Kompromisslos auch im Tod

Keine Ruhe für einen Ruhelosen: Über die drohende Grabverlegung des Schauspieler-Genies Oskar Werner (1922 – 1984)

Von Marc Hairapetian

Drucken

Oskar Werner als Hamlet und Antje Weisgerber als Königsmutter (1970)

„Wahrheit ist Feuer - und Wahrheit reden heißt leuchten und brennen“

L.Schefer  

„Das grüne Zimmer“ ist sicher nicht Francois Truffauts schönster, aber dafür sein ambitioniertester, verstörendster und intimster Film. Der sensitive Regisseur, der zuvor gerade davon durchdrungen war, Irrungen und Wirrungen menschlicher Beziehungen auszuloten, schuf 1978 eine Liebesgeschichte der besonderen Art. Es geht hier um die leidenschaftliche Hinwendung eines Lebenden zu den Toten und die Besessenheit von der Idee, dass man erst im Vergessenwerden sterbe. Zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg lebt der auf Nachrufe spezialisierte Journalist Julien Davenne (Francois Truffaut als sein eigenes Alter ego) still und zurückgezogen in der französischen Provinz. Fast alle Menschen, die ihm etwas bedeuten, hat er verloren: Erst seine Freunde auf dem „Feld der Ehre“, kurz darauf auch noch seine Frau. Im Obergeschoss seines Hauses hat er einen Gedenkraum voller Bilder und Gegenstände aus dem Besitz der Toten eingerichtet. Niemand außer ihm darf „Das grüne Zimmer“ betreten. Eines Tages begegnet er Cécilia (Nathalie Baye). Auch die junge Frau lebt in der Erinnerung an einen geliebten Toten, aber sie spürt schnell, was sie von Julien unterscheidet: Er liebt die Toten mehr als die Lebenden. Dennoch fühlt sie sich hingezogen und versucht, ihn für das Leben zurückzugewinnen.

„Das grüne Zimmer“ kreist um eine unbequeme Frage, die in unserer westlichen Kultur allzu oft verdrängt wird: „Muss man die Toten vergessen?“. Truffaut/Davenne errichtet zum Ende des Films in einer kleinen Kapelle eine Gedenkstätte für eine erlesene Auswahl seiner verehrten Vorbilder. Vom Schein unzähliger Kerzen erleuchtet, erkennt der Zuschauer, dass hier ausschließlich die Fotos von Persönlichkeiten versammelt sind, die das Feuer der Wahrheit in sich trugen und in ihrem künstlerischen Schaffen leuchteten und brannten: Marcel Proust, Oscar Wilde, Maurice Jaubert und – Oskar Werner. Und bis auf letzteren haben sie alle etwas gemeinsam, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten waren sie längst verstorben. Warum also findet der in einen Soldatenmantel gehüllte, schlafende Oskar Werner noch zu Lebzeiten einen Platz unter diesen ehrenwerten Toten?

Die gängige Theorie, Truffaut hätte seinen einstigen Lieblingsdarsteller und „geistigen Bruder“ (Truffaut über Werner), mit dem er in dem heiter-melancholischen Meisterwerk „Jules und Jim“ (1961) Faszination und Unmöglichkeit einer „reinen“ Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern aufzeigte, um anschließend bei der Umsetzung von Ray Bradburys Dystopie „Fahrenheit 451“ (1966) in einen erheblichen künstlerische Disput über die Bücherverbrennungsszenen auszubrechen, für sich getötet, kann dementiert werden. So wusste Werners kürzlich verstorbene einstige Lebensgefährtin Antje Weisgerber zu berichten, dass sich die beiden unbestechlichen Sturköpfe Mitte der 1970er Jahre bei einem langen Gespräch in Paris wieder ausgesöhnt und weitere gemeinsame Filmprojekte geplant hätten. Wahrscheinlicher ist also der Gedanke, dass Truffaut mit dieser Geste im „grünen Zimmer“ seine über alle Grenzen (und Gräber) hinausragende Freundschaft und Bewunderung zu Oskar Werner ausdrücken wollte. Ist es Schicksal, dass die beiden Fackelträger der inneren Wahrhaftigkeit kurz nacheinander, verhältnismäßig jung erloschen? Truffaut starb nach schwerer Krankheit am 21. Oktober 1984 mit 52 Jahren, der Österreicher Oskar Werner zwei Tage darauf 61jährig, einsam und allein in einem Hotel in Marburg an der Lahn kurz vor Beginn einer Rezitationstournee.

Oskar Werners Lebenskerze brannte beständig an zwei Enden. Stets faszinierte der flachsblonde, auch im zunehmenden Alter jungenhaft wirkende Querdenker mit der ihm zu eigenen charakterlichen Mischung aus Sensibilität, Charme, Entschlossenheit und einem bei aller Tiefe sehr ausgeprägten Humor. Sein melodisches Timbre mit dem leichten Wiener Akzent, das seine auf Tonträgern festgehaltenen Rilke-, Wiechert-, Hamsun- und Weinheber-Lesungen auf musikalischste Weise zu literarischen Offenbarungen werden lässt, fesselt heute wieder die Jugend im deutschsprachigen Raum, die ihn von der Bühne gar nicht mehr kennen kann. Legendär sind Erfolge und Wirkung des Golden-Globe-Gewinners (1966 für die Darstellung des fanatischen jüdischen Kommunisten in „Der Spion, der aus der Kälte kam“): Legionen von Frauen waren bei seiner „Hamlet“-Interpretation 1952/53 im Frankfurter Schauspielhaus einer Ohnmacht nahe. Seine Sterbeszene als Hitler-feindlicher Ritterkreuzträger in G. W. Pabsts „Der letzte Akt“ (1955) ließ sich Marlon Brando 24 Mal hintereinander vorführen. Und Spencer Tracy nannte ihn gar „den besten Menschendarsteller überhaupt“. „Er war ein Egozentriker, nicht Egoist“, sagte rückblickend Antje Weisgerber, die ihre eigene Schauspielerkarriere von 1970 bis 1979 völlig für den manisch-depressiven Künstler zurückstellte: „Er hat das ganze Weltleiden auf sich bezogen.“ Der ruhelose Geist und Verweigerer des allgemeinen Kulturbetriebs, der weltrekordverdächtig über „300 Rollen aus Verrat am künstlerischen Geschmack“ (darunter Robert Wises` „Meine Lieder, meine Träume“, Michelangelo Antonionis „Blow up“ und Luchino Viscontis „Ludwig, der II.“) ablehnte, glaubte an das „Wahre, Schöne und Erhabene“ und lebte in leidenschaftlicher Kompromisslosigkeit. Diese bestand und besteht sogar noch im eigenen Tod. Der Theatergott („Don Carlos“, „Becket oder die Ehre Gottes“), der ein Filmstar („Entscheidung vor Morgengrauen“, „Das Narrenschiff“) wurde, verzichtete testamentarisch auf ein Ehrengrab in Wien. Dieses hätte ihm zwar als „Burg“-Schauspieler zugestanden, doch es verband ihn eine regelrechte Hassliebe mit der Stadt, in der er am 13. November 1922 in einfachsten Verhältnissen geboren wurde: „Es liegt eine Dämonie über der Stadt.“, wusste er. „Kein Wunder, dass hier die Psychoanalyse begründet wurde und Orson Welles ´Der dritte Mann` drehte.“ Seine Beerdigung fand daher 1984 im engsten Kreis in seinem Liechtensteiner Refugium in Triesen, wo er sich 1952 nach eigenen Konstruktionsplänen ein an einem Hügel gelegenes Anwesen errichten ließ, statt.

Bis heute wird er von einer ständig wachsendenden Anhängerschar wie ein Popstar verehrt. Umso größer war die allgemeine Bestürzung als im Sommer zuerst in Internetforen, dann auch in österreichischen Tageszeitungen und im ORF das Gerücht auftauchte, dass die letzte Ruhe des Ruhelosen durch eine drohende Grabauflösung gestört werden sollte. Eine Friedhofsordnung in der Gemeinde Triesen sieht nämlich vor, dass Gräber wegen Platzmangels nach 20 Jahren geräumt werden müssen. Am 17. August teilte Messmer Walter Berlinger zwar dem „Liechtensteiner Vaterland“ mit, dass man zwar beabsichtigten würde, ein Feld auf dem Triesener Friedhof zu räumen, „aber nicht in dem Abteil, indem sich das Grab des herausragenden Schauspielers befindet. Auch in den kommenden Jahren ist dies nicht der Fall.“, so Berlinger. Außerdem wäre das Grab Werners dank Antje Weisgerber, die trotz der Trennung im Jahre 1979 bis zu seinem Tod täglich telefonischen Kontakt mit ihm gehabt hätte, sehr gepflegt. Doch nun ist auch Antje Weisgerber gestorben – und die Gerüchte um die Grabräumung kursierten weiter. Zu Recht - wie sich wenig später herausstellte.

Der Gemeindesekretär von Triesen, Christoph Hess, ließ auf Anfrage verlauten, dass Werners Ruhestätte in den nächsten drei bis vier Jahren unangetastet bleiben werde. Dann ließe sich allerdings die Neueinteilung des Gräberteils, indem auch Werners sterbliche Überreste liegen würden, nicht mehr hinauszögern. Marianne Heeb, Mitglied der Friedhofskommission, bestätigt dies. Allerdings fügt sie hinzu, dass bei einer Auflösung des besagten Abschnitts, auch das Grab des Schauspielers betroffen wäre: „Der Leichnam muss allerdings vorher noch kremiert werden, da man Oskar Werner, der seinerzeit aus Deutschland überführt wurde, in einen Zinssarg bestattete.“ Sollten Werners Angehörige, Tochter Eleonore aus der ersten Ehe mit der am 2. September 94jährig verstorbenen Schauspielerin Elisabeth Kallina und Sohn Felix aus der Verbindung mit dem US-Fotomodell Diane Anderson, die Asche ihres Vaters nach Wien überführen, werde man eine Gedenktafel installieren. Wenn die Kinder die sterblichen Reste in Triesen lassen, kämen diese in ein Gemeinschaftsgrab. Dies sei bereits vom Pfarrgemeindeamt beschlossen worden. Das Grab nicht auflösen, könne man laut Marianne Heeb jedoch keinesfalls: „Ich weiß nicht, wie das bei der Bevölkerung von Liechtenstein ankommt, wenn die Gräber ihrer Angehörigen geräumt werden, dass von Oskar Werner aber bleibt.“ Anscheinend kennt sie noch nicht die Zuschriften zahlreicher Triesener, die auf den Oskar-Werner-Webseiten im Netz vehement bekunden, damit keine Probleme zu haben. Es überwiegt der Stolz auf den einstigen Mitbürger, der 1963 bei einer „Torquato Tasso“-Europa-Tournee mit seinem eigenen Oskar-Werner-Emsemble auf Plakaten kurzerhand das „Nationaltheater des Fürstentums Liechtenstein“ ausrief. Trotz Bemühungen einiger österreichischer Kulturpolitiker ist zudem eine „Rückkehr des verlorenen Sohnes“ nach Wien nicht vorgesehen. So äußert sich der 38jährige Felix Werner, der als zwischen Kalifornien und Zürich hin- und herpendelnder Independent-Producer von „Werner Film“ das kulturelle Erbe des Vaters hinter der Kamera angetreten hat, gegenüber dem SPIRIT: „Wir werden seinem letzten Wunsch treu bleiben und sind weiterhin im Gespräch mit den zuständigen Behörden in Liechtenstein.“ Ob Grabverlegung oder nicht: Man stirbt erst im Vergessensein. Bei Oskar Werner wird das noch lange nicht der Fall sein.

Marc Hairapetian

Arte strahlt aus Anlass des 20. Todestags von Francois Truffaut am heutigen 21. Oktober um 20.40 Uhr „Das grüne Zimmer“ aus. Wer sich der einmaligen Sprechkunst des unvergessenen Wiener Akteurs hingeben möchte, sei die „CD für die einsame Insel“ „Gedichte von Mörike, Heine, Saint-Exupéry, Trakl – gesprochen von Oskar Werner“ (Eloquence/Universal Music, 4.99 Euro) empfohlen. Marc Hairapetian ist Mitautor von „Oskar Werner – Das Filmbuch“ (Hg. Raimund Fritz, Filmarchiv Austria, Wien 2002, 24.90 Euro) und schreibt derzeit an der umfangreichen Biografie „Oskar Werner – Genie zwischen Tag und Traum“. Weitere Informationen über den „Unbestechlichen“ unter www.oskarwerner.com, www.oskarwerner.de.vu und www.spirit-fanzine.de