Gerwig, Bryan Cranston, Wes Anderson, Koyu Rankin, Liev Schreiber & Jeff Goldblum at Grand Hyatt Berlin (15. Februar 2018, Foto: Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

"Isle of Dogs -Ataris Reise" erzählt die Geschichte von Atari Kobayashi, dem 12-jährigen Pflegesohn des korrupten Bürgermeisters Kobayashi des fiktiven japanischen Orts Megakaki City. Als durch einen Regierungserlass alle Hunde der Stadt auf eine riesige Mülldeponie verbannt werden, macht sich der Junge allein in einem Miniatur-Junior-Turboprop auf den Weg und fliegt nach Trash Island, um seinem ebenfalls "entsorgten" Bodyguard-Hund Spots dort wiederzufinden. Zunächst freundet er sich aber mit einem Rudel Mischlingshunde an und bricht mit ihrer Hilfe zu einer epischen Reise auf, die über das Schicksal und die Zukunft der ganzen Präfektur entscheiden wird.
Nach "Der fantastische Mr. Fox" (2009) ist dies Wes Andersons zweiter Animationsfilm. Wieder erschafft der am 1. Mai 1969 in Houston geborene Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, der mit heiter-besinnlichen Filmen wie "Die Royal Tenenbaums" (2001) oder "Grand Budapest Hotel" international für Furore sorgte, ein detailreiches, aber skurriles Universum, das seine ganz eigenen Wirklichkeiten und Gesetze entwickelt. Auch wenn menschliche Bösewichte auftreten, die die Vierbeiner brutal jagen, bleibt der Film eine Fabel. Interessanterweise verstehen wir Kinozuschauer die Hunde, während das, was die Menschen sagen, zum größten Teil übersetzt werden muss. Ataris mit dem Schwanz wedelnde Gefährten King, Duke, Rex, Boss, Chief und natürlich Spots konfrontieren uns geradezu mit philosophischen Fragen wie "Wer sind wir?" und "Und wer wollen wir sein?".

 Marc Hairapetian: "Man kann auch ohne Hund leben, aber es lohnt sich nicht.", hat der deutsche Schauspieler Heinz Rühmann einmal gesagt. Wie sind Sie darauf gekommen, einen Stop-Motion-Film über die häufig "als beste Freunde des Menschen" bezeichneten Vierbeiner zu machen?

 Wes Anderson: Genau deswegen! Sie sind einfach die besten Freunde des Menschen, lieben uns bedingungslos, ja, sogar um unserer selbst Willen, egal, ob wir reich oder arm, schön oder hässlich sind, und würden sogar ihr Leben für uns gehen, wenn wir von irgendwem bedroht werden sollten. Niemand ist loyaler als Hunde. Heinz Rühmann, den ich übrigens als jüdischen Kaufmann Julius Löwenthal in Stanley Kramers Meisterwerk "Das Narrenschiff", einem meiner absoluten Lieblingsfilme, sehr bemerkenswert fand, hätte es nicht treffender formulieren können. Mit wirklichen Hunden einen überzeugenden Film zu drehen, wäre mir allerdings zu schwierig gewesen. Das können nur ganz wenige Regisseure. Stop-Motion-Filme liebe ich seit meiner Kindheit, allen voran die Monster-Modelle eines Ray Harryhausen wie in "Sindbads siebente Reise" oder "Jason und die Argonauten". Bei mir sollten natürlich nicht die Hunde die Monster sein, sondern einige der Menschen, denn nur der Mensch ist dem Hund oft ein Wolf! Das war die Herausforderung! Auf die heute üblichen digitalen Spielereien, die mich immer mehr anöden, wollte ich herzlich gerne verzichten zugunsten des handgemachtes Filmdrehs mit Modellen.

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 Marc Hairapetian: Hat es lange gedauert, diese abenteuerliche, aber auch sehr berührende Geschichte zu entwickeln?

 Wes Anderson: Ja, mehrere Jahre! Meine Co-Drehbuchautoren Jason Schwartzman, Roman Coppola und Kunichi Nomura, der später zu uns stieß, und ich haben bereits kurz nach "Grand Budapest Hotel" angefangen, mit der Idee, eine Geschichte zu entwickeln - ja, das hört sich jetzt vielleicht nicht an wie etwas, das einen vielleicht sofort total anspricht - über Hunde, die man irgendwo im Müll sich selbst überlassen hat, Haustiere, die dann also auf einer Deponie leben müssen. Dazu kam, dass wir schon immer mal gerne etwas über und in Japan machen wollten, da wir das japanischen Kino so sehr lieben, vor allem die Filme von Akira Kurosawa. In gewisser Weise hätte die Geschichte also überall spielen können, doch was sie wirklich lebendig gemacht hat, war die Tatsache, dass wir hier ungehemmt eine Fantasie-Version von Japan erzählen konnten.

 Marc Hairapetian: Und die politischen Anspielungen und Seitenhiebe gesellten sich erst mit der Zeit dazu?

 Wes Anderson: Genau! Bei diesem Film haben wir zwar schon ziemlich am Anfang des Prozesses gesagt, dass wir die Politik dieser Stadt erfinden müssen. Wir hatten da die Figur eines machthungrigen, als Haustiere nur Katzen liebenden Bürgermeisters, bei dem irgendetwas politisch im Busch war und der alle Hunde zur Vertuschung seiner Schandtaten in die Verbannung auf die Müllhalde schickte. Das war der Anstoß. Es handelte sich bei unseren Überlegungen allerdings immer nur, wie gesagt, um ein Fantasie-Japan. Aber dann, als wir schon lange an dem Film gearbeitet hatten, war es so, dass die Welt sich plötzlich änderte, die Umweltverschmutzung nahm drastisch zu, während Tiere vor dem Gesetz nach wie vor leider als Sachen behandelt werden, und wir sagten uns: "Hey, irgendwie passt das zu diesem Moment!" Also vielleicht gab es da kleine Punkte auf den Weg, wo wir aus dem realen Leben Inspirationen bezogen, die dann Eingang in den Film fanden. Ursprünglich war es eine Geschichte, die hätte überall spielen können auf der Welt und zwar zu jeder Zeit. Die Japaner sind ja an sich sehr hundelieb und verehren Hunde geradezu als sehr soziale und treue Wesen, denken Sie an die Hachiko-Statue in Tokio, als Zeichen der Ehrerbietung für einen Hund, der noch zehn Jahre nach dem Tod seines Herrchens, eines Universitätsprofessors, diesen täglich vom Bahnhof Shibuya abholen wollte und - natürlich - leider vergeblich auf ihn wartete.

 Marc Hairapetian: Wo Sie gerade diese unglaubliche, aber doch wahre Geschichte ansprechen: Sie ist zweimal verfilmt worden. 1987 als "Hachiko Monogatari" von Seijiro Koyama in Japan und 2009 als "Hachiko - Eine wunderbare Freundschaft" von Lasse Hallström. Haben Sie eigentlich Lieblingshundefilme?

 Wes Anderson: Selbstverständlich. Beide von Ihnen genannte Verfilmungen finde ich ausgezeichnet und vor allem sehr sensibel inszeniert. Doch mein absoluter Lieblingshundefilm ist "Nankyoku Monogatari" von Koreyoshi Kurahara aus dem Jahr 1983.

 Marc Hairapetian: Auf Deutsch heißt er "Taro und Jiro in der Antarktis" und basiert auch auf einer wahren Geschichte. Ein echtes Meisterwerk, weil er aus Sicht der Hunde gestaltet ist!

 Wes Anderson: Genau! Im Februar 1958 machte sich eine Gruppe japanischer Wissenschaftler mit einem Eisbrecher auf zu einer Expedition in der Antarktis. Sie sollten dort das erste, aus elf Männern bestehende Expeditionsteam in der Basis ablösen. Wegen schlechter Wetterbedingungen konnte die zweite Gruppe jedoch nicht nahe genug an sie herankommen und drang deshalb nicht weiter vor. Die erste Gruppe musste dann mit einem Hubschrauber ausgeflogen werden. Dabei ließ man 15 Sakhalin-Huskies angekettet zurück, mit der guten Absicht, möglichst bald wieder zu ihnen zurückkehren, was wegen Treibstoffmangels jedoch nicht möglich war. Acht Hunde, die nur Futter für eine Woche hatten, konnten sich losketten. Sechs von ihnen starben im Freien. Die beiden Brüder Taro und Jiro, die im Gegensatz zu den anderen 13 Hunden in der Antarktis geboren wurden, überlebten. Im Januar 1959 reiste eine dritte Gruppe zur Basis, um die Hunde zu beerdigen, und wurde dort von den zwei überlebenden Taro und Jiro empfangen. Aus diesen wahren Ereignissen hat Seijiro Koyama einen harten, aber ungemein berührenden Film gemacht, der viel besser als das auch nicht schlechte Disney-Hollywood-Remake "Antarctica - Gefangen im Eis" von 2006 mit Paul Walker ist. Wenn die japanische Schauspielerlegende Ken Takakura am Ende zu der berühmten Musik von Vangelis, die wirklich wie Schnee klingt, Taro und Jiro in seine Arme schließt, brechen bei mir, wann immer ich mir den Film wieder ansehe, alle Dämme und ich muss hemmungslosen weinen. Der Film folgt konsequent dem Blickwinkel der Hunde. So ängstigen sie sich vor dem Naturschauspiel der Aurora australis, auf die Kameramann Akira Shiizuka monatelang gewartet hat, um sie fotografieren. "Nankyoku Monogatari" brach in Japan 1983 mit einem Einspielergebnis von fast 6 Milliarden Yen alle Kassenrekorde und übertraf damit sogar noch Steven Spielbergs "E. T. - Der Außerirdische". Bei den Japanese Academy Awards ein Jahr später erhielten die Hunde Taro und Jiro sogar den Preis in der Kategorie "Popluärste Darsteller". Das wäre sogar in Hunde liebenden Ländern wie den USA oder Deutschland, Österreich und der Schweiz undenkbar. Der Film ist überhaupt nicht sentimental, sondern voll echtem Gefühl. In einer Szene zuvor sagt Takakura einer jungen Journalistin, es wäre besser gewesen, er wäre besser selbst im Eis gestorben, als die Hunde im Stich zu lassen. Weil es ihm keine Ruhe lässt, bricht er ja später nochmal auf, um sich von ihnen angemessen zu verabschieden. Dieses Ehrgefühl ist in der japanischen Tradition sehr verankert. Aber nicht nur in der westlichen Welt kann man es im Zusammenhang mit dem Umgang mit Hunden nachempfinden. "Nankyoku Monogatari" war unser großes Vorbild bei "Isle of Dogs - Ataris Reise". Unser Titelheld lässt sich von nichts abbringen, um auf der "Isle of Dogs" Crash Island seinen Bodyguard-Hund Spots wiederzufinden. Auf der Suche nach ihm freundet er sich mit einem Rudel Mischlingshunde an, die ihm weiterhelfen. Ich bin ehrlich. Einen Film wie "Nankyoku Monogatari" hätte ich nicht inszenieren können. Deswegen habe ich mich für die Stop-Motion-Tricktechnik entschieden und aus der Not eine Tugend gemacht! (lacht)

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 Marc Hairapetian: Was sind die Vorteile der Stop-Motion-Animation und was die Nachteile?

 Wes Anderson: Es liegt auf der Hand: Stop-Motion ist natürlich eine Herangehensweise, die mit Modellen arbeitet und das ist viel charmanter, als digitale Techniken zu nutzen, die mir zu seelenlos wirken. ich bin ein haptischer Mensch; allein die Modelle anzufassen ist eine sinnliche Erfahrung. Sie müssen für jede Bewegung einzeln abfotografiert werden. Das ist manchmal ganz schön mühselig, macht aber dennoch ungeheuren Spaß. Ein Nachteil ist vielleicht die Mimik der Modelle, die manchmal etwas starr wirken kann, doch die richtige Ausleuchtung kann hier wahre Wunder bewirken! Das sind altmodische Techniken und wenn man sich für diese entschieden hat, dann macht man es eben auch mit den alten Methoden! Wir haben es in den USA und auch im Studio Babelsberg, mit dem wir ja seit Jahren gut kooperieren, versucht, es soweit zu treiben wie wir nur können. Ich glaube, es gibt nichts im gesamten Film, was auf digitaler Technik beruht. Ich versuche natürlich bei der Inszenierung, die Zuschauer zu überzeugen, dass es keine Modelle sind, aber man erkennt es doch immer sofort. Da kann man niemand hinter das Licht führen!

 Marc Hairapetian: Fälschlicher Weise wurde in manchen Kritiken zur Weltpremiere geschrieben, "Isle of Dogs - Ataris Reise" erinnerte an die Augsburger Puppenkiste. Dabei handelt es sich da um Marionettenspiel und nicht Stop-Motion. Kennen Sie die Augsburger Puppenkiste überhaupt?

 Wes Anderson: Klar, ich habe mir einiges bei YouTube angesehen, nachdem mich Freunde auf sie aufmerksam gemacht hatten. Am besten hat mir "Urmel aus dem Eis" gefallen, das spielt ja auch auf einer Insel und hat diesen unwiderstehlich Doctor-Doolittle-Touch! Einfach nur süß! Ich kenne auch die WDR-Serie "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" von 1972, wo mittels MAZ-Videoaufzeichnung und damals revolutionärer Bluescreen-Technik reale Landschaftsaufnahmen mit Stabpuppen und Marionetten kombiniert wurden. Das hat mit der Augsburger Puppenkiste allerdings nichts zu tun, richtig?

 Marc Hairapetian: Nein. Die Figuren wurden vom Stuttgarter Studio Roser sowie von Friedrich Arndt und Rudolf Fischer aus dem Ensemble des legendären Hohnsteiner Kasper gespielt. Wie sind sie auf die illustre Riege der Sprecher bei "Isle of Dogs - Ataris Reise" gekommen?

 Wes Anderson: Die meisten der Schauspieler, die ich als Sprecher ausgewählt habe, sind Leute, mit denen ich entweder schon zuvor gearbeitet habe oder die ich seit Jahren liebe. Jason, Roman und ich haben eine Liste gemacht, wer in Frage kommen würde. Und die Schauspieler stehen hier natürlich in der Pflicht: Wenn man so einen Stop-Motion-Film macht, kann man irgendwie schlecht sagen, ich bin nicht verfügbar, denn die Tonaufnahmen kann man ja jederzeit, also sogar bei ihnen zu Hause machen, zu jeder Stunde des Tages. Und deswegen erhielt ich auch keine einzige Absage. Auch nicht von Bill Murray, der als Hundefreund gleich Feuer und Flamme war und Boss, den Anführer des Inselrudels wirklich toll intoniert hat. Ich bin aber wirklich mit allen zufrieden, ob es sich nun um Liev Schreiber als Spots handelt, Jeff Goldblum als Duke, Bryan Cranston als Chief, Edward Norton als Rex und Bob Balaban als King. Auch der erst 11-jährige Koyo Rankin als Atari hat mit echter Leidenschaft, aber auch großer Professionalität gesprochen. Sogar Yoko Ono konnte ich für den Part der wissenschaftlichen Assistentin gleichen Namens gewinnen. Darauf bin ich besonders stolz.

 Marc Hairapetian: Was sind Ihre Lieblingsszenen im Film?

 Wes Anderson: Eigentlich alle, die mit Musik unterlegt sind, denn auf letzteres habe ich ja keinen direkten Einfluss mehr. Alexandre Desplat hat sich enorme Mühe gegeben und einen düsteren Score geschrieben, der vor allem traditionelle Trommeln Japans integriert.

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 Marc Hairapetian: Kann man "Isle of Dogs - Ataris Reise" als politischen Kinderfilm bezeichnen?

 Wes Anderson: Interessante Frage. Ich denke, er ist im besten Sinn ein Film für die ganze Familie jenseits des süßlichen Hollywood-Kitsches. Ein Sieg der Underdogs gegen das Establishment! Erwachsene werden diese Botschaft sicherlich ausführlicher diskutieren können, doch man sollte Kinder in ihrer Wahrnehmung nie unterschätzen!

 Marc Hairapetian: Haben Sie eigentlich selbst einen Hund?

 Wes Anderson: Natürlich. Meine Promenadenmischung Chief habe ich einfach in die Geschichte integriert. Mein Bruder Eric hat zudem einen Golden Retriever, den ich sehr liebe. Das Tolle war, als wir die Schauspieler zu den Sprachaufnahmen einluden, erzählten mir alle von ihren eigenen Hunden.
Jason Schwartzmann hat zum Beispiel eine Dogge, die meistens von seiner Mutter gehütet wird, wenn er wie jetzt mit uns in Berlin auf Reisen ist. Greta Gerwig hat wiederum keinen Hund, hätte aber gerne einen und ruft 2018 zu ihrem persönlichen "Jahr des Hundes" aus. Jeff Goldblums Hund Woody ist ein gutmütiger Pudel, der von einem bösartigen Chihuahua gejagt wurde, was zu einem Beinbruch führte. Wie steht es mit Ihnen?

 Marc Hairapetian: Ich habe natürlich auch einen Hund, einen Sibirischen Wolfshund Husky Mischling namens Felix.

 Wes Anderson: Wow, der ist bestimmt groß und schön! Ich habe wirklich bei keinem anderen Film, den ich gemacht habe, soviel von den Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe, aber auch mit denen, die mich wie Sie professionell dazu befragen, Persönliches erfahren. Hunde verbinden einen einfach. Sie sind uns treu bis in den Tod. Von welchem Menschen kann man das schon sagen?

Das Interview mit Wes Anderson führte Marc Hairapetian am 15. Februar 2018 im Grand Hyatt Berlin für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com