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(Die Fotos stammen von der Webpräsenz sonicahmed.net)

Mähroboter und Abenteuergeist

"Wahre Liebe zur Musik": der Klarinettist Achim Rinderle im Interview

Von Anna Fortunova

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Größere Ansicht anzeigen Es gibt künstlerische Erlebnisse, die so stark sind, dass sie im Leben tiefe Spuren hinterlassen. Zu ihnen gehört die Darbietung des Klarinettisten Achim Rinderle, die schon allein dank seiner Hingabe an die Musik unvergesslich ist. Von dieser Fähigkeit, sich der eigenen Bestimmung ganz zu widmen, vom Finden des individuellen Weges und des Lebenssinns, von der positiven Sturheit, die dafür notwendig ist, ebenso wie von Kindererziehung, von Reisen und natürlich und in erster Linie von Musik sprach der faszinierende Künstler in einem Interview mit Spirit - Ein Lächeln im Sturm im Juli 2014 in Hannover.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Lieber Achim, vielen Dank, dass du Zeit für dieses Interview gefunden hast! Ich freue mich sehr auf unser Gespräch!
 Als ich dich zum ersten Mal während des Konzerts von Eurer Band A Glezele Vayn Klarinette spielen hörte, war mein Eindruck, dass du alles, was du darbietest, auch erlebst, dass es durch dich hindurch geht, dass du dich in jeden Ton vertiefst, so dass es nahezu unmöglich ist, während deines Musizierens etwas ,Leeres' zu finden. Und dann las ich das auf deiner Webseite: "Zen bedeutet für mich die totale Hingabe an den Augenblick. Das Spüren der Ruhe. Das Fortklingen der Musik in der vermeintlichen Stille. Ein Versinken in der eigenen Aufmerksamkeit. Genau das geschieht mit mir, wenn ich Musik mache...". In dem Moment dachte ich: "Aha: Das ist es"! Wie hat es angefangen? War zuerst die Meditation und dann die Musik oder umgekehrt?

Achim Rinderle: Ganz am Anfang war die Musik, aber dann habe ich irgendwann auch meditiert, noch auf der Suche, weil es mich schon immer interessiert hat. Und danach ist beides zusammengekommen, weil ich einmal einem Freund gegenüber gemeint habe, ich hätte sehr viel Lust zu meditieren und gleichzeitig auch Musik zu machen. Und dann haben wir beide improvisiert, jeder durfte nur drei Töne spielen, und es waren unglaubliche Momente. Mit ihm mache ich auch jetzt noch einmal im Jahr Musik, unser Duo heißt Fischerinde. Und da habe ich verstanden, um was es geht. Das Schöne aber ist, dass man es gar nicht verstehen muss, es reicht, wenn man einfach regelmäßig meditiert und wenn man beim Musikmachen diese Meditationskonzentration aufruft. Alles andere passiert dann von selber. Und ja, wie du sagst, es ist so, dass ich im Idealfall wirklich ein Konzert lang so spiele, obwohl ich natürlich auch immer wieder rauskomme. Und mit der Moderation, die ich mache, ist es auch schwierig.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Ich finde, diese Vertiefung in jeden Ton spüren auch die Zuhörenden. Hast du anders gespielt, bevor du mit Meditation angefangen hast?

Achim Rinderle: Ja. Mein großer Fehler damals war, glaube ich, dass ich für mein Publikum zu spielen versucht habe. Jetzt spiele ich nur für die Musik. Und der Witz ist, dass ich so viel, viel mehr an das Publikum abgeben kann. Deswegen habe ich auch meistens die Augen geschlossen. Am Anfang haben viele gemeint, dass das komisch wäre, aber das habe ich jetzt schon lange nicht mehr gehört, weil die Musik für mich wie eine Radiofrequenz ist, die Gefühle und Energie transportiert. Ich habe festgestellt, dass dafür diese Versenkung am besten funktioniert. Früher, als ich einfach wollte, dass mich alle toll finden, da hat es nicht gut geklappt.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Was bedeutet für dich, "für die Musik zu spielen"? Denkst du an irgendwelche Sujets, wenn du verschiedene Stücke darbietest?

Achim Rinderle: Nein, ich denke gar nicht. Das ist das Wichtige. Es ist kein Denken, es ist reines Fühlen. Wenn es ein schnelles Lied ist, dann fühle ich so etwas wie Tanzen in mir, dann muss ich mit dem Verstand höchstens noch ein bisschen zügeln, sonst wird es zu schnell. Bei Balladen sind es Gefühle, die man schlecht beschreiben kann. Es sind keine Bilder, ich sehe nichts, ich höre auch nichts, ich bin am Reisen. Am liebsten nenne ich diesen Zustand "Reisen durch Länder, die man sich mit dem Verstand schlecht vorstellen kann.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Zu Reisen kommen wir später zurück, jetzt möchte ich noch einmal etwas zu deiner Homepage fragen. Dort steht, dass du als Kind nicht so positive Erfahrungen mit deinen Musiklehrern hattest, aber "nie die wahre Liebe zur Musik verloren" hast. Was ist diese "wahre Liebe zur Musik" und warum verliert man sie trotz allem, was passiert, nicht?

Achim Rinderle: Ich habe immer, soweit ich mich erinnern kann, wahnsinnig gern Musik gehört. Und ich habe auch immer gern Musik gemacht. Ich hatte als Kind keinen guten Klarinettenunterricht - und ich habe damals zwar die Lust auf die Klarinette verloren und auf Unterricht, aber ich habe dann selber immer weiter gemacht.
 Diese "wahre Liebe zur Musik" ist ein Antrieb, durch den man sich damit verbunden fühlt. Es ist genau so, wenn du einen Menschen wirklich liebst, dann kann er etwas Schlechtes tun, aber du hast immer wieder Geduld. Du kommst immer wieder zu ihm zurück, und so ist es bei der Musik auch.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Daran anknüpfend: Glaubst du, dass jeder Mensch eine Gabe hat, die er in die Welt bringt, und dass diese "wahre Liebe zur Musik", deine Bestimmung, deine Gabe ist?

Achim Rinderle: Ja. Das Schicksal in diesem Leben hat es mir leicht gemacht, diese Gabe auszuleben.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Warum sagst du, dass es leicht war?

Achim Rinderle: Ich bin mit Musik in Kontakt gekommen und meine Eltern fanden es immer super, wenn ich Musik gemacht habe. Sie haben auch selber Musik gemacht.
 Ich glaube, dass diese Liebe zur Musik in allen drin steckt, wir müssen uns nur die Kinder anschauen. Das ist die Erfahrung, die ich jetzt mit meiner dreijährigen Tochter mache: Sie ist für alles begeistert, für alles offen und was sie macht, macht sie mit totaler Hingabe. Und das ist eben genau das, wo wir wieder zur Meditation kommen. Ich sage oft meinen Schülern, wenn sie Probleme mit dem Üben haben: "Üben ist sekundär. Wenn man meditiert, dann bringt es einem viel mehr". Es ist wirklich so. Ich meditiere viel mehr als ich übe, und ich komme seitdem viel besser voran, als in den Zeiten an der Uni, wo ich viel geübt habe, weil die totale Konzentrationsfähigkeit das ist, worin unser Potential als Mensch besteht. Wir können unglaublich viel, wenn wir es schaffen, zu fokussieren. Und das, was ich in der Musik erlebt habe (wie gesagt, unabsichtlich, denn ich habe aus anderen Gründen meditiert), war, dass diese Konzentration musikalisch unheimlich hilft, gerade, wenn man improvisiert. Das habe ich nach und nach gemerkt.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und was für eine Meditation praktizierst du?

Achim Rinderle: Stille Meditation oder Richtung Zen. Ich gehe auch manchmal zu Retreats der Buddhisten, aber ich bin kein ,wahrer' Buddhist, weil ich mit diesen Ritualen und religiösen Ausprägungen nichts zu tun habe.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Dein Weg war kein sehr ,gerader': Du hast Vieles ausprobiert, aber es war immer Musik. Haben dir deine Eltern nie gesagt: "Mach etwas ,Ernsthaftes', was eines ,richtigen Mannes' würdig ist"?

Achim Rinderle: Meine Eltern haben sich natürlich schon immer Sorgen gemacht. Sie sind sehr offen, aber sie machen sich die Sorgen, die sich Eltern nun mal so machen: Es muss dem Kind gut gehen.
 Mein Weg war sehr diplomatisch, denn ich habe mich nicht hingestellt und gesagt: "Ich will Musiker werden", sondern ich habe immer Musik gemacht, aber ich dachte mir immer, ich bin viel zu schlecht, um jemals professioneller Musiker werden zu können. Und dann habe ich während des Studiums in Hildesheim bemerkt, dass so viel Musik in mir ist, dass ich als ambitionierter Amateur wohl doch was machen kann. Und ich hatte immer (das klingt jetzt blöd, aber es war so) Erfolg. Ich habe einfach gemerkt, dass ich etwas in der Musik zu sagen habe, dass Menschen, die mir zuhören (selbst, als ich noch ziemlich schlecht war), etwas mitnehmen können.
 Dann hat sich alles so entwickelt. Und da ich Kulturpädagogik studiert habe, eine Disziplin, bei der der Abschluss zu keinem Job führt [lacht], waren meine Eltern schon ein bisschen darauf vorbereitet. Aber jetzt habe ich sogar seit einem Jahr eine feste Anstellung an einer Musikschule, und nun finden meine Eltern auch, dass alles ziemlich perfekt ist.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und was ist das, was du in der Musik sagen möchtest?

Achim Rinderle: Das ist jenseits des Verstandes. Ich muss die Musik nur so schön spielen, dass sie mich selbst glücklich macht und dann macht es auch die Anderen glücklich. Ja, "Die Anderen glücklich machen", - vielleicht kann man es so im Nachhinein zusammenfassen. Aber ich stelle mich nicht hin und sage: "Ich mache euch alle glücklich".

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Gab es auch Zeitpunkte, an denen du sagtest: "Jetzt ist Schluss mit Musik, das mache ich nicht mehr"?

Achim Rinderle: Nein.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Nie?

Achim Rinderle: Nie. Wirklich niemals in meinen zehn Jahren als Musiker.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Davor hast du ja auch das ganze Leben lang Musik gemacht.

Achim Rinderle: Ja, aber ich war Student und bin dann aus der Studienzeit so langsam herausgewachsen und habe angefangen zu unterrichten. Das wollte ich nie machen, aber ich habe dann gesehen, dass es auch ein großes Geschenk ist. Mittlerweile unterrichte ich auch sehr gern zwei, maximal drei Nachmittage in der Woche.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Klarinette?

Achim Rinderle: Klarinette und Saxophon. Das Unterrichten ist ein Geben und Nehmen, denn man lernt dabei selber eine Menge. Schüler können einen wirklich auf Dinge hinweisen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Manchmal ist zu hören, dass Kinder früher besser lernen konnten. Wie siehst du das?

Achim Rinderle: Meiner Beobachtung nach tun sich viele Kinder schwer, sich zu konzentrieren. Gerade "Computerkinder", - so nenne ich sie immer. Das sind vor allem Jungs, die viel am Computer spielen, sie haben teilweise eine Aufmerksamkeitsspanne von gerade mal 10-15 Sekunden. Ich habe einmal einen Jungen unterrichtet, der hat immer die vier ersten Takte von einem Lied spielen können, alles danach war eine Katastrophe, da ging nichts mehr, weil seine Konzentration nach 10-15 Sekunden zu Ende war. Da war zu wenig Aktion in den Noten, keine Schwerter, keine rollenden Köpfe [lacht]... Und dann ging nichts mehr. Danach musste man ihn ein bisschen mental ,schütteln' und wieder von vorne anfangen, und dann passierte wieder das Gleiche: 10-15 Sekunden Konzentration und dann war es vorbei.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Wie alt war dieser Junge damals?

Achim Rinderle: Zwölf oder dreizehn. Und selbst die Kinder, die sich konzentrieren können, die bekommen von Zuhause vielleicht ein breiteres Spektrum von Beschäftigungen, sind aber oft im Stress. Sie haben so viel zu tun, dass es manchmal schwierig ist, einmal pro Woche an einem bestimmten Tag eine halbe Stunde Zeit zu finden. Mit ihnen muss man so wie mit Managern Termine suchen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Kehren wir nun, wie versprochen, zu den Reisen zurück. Du bist viel gereist, physisch, aber jetzt macht ihr, z.B. mit der A Glezele Vayn, auch viele Reisen in der Musik. Zunächst zu den physischen Reisen in verschiedene Länder: Was hat dich am meisten beeindruckt, was hast du mitgenommen? Es sind wirklich ganz andere ,Welten', die du gesehen hast, z.B. arabische Länder.

Achim Rinderle: Vertrauen. Du kannst in einen so genannten Schurkenstaat fahren und du überlebst nicht nur, sondern dir geht es sogar gut. Die Menschen sind sehr, sehr nett und gastfreundlich, und auch wenn du nicht weißt, wo du schlafen sollst, was du essen sollst, wird alles gut. Ich habe auf meinen Reisen nicht eine einzige unbequeme Nacht im Regen ohne Dach erlebt. Und dabei habe ich sie wirklich immer wieder sehr spontan gemacht. Also, dieses Vertrauen, dass es in der Welt immer ein Bett für dich gibt, sagen wir es so, habe ich von meinen vielen Reisen mitgenommen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Egal in welchem Land?

Achim Rinderle: Genau. Es ergibt sich immer etwas, wenn man nicht verzweifelt. Das ist, denke ich, wichtig: Wenn man sich hinstellt, anfängt zu weinen und auf das Ende wartet, dann tut man sich schwer, diese Momente zu sehen. Dann steht die Tür offen, aber du siehst es nicht.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Das kann man auch auf das Leben übertragen, nicht wahr? Ich vermute, du hattest wie wohl jeder Mensch schwierige Situationen im Leben. Was hilft, damit man vor lauter Verzweiflung nicht sagt: "Jetzt ist es aber Schluss damit, ich mache es nicht weiter"?

Achim Rinderle: In dem Fall hilft, dass du einfach nicht mehr raus kannst. Du hast dich mit deinem Abenteuergeist irgendwohin reinmanövriert und aufzugeben bedeutet dann wirklich entweder zu sterben (wenn du z.B. bei einer Bergtour bist), körperlich verletzt zu werden, oder all dein Geld zu verlieren o.ä. Auf jeden Fall ist es eine schlechte Sache für dich und du hast doch keine Wahl: Du musst einfach durch. So wie in einer Stresssituation, in der du plötzlich zu unglaublichen körperlichen Leistungen fähig bist. Auf der psychischen Ebene ist es genauso. Und hinterher ist man um eine Erfahrung reicher. Und ich bin nicht der Mensch, der sagt "Oh Gott, die Welt ist schlecht", sondern ich nehme die Erfahrung eher mit: "Hey, es ist alles gar nicht so schlimm"!

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Warum siehst du das so und nicht anders? Bist du so erzogen worden? Oder hast du dich selbst so erzogen? Es gibt Menschen, die in solchen Situationen anders reagieren würden.

Achim Rinderle: Die Atmosphäre in meiner Familie war sicher immer eine entspannte. Natürlich haben sich meine Eltern auch immer mal wieder aufgeregt über mich und z.B. gesagt: "Pass auf, geh mit niemanden Fremden", das ist klar, aber ich glaube, wir haben schon immer nach dem Motto: "Du kannst dich selber ändern, aber du kannst die Anderen nicht ändern" mehr vor unserer eigenen Tür gekehrt. Das ist auch so ein Lebensgeheimnis, dass man auf Reisen mitbekommt: Wenn du der Ausländer bist, die Kultur nicht verstehst und zugeben musst, dass du hier einfach ein Außenseiter bist, - dann schau einfach, wie du mit der Kultur klarkommst. Das würde vielen, vielen Menschen sehr, sehr gut tun. Das Problem ist natürlich, dass es mit Pauschaltourismus nicht funktioniert und du natürlich nicht die westliche Welt mit einem Rucksack in sogenannte "Dritte-Welt-Länder" schicken kannst.
 Aber diese Erfahrung hat sich bei mir mit so einem abenteuerlichen Jugendgeist herauskristallisiert. Es war dieser Antrieb da, der ganz fest war, genau wie diese Bindung zur Musik, er war schon immer da und ich habe ihm nachgegeben. Manchmal habe ich ihn natürlich verflucht, wenn es mich in blöde Situationen gebracht hat, aber wenn sie dann vorbei waren, dann hatte ich genug Freude und Gewinn daran, um das weiter zu machen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Das heißt, diese Vielseitigkeit, sowohl auf Reisen als auch in der Musik, war bei dir nie aus der Not geboren, sondern ist schon immer eher aus einer allgemeinen Offenheit heraus entstanden.

Achim Rinderle: Stimmt.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: .Man hätte ja auch denken können: "Das klappt nicht, ich beschäftige mich mit etwas Anderem".

Achim Rinderle: Stimmt. Du hast Recht. Aber das war schon immer eine eher positive Sturheit.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Das ist eine tolle Bezeichnung.

Achim Rinderle: Ja, es ist auch schön, diese positive Sturheit zu besitzen. Ich arbeite gerade an den negativen Seiten meiner Sturheit, um sie loszuwerden, aber ich entdecke immer wieder, dass die Sturheit auch etwas Positives hat. Disziplin war für mich immer etwas Negatives. Ich war immer so lässig... Und jetzt bin ich Vater und total autoritär [lacht].

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Tatsächlich? Glaubt man nicht, wenn man dich kennt.

Achim Rinderle: Ja, weil ich einfach merke (und ich habe mich damit auch beschäftigt), dass so ein kleines Kind wie meine Tochter Grenzen braucht. Das ist wie - so ein blöder Vergleich - ein Mähroboter. Wenn du den Mähroboter einfach auf die Wiese setzt, mäht er immer weiter, wenn da kein Zaun kommt. Und irgendwann ist der Akku leer und er ist weg. Und dann geht es ihm schlecht. Aber wenn du ihn innerhalb deines Gartens einzäunst, dann kann er sich da frei bewegen und überleben.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Ist dir dieser Vergleich selber eingefallen oder hast du ihn irgendwo gelesen?

Achim Rinderle: Nein, es ist mir selber eingefallen. Als ich zum ersten Mal von so einem Mähroboter gehört habe, dachte ich mir: "Ja, genau, so ist es". Denn so ist es auch mit meiner Tochter: Ich habe das Gefühl, sie marschiert da los voller Energie und dann muss man ihr sagen: "Moment, Moment: hier kannst du nicht weitergehen. Es bringt nichts, weil du dich entweder umbringst oder weil du dann ein sozial schlechtes Wesen bist" usw. Aber eben innerhalb dieser Grenzen kann sie machen, was sie will. Sprich, wenn wir miteinander spielen, dann ist sie der Chef, aber im Straßenverkehr, da bin ich der Chef.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Man verteilt die Rollen.

Achim Rinderle: Genau.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Du hast von deiner positiven Sturheit gesprochen.

Achim Rinderle: Genau, die Kinder haben sie - dieses Entdeckenwollen um jeden Preis. Was bei so einem kleinen Kind wirklich Suizid ist, denn es macht vor nichts Halt. Und das habe ich lange mitgenommen. Das wurde mir jetzt erst so richtig bewusst, als du die Frage gestellt hast. Ich habe mir eine kindliche Einstellung bewahrt, weil mich eine Sache einfach begeistern kann. Mich hat das Reisen begeistert, und mich hat das Musikmachen begeistert. Ich habe mich nicht hingestellt und mir überlegt: "Oh, ich reise jetzt, damit ich später Auslandskorrespondent für Die Zeit werden kann" oder ähnliches. Nein, ich habe es einfach getan. Ich habe einfach Musik gemacht, um Musik zu machen, sogar mit dem Hintergedanken: "Aus dir wird nie ein Musiker, du bist eh zu schlecht".

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Unglaublich!

Achim Rinderle: Aber ich habe es einfach getan, weil die Sache an sich mir so viel gegeben hat, dass ich das nicht hinterfragt habe.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Was hat sie dir gegeben?

Achim Rinderle: Irgendeine tiefere Befriedigung, würde ich sagen. Vielleicht könnte man das jetzt ,hochdramatisch' als so eine Art "Sinn" bezeichnen, so einen Sinn im Leben, den ich als Teenager und dann als Twen natürlich extrem gesucht habe. Ich habe das auch in der Philosophie gesucht und da habe ich auch harte Zeiten hinter mir. Mit der Philosophie war es eine Suche des Verstandes, ich wollte den Geist trainieren, aber gleichzeitig habe ich im Leben Dinge einfach gemacht.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Das bedeutet, wenn man nicht so viel Leistungsdruck hat, sich selbst nicht so viele Grenzen setzt.

Achim Rinderle: .und dass man seinen Weg findet. Der Verstand hätte Dinge anders gemacht. Und ich glaube, da wäre ich nicht glücklich geworden. Er hätte mich in einen akademischen Weg reingezogen, aber ich bin sehr froh, dass ich etwas machen kann, das viel mehr mit Emotionen zu tun hat, weil ich einfach ein total emotionaler Mensch bin. Das ist sehr spannend: Dadurch dass du mir solche Fragen stellst, wird mir selber so vieles klar.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Welche Menschen haben dich im Leben begeistert? Hast du Vorbilder?

Achim Rinderle: Ja, ich habe Vorbilder. Gerade bei der Musik habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, einen Menschen wirklich persönlich vor sich zu haben. Das geht nicht über das Internet oder über eine CD. Einer meiner Lehrer, der rumänische, in Paris lebender Klarinettist Adrian Receanu, hat so eine bestimmte Art, beim Spielen nach rechts oben an die Decke zu schauen, einfach mit den Augen. Und das ist ein so entrückter Blick, aber trotzdem mit offenen Augen. Und wenn es bei mir nicht flutscht, oder wenn ich, gerade bei der moldawischen Musik, nicht weich und zart genug bin, dann gucke ich nach rechts oben an die Decke. Das kann ich selbst mit geschlossenen Augen machen. Ich stelle mir einfach diese Haltung vor, die er einnimmt und dann rastet etwas ein. Ich glaube, diese Spiegelneuronen, die Kinder haben, die haben wir als Erwachsene auch und dann kopiere ich Adrian und dann flutscht es, dann kann ich plötzlich so spielen. Das ist völlig irrational...
 Und das ist, denke ich, prinzipiell toll an Menschen, so dass ich jetzt mittlerweile nicht mehr sagen würde, ich habe ein großes Vorbild, sondern es gibt wahnsinnig viele Menschen, die mir etwas geben und es wird immer unübersichtlicher. Manchmal ist es sogar eine ganz kurze Begegnung, ich nenne es einen ,spirituellen Flirt'. Du triffst jemanden in irgendeinem Kontext, beim Einkaufen etc. Und es ist vielleicht ganz kurz und man erledigt einfach etwas, z.B. das Bezahlen, aber man erledigt das in einer ganz besonderen Art und Weise, so dass man danach richtig aufgerichtet ist. Und du weißt nicht mal, wie der Mensch heißt. Das kann ungemein bereichern.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Das kenne ich auch. Und was begeistert dich am meisten an Menschen?

Achim Rinderle: Diese Hingabe. Diese Freude.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: An der Sache?

Achim Rinderle: An der Sache. Und die Sache ist das Leben. Mich begeistern einfach die Menschen, die eingesehen haben, dass wir - jetzt kommt meine Philosophie - solange wir leben, glücklich sein sollen. Ansonsten kann man jederzeit sterben [lacht]. Und das ist unsere Aufgabe und diese Aufgabe ernst zu nehmen, finde ich toll und ich finde super, was für einen Menschen möglich ist.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und wenn es jemanden glücklich macht, Andere unglücklich zu machen?

Achim Rinderle: Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Ich glaube, das geht nicht ohne Katzenjammer oder Verdrängung. Wenn du wirklich als Mensch offen bist und dich dir selber stellst und nicht vor deinem eigenen Ich davon läufst, dann kannst du nicht glücklich werden, wenn du anderen Lebewesen Leid antust. Also, das ist wie im Buddhismus, aber ich spüre das selber auch so. Das habe ich noch nie in Frage gestellt, das war schon immer da und dann war ich so glücklich, als ich das im Buddhismus so schön und konsequent gefunden habe.
 Ich bin katholisch und Jesus sagt auch so was, aber in diese katholische Kirchenlehre eingebettet, habe ich das schon als Kind nicht so richtig verstanden. Dort wurden immer Sachen gesagt, die alle Menschen, die dann hinterher am Friedhof standen, nicht gelebt haben. Und das kam mir schon mit zehn Jahren total bescheuert vor.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Wirklich?

Achim Rinderle: Ja, klar: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt". Und dann steigen sie alle in ihre Mercedes-PKWs und BMWs ein und fahren nach Hause. "Was macht ihr in der Kirche?", - habe ich immer gedacht. "Und hört in euren Augen so einen Quatsch an"?

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und das hast du mit zehn gedacht?

Achim Rinderle: Ja, ja. Ich habe mich gefragt, wie sie eigentlich ticken? Ich habe dann noch eine Zeitlang mitgemacht, ich war Messdiener. Bis ich dreizehn oder vierzehn war, war ich noch dabei, aber irgendwann ging es nicht mehr, dann kam mir alles absolut aufgesetzt vor. Und dann habe ich es sein lassen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Ja, Mahatma Gandhi hat auch gesagt "Du und ich: wir sind eins, ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen". Wenn man so lebt, dann weiß man, deiner Meinung nach, was wahres Glück ist?

Achim Rinderle: Ja, genau. Und das ist es, was mir den Glauben an die Menschheit gibt, dass diese Menschen, von denen ich sprach, es verstanden haben, dass alles zusammenhängt. Und du kannst selbst als Egoist sagen, es macht keinen Sinn, jemand anderem weh zu tun, weil du dir selber über das Kollektive damit weh tust.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Dann ist es gleich, was man macht: man kann Musik machen, man kann etwas anderes machen, aber wenn man so eine Einstellung hat, dann wird die Welt ein wenig schöner.

Achim Rinderle: Bei den meisten Berufen ist es so. Es gibt ein paar Berufe, in denen du dich natürlich schwer tust, so zu leben. Als Soldat ist es nicht einfach. Sobald Töten ins Spiel kommt, wird es echt kompliziert.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Oder z.B. Zigaretten produzieren.

Achim Rinderle: Ja, ich finde es moralisch nicht korrekt, wenn du in der Werbeindustrie arbeitest und den kleinen Kindern Zuckernahrung andrehst, das wäre für mich auch nicht machbar.
 Aber diese Grenzen muss jeder in seinem Bewusstseinsstand selber finden, denke ich. Da freue ich mich ein bisschen über jeden, der sich auf die Suche begibt und versucht, - da sind wir wieder bei der Tiefe, - mehr zu leben und sich nicht einlullen zu lassen von dem, was suggeriert wird. Wenn man sich überlegt, dass man danach sucht, was einem wirklich wichtig ist. Das war, glaube ich, ein Vorteil, den ich aus meiner Trotzphase mitgenommen habe: Dass ich immer gesucht habe, was mir wirklich wichtig ist.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Kam das einfach aus dir?

Achim Rinderle: Ja. Das hat natürlich manchmal auch Formen angenommen, wo ich ein ,Anti' war, aber das ist, glaube ich, normal. Bis ich dann festgestellt habe: "Hey, du bist genauso spießig wie andere, einfach, weil du so anders sein willst, dass du dich schlecht fühlst, wenn du einen langweiligen Pulli und eine Jeans an hast. Deswegen bist du auch ein Spießer." Aber das macht wohl jeder durch. Das Positive war, dass ich durch dieses Anderssein den Mut kultiviert habe, für mich selber zu suchen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: .deinen eigenen Weg zu gehen.

Achim Rinderle: Ja.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Von deiner ,buddhistischen Seite' hast du schon ein bisschen gesprochen, erzähl doch jetzt mal von deiner ,orientalischen Seite'.

Achim Rinderle: Das ist ganz verrückt, das kann ich dir nicht richtig sagen. Ich habe ja in Damaskus gelebt, und wenn ich mir den Nahen Osten anschaue, was da in den letzten zwanzig Jahren passiert ist. Ich weiß auch nicht, was es ist, es muss irgendein Schmerz in mir sein. Ich war in Damaskus sehr glücklich, aber nach einem knappen Jahr hatte ich echt die Schnauze voll, ich wollte dort weg, weil ich bemerkt habe, dieses Patriarchalische und der ganze Hass, - das ist nicht meins.
 Und was dort wirklich war, oder was in mir in Resonanz gegangen ist, das kann ich nicht sagen, aber ich kann sagen, - und jetzt kommen wir wieder zur Musik, - dass ich mich in der Musik eng damit verbunden fühle. Deswegen mag ich auch Klezmer, also ich mag sozusagen das Sephardische am Klezmer, das Orientalische. Diese Melodien, diese Tonleiter, diese Art des Ausdrucks, in der Schmerz und Freude miteinander tanzen. Das treibt mir schon wieder das Wasser in die Augen. Ich weiß nicht, was das ist. Und das reflektiere ich auch nicht, ich bin nicht der Mensch, der in die Psychoanalyse rennt, weil er wissen will, was es ist. Ich weiß, es ist da. Und das ist das Schöne am Buddhismus, der sagt, - wenn du das erkennst, dann sag einfach, es ist da, spüre rein und lass es zu. Du brauchst nicht deinen Verstand, der dir sagt: "Das und das und der ist Schuld". Es spielt gar keine Rolle. Nimm es, wie es ist, es ist für irgendwas gut und lebe das einfach.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Du machst den Eindruck eines glücklichen Menschen, der seine Mitte, innere Ruhe und den eigenen Weg gefunden hat. Findest du das auch? Du hast schon darüber erzählt, wie du das geschafft hast, aber vielleicht kannst du das noch ein wenig erläutern?

Achim Rinderle: Ja, das empfinde ich auch so. Ich habe das Gefühl, ich bin auf dem Weg schon ein gutes Stück weitergekommen. Ich bin ja auch noch nicht so alt [lacht].

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Ja eben. Das ist auch, finde ich, etwas Besonderes, dass man bereits mit vierzig so ist.

Achim Rinderle: Und da hilft mir meine Krankheit [Es handelt sich um eine chronische Autoimmunerkrankung - A.F. - Anmerkung der Verfasserin] natürlich enorm.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Sie hilft?

Achim Rinderle: Ja, klar. So was gibt es ganz oft. Z.B. dieses Physikgenie, Stephen Hawking hat eine ganz, ganz fiese Krankheit, von klein an, und er war sozusagen schon immer in seinem Körper eingesperrt, viel krasser als ich. Und da gibt es eben diese zwei Möglichkeiten: Entweder du verzweifelst und gehst wirklich unter, oder du entwickelst unglaubliche Fähigkeiten, weil du dazu gezwungen bist. Dein Geist muss unglaublich beweglich sein, wenn du körperlich eingeschränkt bist, damit dich diese äußerliche Unbeweglichkeit nicht in die Verzweiflung treibt. Und das ist das Geheimnis an diesen Krankheiten, und ich habe es Gott sei Dank geschafft, diesen Weg zu gehen, und deswegen hat es mir unglaublich geholfen. So absurd es ist, aber, obwohl ich körperlich echt Probleme habe und mich manchmal schon danach sehne, wie vor zwanzig Jahren zu sein, als mein Körper alles machen konnte (ich aber nicht besonders nett zu ihm war), war ich damals unglücklicher. Diese Suche, diese Leere, dieses "Um was geht es?" und so weiter.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Ängste.

Achim Rinderle: Ängste.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Hast du jetzt keine Ängste mehr?

Achim Rinderle: Doch, aber ich kann anders damit umgehen. Das ist genau das Gleiche wie mit diesem orientalischen Gefühl, das ich vorhin erwähnt habe. Ich renne nicht weg vor der Angst, sondern ich setze mich hin und wenn sie ganz stark ist, dann ziehe ich mich zurück und ich lebe diese Angst, ich lebe sie in diesem Moment und lasse sie einfach da sein. Und das hilft ungemein. Du musst da nichts verdrängen und musst trotzdem keine Sorgen vor der Zukunft haben. Im Gegenteil, du entwickelst daraus das Vertrauen, dass alles wird. Es wird alles gut, auch wenn du im Moment nicht weißt wie. Und du fühlst dich gerade einfach schrecklich, aber du weißt, das geht vorbei und weißt, es führt irgendwohin. Ich habe dabei auch das Vertrauen, dass alles nicht so schlimm werden kann, dass du nichts davon hast.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und deine Krankheit hat dir darin geholfen?

Achim Rinderle: Ja. Auf jeden Fall. Und deswegen, würde ich sagen, bin ich schon ziemlich in meiner Mitte angekommen. Ich denke, es ist ähnlich, wie bei der Musik: Wenn du einen bestimmten Level erreicht hast, dann verstehst du erst, was dir die Meister beibringen können. Vorher kann man es gar nicht verstehen, weil man einfach vorbeirauscht, man hat so viele Probleme, die mit Fingern oder ähnlichem zu tun haben, und Ängste und so weiter. Und erst, wenn man eine gewisse Reife erreicht hat, dann kann es befruchtend werden. Und ich glaube, genau so ist es auch, wenn du in deine Mitte kommst. Ab einer gewissen Stabilität kann dich nichts wirklich aus der Bahn bringen, und dann profitierst du von allen Situationen. Und selbst, wenn du eine Woche hast, die einfach nur blöd ist, - es geht am Montag los und es geht bist Sonntag durch und es passiert lauter Mist, wo du denkst: "Ja! Noch mehr! Gib mir noch eins! Jawohl", kommst du durch diese Woche relativ gut durch, weil du mehr in deiner Mitte bist. Ansonsten hätte diese Situation dich vielleicht Wochen zurückgeschmissen oder zu einem Pessimisten gemacht.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Da lernt man auch, dass Schwierigkeiten doch eine positive Seite haben oder haben können.

Achim Rinderle: Absolut.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Es kommt also darauf an, was man daraus macht.

Achim Rinderle: Ich gehe noch ein Stück weiter: Ich behaupte, die Schwierigkeiten sind dein Freund. Sie sind deine Lehrer, sie zeigen dir, was du im Leben falsch machst, denn, wenn du an ihnen zerbrichst, bist du nicht stark oder nicht in deiner Mitte. Sie wollen dir ja nur helfen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: .sie sind sozusagen Prüfungen.

Achim Rinderle: Ja, ja.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Ich kenne auch manche sehr extreme Fälle. Menschen beispielsweise, die von Geburt an blind sind, haben es trotzdem geschafft zu verstehen, dass auch solche Schwierigkeiten, wie du sagst, "Freunde" sind.

Achim Rinderle: Und so muss man es auch sehen. Als Mensch hast du einfach die Wahl. Das ist auch das Schöne bei uns Menschen: Wir haben die Wahl. Wir müssen nicht instinktiv reagieren, weil jemand z.B. unfreundlich zu uns ist. Wir müssen nicht ,zurückbellen'. Dann begeben wir uns auf die Ebene von einem Hund. Ich will den Hund damit nicht schmälern, aber der Hund hat diese Wahl nicht. Wir haben die Wahl. Und das ist unsere große Chance. Und das ist auch das Schöne an unserem Leben, das macht unser Leben so besonders spannend, dass wir immer wieder diese Entscheidung treffen: Ob wir ,zurückbellen' oder nicht.
 Wenn man an Blindsein denkt: Wie viele blinde Musiker gibt es... Auch so ein großer Musiker, der mich beeindruckt hat, Tcha Limberger, der blinde Zigeunergeiger. Was er gehört hat, diese akustischen Welten, die er lebt, das können wir uns nicht annähernd vorstellen. Ich glaube, er hört Farben.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Manche Menschen finden diesen Mut, immer weiterzugehen und andere geben auf.

Achim Rinderle: Das ist verrückt, oder? Woran das liegt, weiß ich auch nicht. Die Frage stelle ich mir auch. Gerade als Vater fragst du dich: "Kann ich meinem Kind etwas mitgeben oder geht es sowieso seinen Weg und ich bin nur so ein kleiner Beschützer und Ernährer"? Was in den Menschen drin ist und was rein kommt, ist eine spannende Frage. Aber da denke ich mir auch wieder: Es ist egal. Der Verstand will das wissen, aber ich glaube, für unser Herz und den gesunden Menschenverstand ist es gleich.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Das war jetzt der ,Was-ist-Teil' des Interviews, nun würde ich gern zum ,Was wäre-Teil', zu einer kurzen Coda, kommen. Sie besteht aus drei Fragen. Die erste: Was wärest du geworden, wenn du nicht Musiker geworden wärest?

Achim Rinderle: Gute Frage. Ich hätte den akademischen Weg genommen. Das wollte mein Verstand. Und da gab es auch einen Sicherheitsweg. Ich hatte das Gefühl, so etwas wie Erlebnispädagogik machen zu wollen: Also, irgendeinen Grund zu finden, in der Natur sein zu dürfen und dafür Geld zu bekommen. Und da hat mir die Erlebnispädagogik kurz vorgeschwebt. Ansonsten hatte ich nie so einen richtigen Plan, ich habe immer so vor mich hingelebt. Meine Ziele habe ich mir nie so weit weg gesteckt. Als Kind wollte ich Elektrotechnik studieren, Feuerwehrmann wollte ich, glaube ich, nie werden [lacht]. Ich war nie so ein Berufstyp, sondern ich habe mich eher wie einen Philosophen gesehen. Nach dem Motto: "Ich mache das, was ich machen will, und wenn ich dafür kein Geld bekomme, dann mache ich etwas anderes, aber ich lasse mir nicht von einer materialistischen Gesellschaft diktieren, womit ich mich in meinem Leben beschäftigen muss". Das war immer meine Einstellung. Das ist natürlich etwas, worüber sich Eltern nicht so sehr freuen oder sehr zwiegespalten sind. Ich behaupte, ich freue mich, wenn meine Tochter so drauf kommt, aber da sind wir wieder beim Thema "Zukunft": Ich weiß nicht, was dann wird. Ich bin vorsichtig geworden mit meinen Prognosen. Ich denke eher: "Im Moment könnte ich mir das vorstellen, aber wer weiß"...

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Welche Persönlichkeiten aus der Geschichte oder Gegenwart würdest du gern kennenlernen und worüber würdest du mit ihnen sprechen wollen? Welche Fragen würdest du stellen?

Achim Rinderle: Mich würde auf jeden Fall ein spiritueller Meister interessieren. Entweder Buddha oder Eckart Tolle. Eckart Tolle möchte ich nicht so gern sagen, weil er ja noch lebt. Dann sagt er mir gleich: "Steh auf! Los!" [lacht]. Bei Buddha kann das nicht passieren. Er ist weg. Aber es wäre auf jeden Fall so ein Meister, und ich glaube, ich würde ihn nach solchen Gefühlen fragen, die man nicht erklären kann: "Wie ist es so, als Erleuchteter"?

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und jetzt die letzte Frage: Wenn du auf der Welt alles verändern könntest, womit würdest du anfangen? Oder würdest du vielleicht alles so lassen?

Achim Rinderle: Ich denke, das habe ich mittlerweile verstanden, ich würde bei mir selber anfangen. Und das tue ich auch. Das habe ich gelernt. Früher habe ich viel rumgemeckert und hatte auch eine Phase, wo ich mit der Menschheit fertig war. Damals habe ich noch versucht, die Welt zu verändern, indem ich auf den Menschen herumgehackt habe. Und jetzt, oder schon länger, fange ich bei mir selber an.


Anna Fortunova führte das Interview mit Achim Rinderle am 19. Juli 2014 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de