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Steve McQueen

"Irgendwann eine Komödie? Nein! Nein! Nein!"

Ben Hur in den Südstaaten: Interview mit Regisseur Steve McQueen zu seinem neuesten Film, dem diesjährigen Golden-Globe-Gewinner "12 Years a Slave"

Von Marc Hairapetian

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Steve McQueen, Jahrgang 1969, ist ein Mann wie ein Fels. Und er weiß, was er will. Dennoch wirkt der britische Künstler, Fotograf und Regisseur, der es mit nur zwei Filmen ("Hunger", 2008; "Shame", 2011) zum, mit Auszeichnungen überhäuften, Kritikerliebling gebracht hat, zu Beginn des Gesprächs mit Marc Hairapetian im Berliner Fünf-Sterne-Hotel Regent etwas unsicher. Fragen, die er nicht mag, überspringt er einfach. Doch wenn ihn gedanklich etwas verblüfft, taut er auf und tätschelt seinem Gegenüber anerkennend die Schulter. Dabei verliert McQueen auch bei der ernsten Thematik, die seinem neuesten Film "12 Years a Slave" (deutscher Kinostart: 16. Januar 2014) zugrunde liegt, nicht seinen Humor.

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Marc Hairapetian: Ein wichtiger Satz fällt gleich zu Beginn Ihres neuen Films "12 Years a Slave", den Sie Ihrem Vater gewidmet haben. Der von Chiwetel Ejiofor verkörperte Protagonist Solomon Northup, der im Jahr 1841 als freier Mann getäuscht und schließlich versklavt wird, sagt zu seinen anderen Leidgenossen bei der Schiffsüberfahrt von den Nord- in die Südstaaten: "Ich will nicht überleben. Ich will leben!" Wollten Sie damit auch eine gewisse Ignoranz von ihm zur Thematik Sklaverei zeigen, da er das Schicksal seiner afroamerikanischen Brüder lange Zeit nur vom Hörensagen kannte?

Steve McQueen: Interessante Frage. Ehrlich gesagt wollte ich mit der Szene und dem Satz zum Ausdruck bringen, dass er das Schicksal, zum Sklaven verdammt zu sein, einfach nicht akzeptieren will. Dabei kann er zum Zeitpunk der Schiffsüberfahrt von Washington, D.C. nach New Orleans nur ahnen, was ihm noch alles in der Versklavung blühen wird

Marc Hairapetian: Ihr Film schönt nichts, zeigt die ganze Grausamkeit der Sklaverei. War das Drehen von solchen Szenen, manchmal für Sie, Ihren Filmstab und die Schauspieler schwer zu ertragen?

McQueen: Nein, wir sind sehr professionell damit umgegangen. Folterszenen sind natürlich nicht einfach - und auch für die Schauspieler schwer zu spielen, ob sie nun Gegenstand der Folter sind oder zu denjenigen gehören, die sie laut Drehbuch ausüben müssen. Schon das antike Drama oder die Werke von Shakespeare sind voll von Gewaltdarstellungen. Wir wollten das alles so realistisch wie möglich nachstellen, denn das war die Realität in den Südstaaten Mitte des 19. Jahrhunderts. Entweder macht man einen Film über Sklaverei oder eben nicht. Es ist nicht nur die physische Gewalt, sondern auch die mentale Brutalität, die ich porträtieren wollte.

Marc Hairapetian: Wie sind Sie auf das autobiographische Buch "12 Years a Slave" von Solomon Northup aus dem Jahr 1853 gestoßen?

McQueen: Ich hatte schon länger vor, einen Film über einen freien Mann zu drehen, der gekidnappt und in die Sklaverei verschleppt wird. Meine Frau, die sehr belesen ist , drückte mir dann Solomons Buch in die Hand. Die Alternative zu "Onkel Toms Hütte" und zwar aus afroamerikanischer Sicht. Ich bin froh und auch etwas stolz, dass das lange Zeit vergessene Werk nun durch den Film sogar in der Top Ten der New York Times landete. Für mich hat es die gleiche literarische Qualität wie "Das Tagebuch der Anne Frank".

Größere Ansicht anzeigen Chiwetel Ejiofor und Michael Fassbender in "12 Years a Slave"


Marc Hairapetian: Der Film ist in aller Munde und wird als heißer Anwärter auf den Oscar als bester Film gehandelt. Hat Sie die weitgehend positive Reaktion überrascht?

McQueen: Es ist toll, solch positive Reaktion zu erzielen, gerade weil wir alle so hart an dem Film gearbeitet haben. Mehr überrascht als das Kritikerlob hat mich allerdings, dass wir mit ihm auch kommerziell erfolgreich sind. Das hatte ich wirklich nicht erwartet. Der Film wird sowohl in Multiplex- als auch in Arthouse-Kinos gespielt. Dass Obama den Film mögen würde, war mir eigentlich genauso klar, wie, dass ihn ein liberales weißes Publikum positiv aufnehmen würde. Weitaus wichtiger ist jedoch, dass er eine Diskussion entfacht - und sich jetzt auch diejenigen wieder mit dem Thema Sklaverei befassen, die es eigentlich längst verdrängt hatten.

Marc Hairapetian: Letztes Jahr gab es einen anderen "großen" Film über die Sklaverei: Quentin Tarantinos "Django Unchained". Kann man die beiden von der Machart so unterschiedlichen Filme inhaltlich miteinander vergleichen? Und können Sie einen Film wie "Django Unchained" überhaupt genießen, oder geht das gar nicht, weil Ihnen das Thema an sich zu ernst ist?

McQueen: Man kann die beiden Filme nicht miteinander vergleichen, auch wenn sie historisch gesehen zu einer ähnlichen Zeit spielen. Der eine ist eine Abenteuer-Komödie, der andere ein historisches Drama. Wie auch immer - wir brauchen mehr Filme, die sich mit diesem Thema beschäftigen, denn das war lange Zeit nicht der Fall, wenn man von der fantastischen Fernsehserie "Roots" von 1977 einmal absieht.

Marc Hairapetian: Was bedeutet Ihnen Michael Fassbender, der in Ihren drei letzten Filmen - "Hunger", "Shame" und jetzt in "12 Years a Slave" als sadistischer Plantagenbesitzer - Hauptrollen gespielt hat?

McQueen: Sehr viel. Er ist ein meisterhafter Schauspieler; es gibt heutzutage nicht viele wie ihn. Er inspiriert mich regelrecht. Michael ist vielseitig und fließend wie gute Musik. Doch auch Kameramann Sean Bobbitt und Cutter Joe Walker sind extrem wichtig für mich. Das ist meine Band!

Marc Hairapetian: Meinen Sie, dass diese Art von Film wirklich einen Orchester-Score braucht? Gerade am Anfang, wenn schwarze Sklaven gelyncht werden, läuft diese typische Hollywood-Streicher-Musik von Hans Zimmer. Da finde ich den schlichten Gospel, den später Solomon mit anderen Baumwollpflückern anstimmt, viel eindringlicher.

McQueen: Hier stimme ich nicht mit Ihnen überein. Also: nächste Frage bitte!

Marc Hairapetian: Sehen Sie die Sklaverei als die radikalste Form des Kapitalismus?

McQueen: Würden Sie das nicht auch tun? Seit dem alten Ägypten, wo Afrikaner andere Afrikaner verkauften, existiert diese übelste Form des Kapitalismus, lange bevor es den Begriff überhaupt gab. Von dem, was in Südamerika und Europa passiert ganz zu schweigen. Unabhängig von der Sklaverei existiert Rassismus leider bis heute. Damit erzähle ich Ihnen ja nichts Neues.

Marc Hairapetian: Sprechen wir über die technischen Aspekte Ihres Films. Benutzten Sie das Breitwand-Format, um das Epische der Geschichte besser darzustellen?

McQueen: Ja.

Marc Hairapetian: Gab es auch die Überlegung, anstatt in 35mm in 70mm zu drehen?

McQueen: Wow! Jesus! Für dieses Thema wäre 70mm einfach zu viel. Doch ich liebe als Cineast die Idee! 70mm! Ben Hur in den Südstaaten!

Marc Hairapetian: Kontrapunktisch wirkt in "12 Years a Slave" die mythische Landschaft des US-amerikanischen Südens, die vor äußerster Gewalt erfüllt förmlich erzittert.

McQueen: Geh mal in den Süden! Oft passieren die schlimmsten Dinge an den schönsten Orten. "12 Years a Slave" ist kein Horror-Film, sondern ein historisches Drama. Meinem Kameramann Sean Bobbitt habe ich angeraten, keine dunkle Linse zu verwenden, weil ich das wirkliche Leben gar nicht filtern will und kann. Ich lebe in Amsterdam. Nachdem ich dort letzte Woche meinen Sohn zur Schule brachte, setzte ich mich in mein Lieblingscafé. Aus dem Fenster heraus musste ich ansehen, wie versehentlich ein Kind auf dem Fahrrad von einem Auto überrollt wurde und zu Tode kam. Das ist die Realität des Lebens. Pervers.

Marc Hairapetian: Ihre Filme wollen nicht nur unterhalten. Sie wollen dem Zuschauer auch immer etwas auf einer sozialen Ebene mitteilen. Könnten Sie sich vorstellen, auch irgendwann mal eine Komödie zu inszenieren?

McQueen: Nein! Nein! Nein! (Hält plötzlich inne, denkt nach und sagt nach einer kurzen Pause:) Aber wer weiß?! Eine Komödie? Warum eigentlich nicht? Ich werde Sie an den Tantiemen beteiligen. (lacht)



Das Interview mit Steve McQueen führte Marc Hairapetian für SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de) am 8. Dezember 2013.