Blond , blauäugig, nachdenklich

Zum Tod des Schauspielers und Regisseurs Helmut Griem (6. April 1932 – 19. November 2004)

 

Von Marc Hairapetian

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Helmut Griem in Chabrols "Die Wahlverwandtschaften"
(Foto: Arte)

Es gibt viele verschiedene Beweggründe, Schauspieler zu werden, zum Beispiel Ruhmsucht, Eitelkeit und Geldgier. Der bis ins fortgeschrittene Alter blendend aussehende Helmut Griem hatte andere Maßstäbe und gehörte dennoch zu den größten internationalen Stars, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hervorbrachte. Er besaß Sendungsbewusstsein, hinterfragte aber stets das Metier, in dem er arbeitete: „Realismus ist eines meiner Hauptkriterien, nach denen ich Film und Bühnenstoffe aussuche. Realismus nicht als Abschilderung der Wirklichkeit, sondern im Sinne von Wahrhaftigkeit.“, sagte er in einem Interview. „Es ist nötig Widersprüche aufzuzeigen, denn die Figuren leben nur durch ihre Widersprüche. In den meisten deutschen (und nicht nur deutschen) Kommerzfilmen gibt es solche Widersprüche nicht oder nur als Scheinprobleme. Und so werden auch nur Scheinlösungen angeboten.“ Er hinterfragte sich aber auch selbst: „Ökonomisch schadet mir das immer. Aber es gibt keinen schärferen Kritiker dessen, was ich tue, als mich selbst.“ Seine Darbietungen in den Filmen von Luchino Visconti oder Bob Fosse können sich allerdings mehr als sehen lassen. Dabei hat er eine Schauspielschule niemals von innen gesehen.

Der am 6. April 1932 in Hamburg geborene Beamtensohn verdiente sich sein Studium der Germanistik und Philosophie als Gelegenheitsarbeiter am Hafen und schloss sich nach einigen Auftritten als Laienspieler bei freien Theatergruppen dem Literarischen Kabarett „Hamburger Buchfinken“ an. Der Dramaturg des Stadttheaters Lübeck entdeckte ihn für die „große“ Bühne, indem er ihn für die Titelrolle in Richard Nashs Stück „Der Regenmacher“ besetzte. Weitere Engagements führten ihn nach Köln, München, Hamburg und als Krönung ans Wiener Burgtheater, wo er als jugendlicher Held in den klassischen Rollen der Weltliteratur brillierte. Im Fernsehen spielt er 1963 unter der Regie von Franz Peter Wirth Schillers „Don Carlos“ und den Franz Moor in „Die Räuber“.

Die Leinwand eroberte er bereits erstmals drei Jahre zuvor mit einer fulminanten Darstellung: Als Oberleutnant Krafft in Frank Wisbars beachtlicher Militarismus-Abrechnung „Fabrik der Offiziere“ versucht er - allen Warnungen zum Trotz - verbissen den Mord an einem Kameraden aufzuklären. Auch wenn dieser Krafft blond, blauäugig und forsch daher kommt, ist er bereits ein Zweifelnder. Griems Suche nach der Wahrheit machte sich schon im manchmal stockenden, um die richtigen Worte bemühten Tonfall bemerkbar (unvergessen auch seine „Steppenwolf“-Lesung auf Schallplatte). Der mit dem Bambi als „bester Nachwuchsdarsteller“ ausgezeichnete Hoffnungsträger kopierte diesen Charakter zwei Jahrzehnte später noch mal exakt in „Der Leutnant und sein Richter“ (1983). Dazwischen lag eine vielfältige Karriere im Film und Fernsehen. Nachdem sich Griem vorübergehend vom deutschen Film enttäuscht zurückgezogen hatte, wirkte er sehr erfolgreich in Italien und Frankreich. In Luchino Viscontis härtestem (und vielleicht auch bestem) Film perfektionierte er das leider allzu häufig der Wirklichkeit entsprechende Klischeebild des arroganten Teutonen der Hitler-Ära: Bei seinem SS-Offizier Aschenbach in „Die Verdammten“(1969) bleiben die Manieren auch beim Töten formvollendet.

Wenn Helmut Griem, der als Elfjähriger von Napola-Spähern wegen seiner „Vorzeige-Physiognomie“ zu einer NS-Eilteschule geholt wurde und noch als Erwachsener schrecklich unter diesen Erlebnissen litt, Nazis mimte, waren sie besonders hassenswert, so auch sein Major Stranski in „Steiner – Das Eiserne Kreuz, zweiter Teil“ (1979) oder der Otto Schiendick in dem Film mit dem bis heute wohl größtem Star-Aufgebot aller Zeiten, „Die Reise der Verdammten“ (1976).

Seine bis heute bekannteste Rolle ist der charmante, bisexuelle Lebemann Baron von Heune in Bob Fosses Meisterwerk „Cabaret“ (1972): Die politische Rebellion früherer Tage hat er hier längst gegen Bequemlichkeit und Hedonismus eingetauscht. Der private Griem war anders, stets hin- und her gerissen zwischen Aufbegehren und Resignation, Schwärmerei und Melancholie. Diese Wesenszüge flossen aber auch immer wieder in seine Arbeit ein, als Hans Schnier in „Ansichten eines Clowns“ (1976), oder als Caspar Gustav Carus in „Caspar David Friedrich - Grenzen der Zeit“ (1986), als Sebastian in „Die Hamburger Krankheit“ (1979) oder als Faust in der Verfilmung „Faust – Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“ der Theaterinszenierung von 1987/88. In den 1980 und 1990er Jahren spielte und inszenierte er vornehmlich am Bayrischen Staatsschauspiel; von den deutschen Film- und Fernsehmachern forderte er nicht nur bessere Drehbücher, sondern auch „mehr Mut und vor allem den Aufbau von Schauspielern zu Identifikationsfiguren. Talente gibt es genug, man kennt sie nur nicht. Dass man das Vergessen hat, ist eine Spätfolge des Oberhausener Manifests. Man geht doch wegen der Schauspieler ins Kino, nicht wegen der Regisseure.“ Einen Part im „Traumschiff“ übernahm er im Olympiajahr 2000 nur, um wenigstens darstellerisch einmal in seinen lang gehegten Traumberuf Sportreporter schlüpfen zu können. Bis zuletzt war er als Schauspieler und Regisseur viel beschäftigt. Die geplante Arbeit am Bayrischen Staatsschauspiel an dem Botho-Strauß-Stück „Die eine und die andere“ konnte er nicht mehr aufnehmen. Helmut Griem starb völlig überraschend, nach kurzer schwerer Krankheit am 19. November in einem Münchener Krankenhaus.

 

Am 8. Dezember läuft in der ARD um 20.15 Uhr Helmut Griems letzter TV-Film „Liebe auf Bewährung“. Einen Tag später strahlt Arte den ersten Teil von Viscontis „Ludwig II. (20.40) aus; der zweite folgt am 16. Dezember um 20.45 Uhr.

 

Marc Hairapetian