Senta Berger über Oskar Werner
Eine fantastische Nacht ohne Happy End
Erinnerungen der „beliebtesten deutschsprachigen Schauspielerin“
(TV 14) an den nicht nur laut Spencer Tracy „größten Schauspieler
überhaupt“
Von Marc Hairapetian
Oskar
Werner war eine große Inspiration, nicht nur für mich, sondern für
uns alle, die diesen Beruf in den 1950er Jahren ergriffen. Man kann es sich
heute kaum vorstellen, was er für uns bedeutete. Mit seiner Spielform im
Film und am Theater, besser vielleicht gesagt mit seiner spielerischen Form,
eröffnete er uns neue Welten. Er konnte mit seiner Hellsicht wie kein anderer
klassische Texte und schwierigste Rollen aufbrechen und auf das einfachste VERGRÖSSERN.
Mit seinen Lesungen war er einem nah, als wenn er direkt neben dir auf dem Sofa
sitzen würde. Er war aufregend und läutete eine neue Schauspieler-Epoche
ein. Ich kann es gar nicht zählen, wie häufig ich seinetwegen in die
Wiener Theater stürmte und danach am Bühnentürl wartete, um ihn
wenigstens einen Moment von Nahem zu sehen.
Als ich 14 Jahre jung war, kam er zusammen mit Regisseur G.W. Pabst in meinen
Ballettunterricht in der Wiener Akademie für Darstellende Künste.
Die beiden suchten ein Mädchen für den Film „Der letzte Akt“,
der vom wahnsinnigen Tanz auf dem Vulkan in Hitlers Führerbunker handelte.
Wie alle anderen angehenden jungen „Ballerinas“ war ich natürlich
auch in Oskar Werner verliebt. Leider wurde ich nicht ausgewählt, sondern
meine beste Freundin Hertha Angst (sie hieß wirklich so), die allerdings
auch wie ein typisches deutsches Mädel mit langen blonden Zöpfen aussah.
Ich muss nicht betonen, dass dies schlagartig meine Freundschaft mit Hertha
beendete...
Zehn Jahre später sollte ich eine fantastische Nacht mit Oskar Werner verleben,
aber nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken: 1965 lebte und arbeitete ich
in Hollywood, und Oskar Werner lud mich persönlich zur Premierenfeier von
„Ship of Fools“ ein, die von Regieproduzent Stanley Kramer glanzvoll
ausgerichtet wurde. Ich fühlte mich sehr geehrt, Oskar Werners Tischdame
zu sein und erhoffte mir besonders, mit ihm einmal zu tanzen. Doch daraus wurde
nichts. An unserem Tisch saßen noch Lee Marvin und Vivian Leigh, die sich
mit Oskar Werner den ganzen Abend und die ganze Nacht im fast fließenden
Deutsch angeregt über Gott und die Welt unterhielt. Es war so faszinierend,
den beiden zu lauschen, dass ich mich gar nicht übergangen fühlte.
Auch Lee Marvin sah staunend zu, wie sie miteinander plauderten und tanzten.
Es war wirklich großartig, auch wenn es für mich dabei kein Happy
End gab.
Später konnte ich durch die Erzählungen seiner damaligen Lebensgefährtin
Antje Weisgerber, mit der ich eine zeitlang Theater spielte, immer wieder mal
etwas über ihn erfahren. Als ich das letzte Interview mit ihm als kranken,
kaputten Menschen im Fernsehen sah, tat mir das mir richtig weh. Es schien mir
unbegreiflich, wie jemand, der in seiner künstlerischen Diktion so souverän
sein konnte, auf einmal so unsicher war. Er zitierte dermaßen viele Namen
von anderen Größen, mit denen er zusammengearbeitet hatte, dass ich
ihm am liebsten persönlich gesagt hätte: „Das brauchst du doch
nicht. Du bist doch der Oskar Werner. Du musst auch nicht trinken. Mach dir
keine Sorgen.“
Aufgezeichnet von Marc Hairapetian (SPIRIT
– EIN LÄCHELN IM STURM)
am 28. Juli 2003