„Die Kamera ist mein Mädchen“

Interview mit dem britischen Schauspieler 
Terence Stamp zum 70. Geburtstag

Von Marc Hairapetian

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Am 22. Juli wird der im Londoner Stadtteil Stepney geborene Terence Stamp 70 Jahre alt. Kaum zu glauben, denn der exzentrisch-kultivierte Ausnahmedarsteller und Gelegenheitsschriftsteller ist jung geblieben: Noch mehr, was seine Ansichten und sein Temperament, als sein gewinnendes Äußeres betrifft. Marc Hairapetian traf den Superstar der Swinging Sixites („Die Verdammten der Meere“, „Der Fänger“, „Die Herrin von Thornhill“, „Teorema oder Geometrie der Liebe“) zum Gespräch im Berliner Luxus-Hotel de Rome.

Provokativ gesagt, ist trotz einer spektakulären Karriere, die Sie mit vielen renommierten Regisseuren und Schauspielern zusammenführte, Ihr bekanntester Film derjenige, in dem Sie nicht mitgewirkt haben: Stimmt es, dass Sie zuerst Oskar Werners Part des Bücher verbrennenden Feuerwehrmannes Montag im Science-fiction-Klassiker „Fahrenheit 451“ spielen sollten?

Terence Stamp: Ja, zuerst sollte er den später von Cyril Cusack verkörperten Captain Beatty spielen und ich den Montag. Doch Truffaut und ich wurden uns nicht einig. Es scheiterte schließlich auch an meiner Gagenforderung. 

Wie hat Ihnen der Film gefallen?

Stamp: Ich mochte „Fahrenheit 451“ nicht besonders, aber ich liebe Oskar Werner!
Truffaut arbeitete vorher mit ihm bei „Jules und Jim“ und da ist Oskar fantastisch. Auch in „Das Narrenschiff“. Er ist für mich der Montgomery Cilft von Deutschland, pardon Österreich. Am Ende der Dreharbeiten hat er sich auch mit Truffaut aus künstlerischen Gründen überworfen. Oskar waren die Bücherverbrennungsszenen zu geschmäcklerisch inszeniert. Und damit hatte er Recht. 

Bei Ihrem neuesten Kinofilm, der Ende Januar in die deutschen Kinos kam, verhält es sich umgekehrt: Ihre Rolle des Hitler-Widerständlers Ludwig Beck in „Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat“ sollte zuerst mit Armin Mueller-Stahl besetzt werden?

Stamp. Ja, ich nehme stark an, dass zunächst ein anderer Darsteller vorgesehen war, weil mir der Part erst zehn Tage vor Drehbeginn offeriert wurde. Vielleicht wurde jemand vorher rausgeschmissen. Ob das Mueller-Stahl war, entzieht sich meiner Kenntnis.

In der Geschichte gibt es ein Problem mit dem Suizid Becks. In Wirklichkeit versuchte er es, sich zu erschießen, es klappte aber nicht und er probierte es nochmals. Diese Szenen sind aber nicht in Brian Singers Film enthalten. Hier stirbt er mit einer Kugel, die er sich selbst in den Kopf schießt.

Stamp: Wir drehten dies so wie von Ihnen beschrieben, aber wie sie wissen haben Regisseure immer den besten Geschmack, so auch Brian Singer. Ich dachte, ich hätte es sehr gut gemacht. Ich hatte zwei Selbstmordszenen, er machte eine daraus...

Passierte so etwas häufiger in ihrer Laufbahn? Wie reagieren Sie darauf, wenn Szenen, die im Drehbuch stehen plötzlich der Szene zum Opfer fallen?

Stamp: So etwas passiert mir zum Glück nicht häufig. Als Filmschauspieler versuche ich mich, mit hoher Emotionalität für solch besondere Szenen zu motivieren. Als Singer das herausschnitt, war es für mich kein lustiges Gefühl. Ich bin wirklich im höchsten Maße angepisst – das können sie ruhig so schreiben -, wenn solche Takes nicht genommen werden. Das zeigt doch, dass der Regisseur und ich nicht auf der gleichen Wellenlänge schwingen. Wenn ich mit Fellini, Wyler oder Soderbergh arbeitete war diese Wellenlänge sofort da. Vor allem bei Soderberghs „The Limey“, indem meine Szenen von der Kamera wie in einer einzigen riesigen Einstellung eingefangen wurden. Grundsätzlich ist die Kamera mein Mädchen. Und bei Soderbergh hatte ich mein Mädchen und den Regisseur – und dann kommt schauspielerisch alles aus mir heraus. Das war das Ultimative für mich! Mit diesen jüngeren Regisseuren wie Singer verhält es sich so, dass sie mehr am Video-Monitor als vor der Kamera sitzen. Und deswegen habe ich die Vermutung, dass, sie die Szenen nicht wirklich mitbekommen oder erfühlen. So wie Wyler oder Fellini , die direkt unter der Kamera arbeiteten. 

Sind Sie ein Schauspieler, der sich nur schwer unterordnen kann? 

Stamp: Nein, die Sache ist die, dass die besten Regisseure und auch die besten Schauspieler den Film von ihrem eigenen Ego fernhalten. Fellini schrie in der Edgar -Allan-Poe-Adaption „Toby Dammit“, einen Kollegen, dem eine Szene nicht gelungen war, an: „Judas! Judas!“ Fellini denkt nicht, er sei Jesus. Er denkt der Film ist Jesus! So denke ich auch. In „Operation Walküre“ drehte ich nur einige Takes, die sehr speziell sind, und davon wurden nur die wenigsten benutzt. Die Wahrheit ist: Singer machte trotzdem einen guten Film. Und ein guter Film schmeichelt meinem Ego.

Welche Ihrer Szenen haben noch in „Operation Walküre“ gefehlt?

Stamp: Ich hatte einen wunderbaren Take, indem ich nach dem gescheiterten Putsch die uns festsetzenden strammen Nazis nach einer Pistole frage. Ich hatte die Zeile: „Ich möchte sie aus persönlichen Gründen.“ In einem zweiten Take spielte ich dies etwas ironisch. Nicht mit einem breiten Lächeln, sondern mit nur angedeuteten Humor. Singer nahm den Take aus “persönlichen“ Gründen nicht. 

In Deutschland werden Stauffenberg und seine Weggefährten heute noch als Helden verehrt. War Ihnen das beim Drehen bewusst?

Stamp: Oh ja, wir Schauspieler wussten immer, dass wir einige der wenigen aus der Anti-Hitler-Bewegung bekannten Helden spielten. Wir hatten auch die Tochter von Stauffenberg, mit der seine Frau während der Hinrichtung schwanger war, am Set, genauso wie ihren Sohn, der in einer kleinen Rolle mitmachte. Uns war klar dass die verschworene Gruppe der Hitler-Attentäter wusste, dass sie nicht gewinnen würde, aber dass sie es trotzdem machen mussten: Für zukünftige Generationen, die wissen sollten, dass nicht alle Deutschen Hitler zustimmten. In Großbritannien ist das Hitler-Attentat bekannt, doch im Lauf der Zeit verloren wir das Interesse daran. Als ich das Skript las, war es ein triftiger Anlass, mich mit dieser Thematik wieder auseinanderzusetzen. Diese Klischees von der Feindschaft zwischen Engländern und Deutschen gehören doch nun wirklich der Vergangenheit an.

In Deutschland wurde öfters bemängelt, dass amerikanische oder englische Schauspieler hochrangige deutsche Militärs jener Nazi-Ära spielten. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um? 

Stamp: Drehen wir mal den Spieß um: Wenn Bruce Willis Churchill spielen würde, wäre auch im anglo-amerikanischen Raum das Entsetzen groß. Bei Orson Welles als Churchill wäre man sehr glücklich. Das ist der Unterschied. Alec Guinnes hat Hitler mal sehr eindringlich verkörpert. Die Vorwürfe, die Tom Cruise in der Rolle des Stauffenberg betreffen, finde ich sehr ungerecht. Er ist nicht der junge Laurence Olivier, nicht der junge Marlon Brando, sondern der unglaublich kommerzielle „Mission Impossible“-Star. Doch er ist trotzdem auch ein wunderbarer Schauspieler. Niemand nahm die Sache ernster als er. Die enormen Probleme, die er mit der Produktion hatte, ließ er am Set aus und vor. Er war der Anführer unserer verschworenen Schauspieler-Truppe. Manchmal kam es mir vor als wären wir Popstars wie die Beatles, die jetzt solch einen Film auf seriöse Art drehen würden. Zehn Jahre wurde an dem Projekt gearbeitet. Ich verstehe hier einen Großteil der deutschen Medien nicht. Es ist doch ein Kompliment, dass diese Geschichte außerhalb von Deutschland filmisch erzählt wird. Ich weiß, dass es sehr gute deutsche und österreichische Filme über diese oder ähnliche Thematik wie der „Der 20. Juni“ oder „Der letzte Akt“ gibt. Doch in Korea wollen Sie lieber Tom Cruise sehen. Warum nicht auch als Stauffenberg?

Warum steht auf Ihrer Webseite „Keine ‚Star-Wars’-Autogrammanfragen bitte!“ ?

Stamp: Bei George Lucas verhält es sich in finanziellen Dingen wie mit Dagobert Duck. Es ist nicht mal erlaubt ein Foto während der Dreharbeiten zu schießen, weil er alles kontrollieren will, weil alles von ihm verkauft wird, ob es nun die kleinen Spielzeugfiguren sind oder Fotografien. Ich war in dem Film nur für zwei Drehtage und bekam kurze Zeit später Hunderte von Autogramm-Anfragen! Die Art, wie er diese Filme macht, ist nicht gerade einfach für mich. Man agiert ja in „Star Wars: Episode 1 – Die dunkle Bedrohung“ kaum mit Menschen. Alles wird am Computer nachbearbeitet – schrecklich! Ich tat es nur, wegen meiner leeren Geldbörse. George Lucas ist wie ein Kind. Filmemachen ist sein Spielzeug. „Star Wars“ ist erfolgreich und sein Ausdruck vom Filmemachen, aber es ist eben nicht meine Art von Kino. Das „Star Wars“-Universum kümmert mich herzlich wenig. Mich interessiert der wirkliche Kosmos.

Warum haben sie eigentlich eine zeitlang eine schauspielerische Auszeit in Japan genommen? 

Stamp: Fernöstliche Kultur hat mich schon immer fasziniert. Ich lebte da als noch junger Mann mit einer Geisha zusammen. Sie war wunderschön, doch es war ein kostspieliges Vergnügen mit ihr zusammen zu sein. Als mir das Geld ausging, war sie nicht mehr länger interessiert an mir... Ende jeden Monats kam in japanischer Kaligraphie eine Rechnung mit einer Endsumme in Dollar, die höher war, als Sie sich vorstellen können mehr. Doch sie war jeden Cent wert und bereitete mir eine zeitlang den Himmel auf Erden! 

Mit ihrem Kollegen Michael Caine haben Sie in den Swinging Sixties auch eine zeitlang zusammen gewohnt...

Stamp: Ich habe drei Memoiren geschrieben und im zweiten Teil beschreibe ich, wie sich die Wege von Michael und mir kreuzten. Der dritte Teil ist eine Chronik der 1960er Jahre und unserer gemeinsamen Abenteuer. Der gute Michael ist nicht erfreut, dass er soviel in den Büchern auftaucht. Er wollte nicht, dass die Leute lesen, was wir alles angestellt haben. In seiner Autobiografie hat er mich zur Strafe nur kurz erwähnt... 

Was haben Sie denn alles so angestellt, was nicht explizit in Ihren Biografien steht?

Stamp: Ach, es war eine wilde Zeit im Swinging London der 1960er Jahre. Wilde Parties mit Mädchen und so. Alles war im Aufbruch und sehr frei. Die Hüllen fielen schnell, man experimentierte mit Drogen – und wir kamen uns auch noch kreativ dabei vor... Mit dabei war Julie Christie, mit der ich zwar nicht in „Fahrenheit 451“, aber in „Die Herrin von Thornhill“ drehte. Sie war noch sexy, als sie uns Jungs unter den Tisch trank. Eine zeitlang war sie „Die Herrin von Stamp“... Allerdings kam in dieser Zeit künstlerisch auch einiges zustande. Jede Woche ein neues Meisterwerk, ob es von den Beatles, John Schlesinger oder Stanley Kubrick kam.

Sie waren einer der Topstars der filmisch sich im Wandel befindlichen 1960er Jahre. War Caine in dieser Zeit Ihr bester Freund?

Stamp: Er war einer meiner besten Freunde. Der beste war der künstlerisch sehr versierte James Woolf. Ich arbeitete leider nur einmal mit ihm zusammen. Zu Anfang meiner Karriere produzierte er 1962 Peter Glennvilles „Spiel mit dem Schicksal“. Hier durfte ich mit Größen wie Laurence Olivier und Simone Signoret agieren. Jimmy Woolf was auch der Mentor des leider viel zu früh verstorbenen Laurence Harvey, den er mir bei einem Setbesuch der „Der Weg nach oben“-Fortsetzung „Ein Platz ganz oben“ vorstellte. Mit Larry Harvey hätte ich sehr gerne gemeinsam gedreht. Der passionierte Bridge-Spieler Jimmy Woolf war für uns eine Art Guru, ein trauriges Genie, dessen Produktionen – vor allem „Der Menschen Hörigkeit“ mit Larry Harvey und Kim Novak - immer hohes Niveau hatten. Er starb 1966 – auch viel zu früh.

Sie begannen 1962 Ihre Filmkarriere mit Peter Ustinovs Verfilmung der Herman-Melville-Novelle „Billy Budd“: Welchen Stellenwert hat „Die Verdammten der Meere“ heute am Vorabend Ihres 70. Geburtstages?

Stamp: Ich bin jetzt 50 Jahre beim Film, also erlaube ich mir aus jedem Jahrzehnt einen heraus zu picken. „Die Verdammten der Meere“ war mein erster Film überhaupt. Ich kann der jungen Generation diesen Film als DVD nur ans Herz legen. Mir wurden als herzensguter und an Gerechtigkeit glaubender Jungmatrose, der in der Aufregung stottert und im Affekt seinen ihn quälenden Vorgesetzten versehentlich tötet, die Haare blond gefärbt, damit ich wie ein Friedensengel aussehen sollte. Ein Friedensengel, der zum Galgen geführt wird. Der Film veränderte mich vom absolut unbekannten, unerzogen Lausebengel zu einem bekannten, hart arbeitenden und für den Oscar-nominierten Filmschauspieler. Er trug mich auf die goldene Straße des Kinos. Ustinov war nicht nur in der Rolle des freundlichen, aber pflichtversessenen Kapitäns, der Billy Budds Todesurteil mitzuverantworten hat, genial, sondern auch als umsichtiger Regisseur. Ich kann nicht höher von ihm sprechen. Ihm habe ich fast alles zu verdanken. 

Das Gespräch führte Marc Hairapetian.

Das Schwarzweißfoto zeigt Terence Stamp und Julie Christie in „Die Herrin von Thornhill“. Das Farbfoto Stamp and THE SPIRIT (Foto: Tesche).

www.terencestamp.com