Größere Ansicht anzeigen Clemens Schick und Marc Hairapetian (Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de)

"Geschichte erzählen ist nie neutral"

"Guardians of Heritage": Interview mit Clemens Schick

Von Marc Hairapetian

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Clemens Schick, geboren am 15. Februar 1972 in Tübingen, hat als Schauspieler schon einiges erlebt: Er war u. a. an der Schaubühne Berlin, am Schauspielhaus Zürich und bei den Salzburger Festspielen tätig. Im 21. James-Bond-Film "Casino Royale" (2006) mimte er den Handlanger Kratt des genialen Bösewichts Le Chiffre (Mads Mikkelsen). Er wirkte aber auch in dem hauptsächlich über Crowdfunding finanzierten Erotikkurzfilm "Hotel Desire" (2011) mit. Für den Bezahlsender HISTORY und dessen dreiteilte Dokumentation "Guardians of Heritage - Hüter der Geschichte" hat er nun etwas ganz anders gemacht und als Interviewer in Kambodscha Überlebende des Regimes der Roten Khmer befragt. Ein Gespräch über sein Geschichtsverständnis.

Größere Ansicht anzeigenClemens Schick in Angkor Wat (Foto: PR/history/Getty/Lewin)

 Marc Hairapetian: Sie sind für die dreiteilige Dokumentation "Guardians of Heritage - Hüter der Geschichte"" nach Kambodscha gereist, wo Sie unter anderem Angkor mit seiner weltberühmten Tempelanlage besuchten, einer Stadt, die im 12. Jahrhundert bereits über eine Million Einwohner hatte im Vergleich zu London mit damaligen 40.000, aber auch auf den Spuren des von 1975 - 1978 andauernden Terrorregimes der Roten Khmer wandelten, denen 2,2 Millionen Kambodschaner zum Opfer fielen. Wie waren Ihre Eindrücke als politisch reflektierter Künstler?

 Clemens Schick: Angkor Wat zu erleben, war wunderbar. Eigentlich war mir aber bedeutsamer, in ein Land zu reisen, das sich mit einem Trauma auseinandersetzt, nämlich dem, das durch die Schreckensherrschaft von Pol Pot und seine Roten Khmer entstanden ist. Es stellten sich mir gerade als Deutscher die Fragen: Wie geht eine Nation mit der Kulturzerstörung um? Und wo knüpft auch eine Bevölkerung an, wenn sie eine Kultur wiedererstehen lassen möchte? Es war mir auch ganz wichtig, in den Gesprächen die Ebene zu suchen, wo ich sage: Ich komme aus einem Land, das eine ähnliche Geschichte hat. Ich komme nicht als ein Fremder, der ratlos vor einem Elend steht und sich fragt: Wie konnte denn so etwas passieren?

 Marc Hairapetian: Ist Ihre Haltung auch von Ihren Interviewpartnern so reflektiert worden?

 Clemens Schick: Absolut. Ich habe an den Gesprächen gemerkt, dass da eine Öffnung stattgefunden hat. Man geht also in so ein Land, trifft überlebende Opfer des Regimes und soll sie interviewen. Da erfasst mich erst einmal eine Form von Demut und Bescheidenheit. Da bin ich sehr, sehr vorsichtig, wie ich mich denen nähere und erwarte erst einmal nicht viel. Es ist noch einmal etwas anderes, wenn man auf der Theaterbühne eine alte Tänzerin und Choreographin trifft, die das überlebt hat, als einem ehemaligen Inhaftierten in seiner Zelle. Am Ende kann ich es auf einen Satz reduzieren: Ich bin immer wieder fassungslos, das Menschen dazu in der Lage waren und sind, so gewalttätig und brutal aufeinander loszugehen.

Größere Ansicht anzeigenClemens Schick und Marc Hairapetian (Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de)
 Marc Hairapetian: Pol Pot wollte in seiner Vision vom Arbeiter- und Bauernstaat den entindividualisierten Menschen schaffen. Alle sollten gleich sein in Kambodscha, dafür mussten Intellektuelle und Andersdenkende ausgemerzt werden. Was den Menschen auszeichnet ist aber doch vor allem Individualität. Haben Sie einmal den Gedanken weitergesponnen, wenn sein Plan aufgegangen wäre?

 Clemens Schick: Das habe ich noch nicht gemacht, aber wenn Sie jetzt darüber reden, könnte man denken, dass ist eine Mischung aus einem Science-Fiction- und einem Horrorfilm. Die Khmer Rouge sind soweit gegangen, dass sie die historisch gewachsene Anordnung der Reisfelder einem System aus Gitternetzlinien opferten, Märkte verboten, Kanäle und Dämme ohne technische Hilfsmittel bauen wollten sowie ans Fantastische grenzende Planziele für die Ernte vorgaben. Der Grundansatz hat schon nicht funktioniert.

 Marc Hairapetian: Sie waren fünf Tage in Kambodscha. Wollen Sie es nochmals besuchen?

 Clemens Schick: Ich möchte auf jeden Fall noch mal hin. Wir sind von Phnom Penh nach Ankor Wat geflogen. Das würde ich per Land bereisen wollen, weil mich brennend interessiert, was dazwischen ist.

 Marc Hairapetian: "Guardians of Heritage" ist die Eigenproduktion der deutschen Abteilung des US-Bezahlsenders HISTORY. Sehen Sie Unterschiede zu öffentlich-rechtlichen oder privaten Anstalten?

 Clemens Schick: Ich kann dazu nur sagen: Die Dokumentation ist in positiver Weise so vorsichtig gemacht, dass ich mich behutsam meinen Gesprächspartnern, die großes Leid durchmachen mussten, nähern konnte. Und das finde ich richtig.

 Marc Hairapetian: So gut und kritisch auch viele Hollywood-Filme beispielsweise über Vietnam, dass das Regime von Pol Pot mit seiner Invasion Ende 1978 zum Einsturz brachte, gedreht sind, bleiben sie doch immer Filme aus westlicher Sicht. Würde es Sie als Schauspieler reizen, auch einmal für einen Film aus südostasiatischen Betrachtungswinkel vor der Kamera zu stehen?

 Clemens Schick: Das wäre sehr interessant. Es ist ja nichts Neues, dass durch Theaterstücke versucht wird, Geschichte zu schreiben wie in der Diskussion darüber, ob Richard III. so ein Terrorist gewesen ist, wie er heute häufig dargestellt wird, oder einfach nur der Letzte seines Geschlechts, der die diese Linie weiterbestehen lassen wollte. Klar, wir schreiben auch mit Film Geschichte. Es wäre spannend, das aus einer anderen Perspektive zu tun. Mein Beruf ist Geschichte erzählen. Und Geschichte erzählen ist nie neutral. Neutrale Geschichte wäre zudem eine langweilige Geschichte.

 Marc Hairapetian: Oskar Werner sagte einmal: "Schauspielerei ist ein dümmlicher Beruf , wenn keine geistige Manifestation dahinter steht." Was ist Ihr Glaubensbekenntnis als Künstler?

 Clemens Schick: Ich habe mich in den letzten Jahren nochmals anders aufgestellt: Einerseits sind da meine Spielfilme und Theaterarbeit, andererseits solche Projekte wie "Guardians of Heritage - Hüter der Geschichte". oder die Reisen nach Afghanistan in den Jahren 2008 und 2011, wo ich vor deutschen Soldaten stand und ein Soloprogramm spielte. Wenn ich sage, ich engagiere mich politisch oder für Menschenrechte, fülle ich mein Leben auf mit Inhalten, der mir wichtig sind und an die ich glaube. Deswegen mache ich bei so einem dokumentarischen Besuch von Kambodscha mit, denn, "Heritage" haben wir dort, aber auch in Israel oder Auschwitz. Das ist ein Bogen, der ganz anders zurückstrahlt, wenn man aus einem Kambodscha mit der Aufarbeitung seiner Probleme zurückkehrt, in ein Europa, das gegenwärtig nur noch über Wirtschaftspolitik diskutiert. Ich könnte über meine Filme und meine Werte reden, aber diese Beschäftigung erfüllt mich auch sehr. Denn durch die Beschäftigung mit Menschenrechten wird der Horizont erweitert und durch die Horizonterweiterung bekommt man ein Bewusstsein über das große Glück, in dem wir leben und daraus können wir den Rückschluss ziehen: Es ist auch unsere Kultur zu verteidigen.

Das Interview mit Clemens Schick führte Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

"Guardians of Heritage - Hüter der Geschichte": HISTORY zeigt die drei einstündigen Teile ab dem 26. November 2017 immer sonntags um 21.50 Uhr als TV-Weltpremiere.

Trailer: Guardians of Heritage - Hüter der Geschichte | Drohnenflug Angkor Wat, Kambodscha: